Nationalrat: Pflege-Regress wird abgeschafft, Homo-Ehe abgelehnt

Plenarsaal des Nationalrats
SPÖ und ÖVP haben sich auf die Abschaffung des Pflegeregresses geeinigt. Die Länder erhalten 100 Millionen jährlich als Kompensation. Bei der Ökostromnovelle gab es eine Einigung mit den Grünen. Die Homo-Ehe wurde abgelehnt.

Der Pflege-Regress wird abgeschafft. Darauf haben sich SPÖ und ÖVP geeinigt. Der entsprechende Beschluss wird bereits heute vom Nationalrat gefällt. Zur Kompensation ihrer Einnahmen-Ausfälle erhalten die Länder zumindest 100 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich.

Derzeit sieht das System so aus, dass nicht nur der größte Teil des Pflegegelds und der Pension für Pflege im Heim herangezogen wird, sondern auch allfälliges Privatvermögen der Betroffenen. Selbst bei Schenkungen kann noch einige Jahre etwa auf übertragene Wohnungen zugegriffen werden. Die Länder haben dabei unterschiedliche Regelungen. Nunmehr wird ihnen per Verfassungsgesetz dieser Regress untersagt.

Der gemeinsame Antrag der Noch-Koalitionäre kommt überraschend: Mittwochabend standen die Zeichen noch auf Sturm. Die SPÖ hatte mit den Stimmen der FPÖ, Grünen und Neos die Erhöhung des Uni-Budgets beschlossen – gegen die ÖVP, die diese Finanzspritze mit Zugangsregelungen verbunden haben wollte. Ein Schachzug, der in Hinblick auf die heutige Plenarsitzung nach einer Revanche schrie.

Einig war man sich bis zuletzt auch nicht, was die Gegenfinanzierung betrifft. ÖVP-Finanzminister Hans Jörg Schelling nannte etwa den Vorschlag der SPÖ, die nötigen Millionen über eine Erbschaftssteuer zu lukrieren, einen „Vollholler zur Potenz“, während Kanzler Christian Kern ankündigte, den Antrag „mit oder ohne ÖVP“ einzubringen.

Fotos auf E-Cards ab 2019

Als eine der Maßnahmen zur Gegenfinanzierung haben sich SPÖ und ÖVP jetzt darauf verständigt, dass im Sinne der Betrugsbekämpfung ein Foto auf die E-Card kommt (eine Maßnahme, die in der Realität allerdings wenig Geld verspricht). Ebenfalls Einsparungen erhofft man sich dadurch, dass Pflegeheime künftig Arzneimittel direkt einkaufen können. Was die E-Card angeht, werden ab 2019 nur noch Karten mit Foto neu ausgegeben werden. Bis 2023 hat dann der Austausch abgeschlossen zu sein.

>> Factcheck: Missbrauch der e-Card: Kaum Fälle und Kosten

Von der Koalition umgesetzt wird auch ein langjähriges Anliegen der Feuerwehren. Mitarbeitern der freiwilligen Feuerwehren wird wegen ihrer besonderen Gefährdung eine Gratis-Impfung für Hepatitis A und Hepatitis B zugestanden. Schließlich gibt es noch Verbesserungen für Angehörige, die behinderte Kinder pflegen. Die Möglichkeit, sich nachträglich beitragsfrei selbst versichern zu lassen, wird ausgeweitet.

VP-Sozialsprecher August Wöginger zeigte sich gegenüber der APA davon angetan, dass eine schnelle und unbürokratische Regelung zur Abschaffung des Pflegeregresses gefunden worden sei. Gleichzeitig sei es auch gelungen, Maßnahmen zur Gegenfinanzierung zu fixieren. SP-Klubchef Andreas Schieder freute sich über einen guten Tag insbesondere für jene 40.000 Familien, die einen Pflegefall in der Familie hätten und zusätzlich zu diesem ohnehin schweren Schicksalsschlag von Enteignung durch den Pflegeregress betroffen seien.

Abgestimmt wird über das Gesetzespaket heute Nachmittag im Nationalrat. Da es sich bei der Abschaffung des Regresses um eine Verfassungsbestimmung handelt, bedarf es noch der Zustimmung von FPÖ oder Grünen. Das dürfte aber Formsache sein.

Nationalrat: Pflege-Regress wird abgeschafft, Homo-Ehe abgelehnt
ABD0006_20170629 - WIEN - …STERREICH: …VP-Klubobmann Reinhold Lopatka und SP…-Klubobmann Andreas Schieder (R.) wŠhrend der Fragestunde im Rahmen einer Nationalratssitzung am Donnerstag, 29. Juni 2017, im Parlament in Wien. - FOTO: APA/ROBERT JAEGER

Gegenfinanzierung nur "ein Anfang"

Die 100 Millionen für die Länder zusätzlich sind übrigens nicht absolut zu sehen. Sollten die finanziellen Auswirkungen größer sein, würden zusätzliche Gelder zur Verfügung gestellt.

Die beiden Gegenfinanzierungsmodelle seien aber nur "ein Anfang", heißt es aus dem Sozialministerium. Bis zur Wahl wolle man noch konkrete Konzepte vorstellen, wie sie langfristig auf stabile Beine gestellt werden kann.

