Mitten ins Herz der Funktionärsapparate

Wagemutig: Christian Kern, Reinhold Mitterlehner
Mit Reform bei Gewerbeordnung und Sozialversicherung betreten Kern und Mitterlehner Tabu-Zonen.

Der Gewerbeschein ist nicht bloß eine bürokratische Vorschrift wie viele andere. Er ist ein zentraler Baustein der Sozialpartnerschaft. Auf die Materien spezialisierte Abgeordnete wie der Grüne Matthias Köchl oder Gerald Loacker von den Neos erklären, warum: Pro Gewerbeschein muss an die Wirtschaftskammer Umlage bezahlt werden. Einem Gewerbe steht in der Regel auf Arbeitnehmerseite ein Kollektivvertrag gegenüber. 859 Kollektivverträge gibt es in Österreich, die müssen alle verhandelt, verwaltet, exekutiert werden. Das erfordert eine Menge an Funktionären und großen Apparaten. "Die Sozialpartner erhalten sich gegenseitig, indem sie für Funktionärsbeschäftigung sorgen", sagt auch der auf das Kammerwesen spezialisierte Steuerberater Gottfried Schellmann.

Eine weitere Funktionärsspielwiese sind die verschiedenen Sozialversicherungsträger. Es sind zwar riesige Gruppen wie die Arbeiter- und Angestellten-Pensionisten bereits in einer Sozialversicherung zusammen gefasst, aber bestimmte Berufsgruppen haben immer noch eigene "Träger", deren Versicherte in der Regel besser gestellt sind als die "normalen" ASVG-Versicherten. So haben etwa die Bediensteten der Gemeinde Wien eine eigene Versicherungsanstalt, die Beamten eine eigene Krankenversicherung.

Die Ankündigung von Kanzler Christian Kern und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, die Gewerbeordnung zu entrümpeln und Sozialversicherungsträger zusammenzulegen, trifft daher mitten ins Herz der rot-schwarzen Funktionärsapparate.

Was die Regierung konkret machen will, ist noch nicht bekannt. Die Opposition weiß es schon. Gerald Loacker von den Neos schlägt vor, in einem ersten Schritt pro Bundesland eine Krankenkasse für alle Versicherten zu schaffen. "Damit muss eine Angleichung der Versichertenrechte einhergehen", sagt Loacker zum KURIER, denn die öffentlich Bediensteten bekämen bessere Leistungen, weil sie die Ärzte besser bezahlen. Loacker: "Die Beamtenversicherung hat sich insofern aus der Solidarität gestohlen, weil sie Gutverdiener versichert und keine Arbeitslosen und Mindestsicherungsbezieher versorgen muss." Der Neos-Sozialsprecher fordert gleiches Recht für alle: "Gleiche Beiträge, gleiche Leistungen. Die Zeiten für Sonderrechte sind vorbei."

Grün-Abgeordneter Köchl schlägt eine massive Entrümpelung der Gewerbeordnung vor. Demnach sollten die sogenannten "Befähigungsnachweise" in allen Bereichen entfallen, außer dort, wo es um Leib, Leben und Sicherheit geht. "Dass man zwei Jahre Praxis braucht, um gewerblich bügeln zu dürfen, ist absurd", sagt Köchl. Außerdem solle nur mehr für einen Gewerbeschein bezahlt werden müssen, und nicht für jeden extra. Beispielsweise braucht ein Trafikant, wenn er Geschenke verkauft, einen zweiten Gewerbeschein und muss zwei Mal zahlen.

Köchl schlägt vor, dass der Kammer-Apparat massiv abgeschlankt wird. Derzeit gebe es überall den Faktor 10: neun Mal in den Bundesländern, einmal im Bund. Köchl: "Je eine Fachgruppe für ganz Österreich müsste reichen. Diese müsste ja nicht in Wien sein, sondern man könnte sie auf die Bundesländer verteilen, sodass zum Beispiel die Seilbahn-Fachgruppe für ganz Österreich in Innsbruck ansässig wäre."

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