Nach Kanzler-Auftritt fragt die ÖVP: Kann Kern Politik?

Christian Kern, Reinhold Mitterlehner
Anhaltender Nervenkrieg um vorgezogene Neuwahlen in der Koalition.

Will Kanzler Christian Kern nun Neuwahlen oder nicht?

Er will. Das glaubte zumindest Reinhold Mitterlehner und sein Kabinett am Dienstag. Der Anlass: Der Auftritt Kerns in Puls 4 am Montag Abend. Dort hatte der Kanzler der ÖVP zum wiederholten Mal jeglichen Reformwillen abgesprochen. "Es gibt zwei Parteien, die dieses Land verändern wollen: die SPÖ und die FPÖ", sagte er.

Ein starkes Stück für einen Kanzler und SPÖ-Chef, ausgerechnet der FPÖ mehr Modernisierungswillen zu attestieren als dem eigenen Koalitionspartner.

Am Dienstag legte Kern nach: Die ÖVP lege keine Reformvorschläge vor, seine Geduld mit ihr sei "am Ende".

In einer ersten Reaktion auf den Puls 4-Auftritt schickte die ÖVP unter der Regie von Mitterlehner Ministerin Sophie Karmasin vor, um das Kanzler-Verhalten zu kritisieren und den Neuwahl-Verdacht in den Raum zu stellen.

Am Mittwoch, dem Tag nach dem großen Krach im Ministerrat, war in der ÖVP immer noch nicht klar, wie sie das Verhalten des Kanzlers deuten solle. Die einen meinen, er wolle wählen, die andere Lesart lautet, Kern habe "ein Glaskinn" und sei "ausgezuckt", weil er Kritik nicht vertrage.

Verschiedene Gesprächspartner in verschiedenen ÖVP-Ministerien wandelten am Mittwoch auf Doris Bures’ Spuren und fragten: "Kann Kern Politik?"

Ein ÖVPler meint, Kern agiere "noch immer wie ein Pressesprecher: Alles ist nur auf Öffentlichkeit ausgerichtet. Dabei vergisst er, dass es hinter der öffentlichen Fassade einen Politik-Betrieb gibt. Ich kann nicht jemanden frontal über die Medien angreifen und dann erwarten, dass mir der Betreffende in Verhandlungen entgegen kommt". Kern sei kein "politischer Manager, der Dinge auf den Boden bringt", lautet die Kritik.

Ein anderer ÖVPler – er ist eher der Falken-Fraktion zuzurechnen – versteht Kerns Verhalten gegenüber Mitterlehner nicht. "Kern behandelt Mitterlehner extrem unfair. Mitterlehner biegt sich in alle Richtungen, um die Koalition zu retten und etwas durchzubringen. Einem konsensbereiten und kompromissorientierten Sozialpartner wie Mitterlehner vorzuwerfen, er wolle nicht verhandeln, ist nicht sehr glaubwürdig." Daher liege es nahe anzunehmen, dass Kern Neuwahlen ansteuere.

Besonderen Konfliktstoff gibt es zwischen dem Kanzler und Finanzminister Hans Jörg Schelling. Der Kanzler wirft dem Finanzminister vor, mit dem Verschieben des Finanzrahmens vom Frühjahr in den Herbst die Reformtätigkeiten auf Monate lahm zu legen, weil alles, was man bis Herbst beschließt, mit einem Finanzierungsvorbehalt zu versehen sei.

"Kern kennt das Haushaltsrecht nicht", lautet der Konter aus dem Finanzministerium. Man könne auch ohne Finanzrahmengesetz Maßnahmen beschließen.

Tatsache ist, dass Schelling für das Verschieben des Finanzrahmens in den Herbst ein Gesetz braucht. Im Bundeshaushaltsgesetz steht nämlich im Paragraf 15 ausdrücklich drinnen, dass dem Nationalrat bis spätestens 30. April der neue Finanzrahmen vorzulegen ist.

So lautet die Auskunft des Budgetdiensts im Nationalrat auf KURIER-Anfrage.

Objektiv betrachtet sind vorgezogene Neuwahlen wohl wirklich nur eine Frage der Zeit. Hinter den Kulissen geht der Nervenkrieg weiter. Die ÖVP vermied es am Mittwoch, das Wort Neuwahl in den Mund zu nehmen. Kerns Auftritt gab ihr die Möglichkeit in die Hand, dem Kanzler den Schwarzen Peter für das Platzen der Koalition zuzuschieben. Dass auch maßgebliche Gruppen in der ÖVP Interesse an vorgezogenen Bundeswahlen haben, wurde hier mehrfach berichtet.

Das Vertrauen in der Koalition ist wieder einmal auf dem Nullpunkt. Auch sind beide Parteien bis ins Detail auf einen Wahlkampf vorbereitet. In der SPÖ ist alles auf den Kanzler und seinen Plan A abgestellt, Kerns Vorwahlkampf ist längst angelaufen.

In der ÖVP ist auf Knopfdruck ein Wahlkampf mit Spitzenkandidat Sebastian Kurz abrufbar. Die Maschinerie ist bis ins Detail vorbereitet. Zuletzt hieß es, dass sich auch Parteichef Mitterlehner einer gütlichen Einigung mit Kurz nicht verschließen würde. "Das Großdesign steht", sagt ein ÖVPler. "Jetzt muss Kern nur noch eingestehen, dass er wählen will."

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