Verfassungsgerichtshof im Ausnahmezustand

Ein Bild aus besseren Tagen: Heute hängt zwischen VfGH-Präsident Holzinger und Richter Schnizer (re.) der Haussegen schief
Holzinger an Schnizer: "Reine Privatmeinung".

Sie haben ihn gebeten, dann gedrängt – er möge es doch bitte lassen.

Aber Johannes Schnizer wollte nicht nachgeben: Als Dienstagnachmittag im Verfassungsgerichtshof in der Wiener Renngasse bekannt wurde, dass einer der 14 Richter, eben Schnizer, als Interview-Gast in der "Zeit im Bild 2" auftreten wolle, herrschte im Höchstgericht helle Aufregung.

Ein einzelner Verfassungsrichter, der ohne den Sanktus des Präsidenten in einem Fernsehstudio über Gerichtsentscheidungen spricht?

Das gab’s noch nie.

Bereits was Schnizer zuvor gemacht hatte, war für die Mehrheit seiner VfGH-Kollegen, gelinde gesagt, eine Grenzüberschreitung: In einem Interview mit der Wiener Stadtzeitung "Falter" hatte der frühere Kabinettschef von SPÖ-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer nicht nur die VfGH-Entscheidung zur Wahlwiederholung verteidigt. Er hatte zudem erklärt, dass er Alexander Van der Bellen wähle und glaube, die FPÖ habe die Wahlanfechtung lange vor der eigentlichen Stichwahl vorbereitet.

Die Freiheitlichen reagierten prompt und sprachen von einer "Diffamierung" – zumal der Höchstrichter auch in seinem TV-Auftritt keine Beweise für seine Behauptung vorlegen konnte.

Wider die Usancen

Schnizer hatte also nicht nur eine Usance gebrochen – dass nämlich der Präsident für den VfGH spricht – , sondern zudem einer Verfahrenspartei schwere Vorwürfe gemacht. "Er hat den Gerichtshof in Geiselhaft genommen, ihn in eine unnötige politische Debatte verwickelt und die Reputation des VfGH beschädigt", sagt ein Mitarbeiter im Höchstgericht, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will.

Rein formal darf einem VfGH-Richter niemand den Mund verbieten: Er kann sich als Richter und Privatperson zu allem und jedem äußern.

Wohl auch deshalb wollen die führenden Verfassungsjuristen kein strenges Urteil fällen: Es sei "sicherlich ungewöhnlich, aber nicht verboten", was Schnizer getan habe, sagen Theo Öhlinger und Bernd-Christian Funk zum KURIER.

Hinter den Kulissen sorgte der Tabubruch freilich für erhebliche Irritationen. VfGH-Präsident Gerhart Holzinger verließ die laufende Session mit sichtlichem Zorn und wandte sich am Mittwoch mit einem öffentlichen Brief an die Anwälte der FPÖ. Es bestehe keine Notwendigkeit für den VfGH, sich von Schnizers Ausführungen zu distanzieren – weil es sich um seine Privatmeinung handle, für die er naturgemäß selbst die Verantwortung trage. Und wann die FPÖ die Anfechtung vorbereitet habe, sei für das Höchstgericht schlicht "bedeutungslos".

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