Naht das Ende der 2. Republik?

Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl (li.) und ÖGB-Chef Erich Foglar
Politik von Innen: Ein Hofer macht noch keine Zeitenwende, ein Verlust der rot-schwarzen Mehrheit im Nationalrat schon.

Die Kandidaten von SPÖ und ÖVP brachten am vergangenen Sonntag 22 Prozent auf die Waage. Gemeinsam, wohlgemerkt.

Wären jetzt Nationalratswahlen, würden sie sicherlich besser abschneiden und gemeinsam vielleicht 40 Prozent erreichen. Aber eine neuerliche rot-schwarze Regierungsmehrheit scheint in weiter Ferne.

Spätestens dann, wenn SPÖ und ÖVP von den anderen Parteien im Nationalrat majorisiert werden können, wird wohl das Ende der 2. Republik eingeläutet. Manche sehen diesen Punkt bereits erreicht, wenn Norbert Hofer als erster Freiheitlicher zum Bundespräsidenten gewählt wird. Von einem Alexander Van der Bellen erwarten die meisten Beobachter keinen Systembruch, weil angenommen wird, dass sich der grüne Professor weitgehend an geltende Gepflogenheiten halten würde.

Was macht denn die 2. Republik eigentlich aus? Die Verfassung ist es nicht, denn die wurde aus der 1. Republik übernommen.

Im Grunde genommen funktioniert die 2. Republik auf der Basis von Regeln und Usancen, von denen viele nicht einmal schriftlich festgehalten sind. SPÖ und ÖVP streiten zwar im Alltag wie Hund und Katz’, dennoch gibt es einen Grundkonsens, den sie nicht brechen. Im Zentrum dieses Systems stehen die Sozialpartner und die – vor allem innerparteilich mächtigen – Länder.

Ein nicht-systemkonformer Bundespräsidenten könnte beispielsweise die ungeschriebenen Regeln der Personalauswahl torpedieren. Derzeit akzeptiert die SPÖ, dass der ÖVP-Wirtschaftsminister vom Wirtschaftsbund ausgesucht wird – so wie die ÖVP akzeptiert, dass die Gewerkschaft den Sozialminister bestimmt. Wenn Niederösterreichs Landeshauptmann den Innenminister tauschen will, wird das von Kanzler und Bundespräsident ebenso widerspruchslos vollzogen wie wenn der Burgenländer einen ihm genehmen Verteidigungsminister aussucht.

Das System der Sozialpartnerschaft kann von einem Bundespräsidenten nicht ausgehebelt werden, von einem Nationalrat ohne rot-schwarze Mehrheit schon.

Einigen Anschauungsunterricht dazu lieferte die schwarz-blaue Koalition.

Der damalige Kanzler Wolfgang Schüssel wollte der Arbeiterkammer die Finanzierung kürzen, weil sie gegen seine Pensionsreform kampagnisierte. Die AK-Umlage beträgt 0,5 Prozent der Bruttobezüge und beschert ihr Einnahmen von 400 Millionen. Im Gespräch war damals eine Kürzung auf 0,3 Prozent, also um rund 40 Prozent. Verhindert wurde die Gesetzesänderung von der Wirtschaftskammer (Präsident Christoph Leitl und sein damaliger parlamentarischer "Arm", Reinhold Mitterlehner). Der Gedanke dahinter: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu. Sprich: Wenn es einmal eine andere Regierungsmehrheit gibt, könne man die gleiche Solidarität einfordern, um eine Kürzung der Wirtschaftskammerumlage zu verhindern. Genau dieses wechselseitige "Absichern" funktioniert ohne rot-schwarze Parlamentsmehrheit nicht mehr. Zwar wurde die Sozialpartnerschaft in die Verfassung geschrieben, nicht aber die Höhe der Umlagen (bei der Wirtschaftskammer ist es eine halbe Milliarde im Jahr).

Leitl verhinderte (via Mitterlehner) auch, dass die schwarz-blaue Regierung in die ureigene Sozialpartner-Spielwiese, die Selbstverwaltung der Sozialversicherungen, hinein funkte. Die Gremien in der Sozialversicherung werden gemäß den Ergebnissen der Arbeiterkammer- und Wirtschaftskammerwahlen besetzt. Folglich gibt bei den Arbeitnehmervertretern die SPÖ den Ton an, die Arbeitgebervertreter sind schwarz. Die FPÖ wollte als Regierungspartei ebenfalls mitmischen und man verabschiedete ein Gesetz, wonach in jedes Gremium ein Quoten-Blauer rein durfte. Allerdings sorgte Leitl dafür, dass der Quoten-Blaue die austarierten und eingeübten Mehrheitsverhältnisse nicht durcheinander bringen würde (das Gesetz hielt dann vor dem Verfassungsgerichtshof sowieso nicht stand).

Eine Zusammenlegung der immer noch 22 Sozialversicherungsanstalten (sechs davon sind Betriebskassen vorwiegend aus Verstaatlichten-Resten) würde rot-schwarze Funktionärsspielwiesen trockenlegen. Wobei es da weniger um Jobs und persönliche Einkommen geht, als um Machtapparate und Klein-Potentatentum. Vor allem aber: um Klientelbedienung. So hat kürzlich die Beamtenversicherung den Selbstbehalt für ihre Versicherten auf 10 Prozent halbiert, weil sie viel Geld und keine Arbeitslosen zu versorgen hat.

Dass es in der Sozialversicherung für alle Versicherten das gleiche System mit gleichen Leistungen geben sollte, ist vom Lippenbekenntnis her unbestritten. Aber umgesetzt wird es nicht, weil es dann der Schrebergärten nicht mehr bedürfte. Dennoch hat sich die Selbstverwaltung bewährt, weil sie Kontinuität garantiert. Wie so oft geht es nicht um alles muss bleiben oder anders werden, sondern um zeitgemäße Anpassungen.

Kommentare