Das Sozialministerium rechnet in den kommenden Jahren mit einer "leichten Steigerung" an Personen, die einen Pflegeheimplatz brauchen. An einen "Ansturm", weil Betroffene jetzt nicht mehr um ihr Vermögen fürchten müssen, glaubt man nicht.

Aktuell gibt es 450.000 Menschen, die Pflegegeld beziehen. Der Großteil wird offenbar zuhause gepflegt, da nur 75.000 einen Heimplatz haben. Vom Pflegeregress betroffen sind derzeit 40.000 Menschen.

Ökostromnovelle fixiert

Nach monatelangen Verhandlungen haben sich SPÖ und ÖVP mit den Grünen auf eine Ökostrom-Novelle verständigt. Der entsprechende Antrag wird noch heute vom Nationalrat beschlossen. Die Verständigung bringt mehr Geld für Wind- und Photovoltaik-Anlagen.

Wie die Grüne Umweltsprecherin Christiane Brunner am Rande der Nationalratssitzung gegenüber Journalisten ausführte, werden 45 Mio. Euro zur Verfügung gestellt, um den Abbau der Warteschlange bei Windanlagen-Projekten voran zu treiben. Was die Photovoltaik angeht, werden 30 Mio. Euro an Investitionsförderung genehmigt. Zudem werden gemeinschaftlichen Anlagen auf Mehrfamilien-Häusern ermöglicht.

Bei Biogas werden laut Brunner 11,7 Mio. auf drei Jahre zur Verfügung gestellt. Die so genannte Abwrack-Prämie für unprofitable Anlagen kommt zumindest vorerst nicht. Brunner zeigte sich von der Einigung "in letzter Minute" angetan. Mit der Novelle gelinge es, den Ökostrom-Anteil in Österreich um 1 Prozent zu erhöhen. Das klinge zwar nicht nach viel, doch sei der Anteil in den vergangenen 30 Jahren gerade einmal um drei Prozent gewachsen. Zudem würden Investitionen im Ausmaß von einer halben Milliarde Euro ausgelöst.

Die Zustimmung der Grünen war notwendig, um die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit zu erlangen.

Homo-Ehe abgelehnt

Der gemeinsame Antrag von SPÖ, Grüne und NEOS zur Öffnung der Ehe für Homosexuelle wurde am Nachmittag abgelehnt. Konkret handlete es sich dabei freilich nur um eine Fristsetzung für die Behandlung der Materie, also nicht um den Beschluss.

Angesichts der Mehrheitsverhältnisse und der Ablehnung von ÖVP, FPÖ und Team Stronach war die Ablehnung nicht überraschend.

Der Wiener Landtag hat die Öffnung der Ehe am Donnerstag - parallel zur Debatte im Nationalrat - gefordert. Konkret haben sich die Regierungsparteien SPÖ und Grüne sowie die NEOS auf einen diesbezüglichen gemeinsamen Antrag verständigt. Er wird im Lauf der heutigen Landtagssitzung eingebracht, einem Beschluss steht dank der herrschenden Mehrheitsverhältnisse nichts im Wege.

Aktion 20.000 kann starten

Der Nationalrat hat auch Weg für die "Aktion 20.000" geebnet. Damit können entsprechend viele Jobs für ältere Langzeitarbeitslose im gemeinnützigen Bereich geschaffen werden. Die NEOS bezweifelten den Sinn der Aktion und glauben, dass auf dem Weg niemand zurück in den regulären Arbeitsmarkt gebracht werden kann. Auch die FPÖ sieht eine Schönfärbung der Arbeitslosenstatistik.

Team Stronach-Klubobfrau Waltraud Dietrich glaubt ebenfalls nicht an den Erfolg der Aktion, gehe es doch um Arbeitsplätze, die künstlich geschaffen würden, und nicht um reguläre Beschäftigungsverhältnisse. Redner von SPÖ, ÖVP und Grünen waren hingegen überzeugt, dass man den Betroffenen die Möglichkeit zu einem Wiedereinstieg geben müsse.

Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) erinnerte daran, dass bei aller positiven Entwicklung am Arbeitsmarkt die Gruppe der älteren Arbeitslosen es weiter besonders schwer habe. Diesen Menschen müsse man daher eine Chance geben.

In den neun Pilotprojekten, die bis zum Jahresende laufen, werde man entsprechende Erfahrungen machen, die dann bei der bundesweiten Implementierung Anfang 2018 genutzt werden könnten, kündigte Stöger an. Konkret soll durch einen über das AMS abgewickelten Prozess sichergestellt werden, dass die betroffenen Arbeitslosen den passenden Arbeitsplatz - im Regelfall eine gemeinnützige Stelle auf Gemeindeebene oder im gemeinde-nahen Bereich - erhalten. Die Entlohnung erfolgt dabei grundsätzlich über den Kollektivvertrag, wobei allerdings eine Subventionierung der Lohn- und Lohnnebenkosten bis zu 100 Prozent möglich sein wird.

Die Aktion soll von 1. Juli an zwei Jahre laufen. Knapp 780 Millionen werden dank des heutigen Nationalratsbeschlusses zur Verfügung gestellt.

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