Kerns neue Sitten im Kanzleramt

Kern fragt viel, manche fühlen sich abgeprüft.
Unter dem Neo-Regierungschef wird viel gefragt und debattiert – nicht zur Freude aller Minister.

Regierungssitzung nach der Brexit-Abstimmung in Großbritannien.

SPÖ-Kanzler Christian Kern bittet ÖVP-Außenminister Sebastian Kurz um einen Bericht zur Causa. Dieser referiert. Dann passiert Ungewöhnliches. Kern fragt nach, möchte dieses und jenes zusätzlich wissen. Kurz ist etwas perplex, alles kann er nicht ad hoc beantworten, schildern Kollegen von ihm. In Kurz' Büro will man das nicht bestätigen: Nicht Kern, sondern SPÖ-Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser habe wissen wollen, wie lange der Brexit dauern würde. Und Kurz habe ihr beschieden, dass das niemand sagen könne.

Viel gefragt werden auch andere Minister unter dem neuen Kanzler-Regiment. Etwa jene für Inneres und Verteidigung, Wolfgang Sobotka und Hans Peter Doskozil.

Ein Ressortchef formuliert es pädagogisch: „Herr Professor Kern hat heute Sobotka geprüft.“ Andere empfinden es nicht so: Sie orten „ehrliches Interesse“.

Neuer Kanzler, neue Sitten – auch bei der wöchentlichen Zusammenkunft der rot-schwarz Regierenden im Kanzleramt. Unter Kerns Vorgänger Werner Faymann war das stets eine kurze Angelegenheit. Mitunter nicht einmal eine halbe Stunde tagten er und seine Regierungskollegen. Die Tagesordnungspunkte wurden abgehakt.

An – gar tief greifende – Debatten erinnert sich keiner aus diesem politischen Kreis. Ein ÖVP-Mann ätzt: „Faymann hatte ja auch keine echte Agenda.“ Kern dürfte sie haben. „Bei ihm merkt man ein Bemühen, inhaltlich etwas weiterzubringen“, berichtet ein anderer Schwarzer aus dieser Dienstagsrunde. „Im informellen Teil des Ministerrats wird jetzt wirklich diskutiert, Kern fragt nach. Ich finde das gut“, ergänzt ein weiterer.

Als detailverliebt wird der Kanzler beschrieben. Manches von dem, was früher durchgewunken wurde, wird nun ausführlich thematisiert. Zuletzt war das etwa der Gleichbehandlungsbericht für den Bund, für den Staatssekretärin Muna Duzdar zuständig ist. Das behagt nicht allen: „Diskussion ist gut, das darf aber nicht ausarten. Der Gleichbehandlungsbericht ist keine epochale Reform, sondern ein Null-acht-fünfzehn-Tagesordnungspunkt.“

Auch über etwas anders wurde jüngst lange geredet. SPÖ-Sozialminister Alois Stöger erbat Auskunft darüber, wie es die ÖVP mit der Arbeitserlaubnis für Asylwerber halte: Sobotka sei dagegen, Kurz dafür. Dieser war nicht zugegen, die Aufregung war groß. Wann und wo habe Kurz das gesagt?

In einem Interview, tat Stöger kund. In dem Artikel habe der Kanzler, nicht Kurz, dafür plädiert, Asylansuchende werken zu lassen, erzählen ÖVPler. Stöger habe Kern und Kurz verwechselt.

Habe er nicht, so die Replik der SPÖ. Die ÖVP rede wohl von einem anderen Medium. Diese Verhaltensmuster sind nicht neu. Ebenso nicht die ideologischen Fronten. Die gibt es aktuell auch bei der Bankenabgabe. Kerns Mittel, um Disput in einer Regierungssitzung zu beenden: Er ersucht den jeweils Verantwortlichen von Rot und Schwarz, ihm und ÖVP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner „ein Papier“ zur Causa zu übermitteln.

Kern beauftragt Regierungskollegen gern mit diesem oder jenem. Kurz und Duzdar mussten ein Integrationskonzept erstellen. Das rührt wohl aus des Kanzlers Manager-Zeit, zuletzt bei den ÖBB. So wird bei Vorstandstreffen verfahren.

Auch die Inszenierung nach dem Ministerrat hat sich – wieder einmal – geändert.

Faymann und Mitterlehner traten im Kongress-Saal des Kanzleramts vor die Presse, von Fahnen flankiert. Kern und Mitterlehner tun das im Steinsaal, neben einem Gemälde von Kaiserin Maria Theresia. Es war anderes geplant: ein Regierungssprecher wie in Deutschland, der den Journalisten die Ministerratsbeschlüsse verlautbart. Dadurch sollte Schluss sein mit Gezänk.

Diesen Kommunikator gibt es bis heute nicht. Schon vor Kerns Kanzlerschaft war ein solcher angedacht worden. Rot und Schwarz konnten sich aber auf keine Person einigen.

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