Maturaschulen: Letzter Fluchtweg vor zentraler Reifeprüfung

Matthias Roland von der Maturaschule Dr. Roland
Die Externisten-Matura wurde bei der Reform übersehen: "Dabei hätte man von unserer Erfahrung profitieren können".

Lautes Glockenläuten. Frisch gewischter Boden. 17 Räume mit Tafeln auf 1600. Geräusch, Geruch wie das Gebäude lassen auf eine Schule schließen. Allein, es ist streng genommen keine. Die Maturaschule Dr. Roland in Wien ist – wie die Konkurrenz (Humboldt, Dr. Rampitsch u. a.) – eine GmbH; ob ihres Bestehens seit 1926 und der prominenten Schüler (siehe Bilder) mittlerweile so etwas wie eine Institution.

Maturaschulen: Letzter Fluchtweg vor zentraler Reifeprüfung

ARCHIVBILD: BRUNO KREISKY
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Wer hierher kommt, hat BHS oder AHS verlassen und ein Ziel: die Matura. Und die erlangen jene 420 Schüler, die Direktor Matthias Roland lieber Studenten nennt, ohne AHS-Zentralmatura-Regelung. Ohne die von vielen gefürchtete wie gescholtene vorwissenschaftliche Arbeit (VWA). Warum?

"Die Externisten wurden bei der Gesetzesänderung schlichtweg vergessen. Das ist insofern skurril, als dass Externisten seit jeher bei bis zu drei unabhängigen Prüfungskommissionen ihre Prüfungen ablegen. Man hätte von unserer Erfahrung auch profitieren, Synergien nutzen können," sagt Roland, der die Schule in dritter Generation führt.

Schwierigkeiten

Wann und inwiefern die Zentralmatura in Kraft treten wird, ist ungewiss. "Nach jüngster Rücksprache mit dem Ministerium und dem Stadtschulrat wird es wohl bis 2018 dauern, bis die Zentralmatura auch für Externisten gilt." Wer sich also jetzt entschließt, die bis zu drei Jahre dauernden Kurse für die Reifeprüfung bei einem Weiterbildungsinstitut zu absolvieren, fällt unter die alte Regelung.

Roland rechnet damit, dass es im Sinne der Rechtssicherheit eine Übergangsregelungen geben wird. "Studentinnen und Studenten müssen in einem Bescheidantrag bekannt geben, in welchen Fächern sie mündlich und schriftlich zur Matura antreten. Von einer VWA ist darin noch nicht die Rede."

Zudem ortet er mögliche Schwierigkeiten bei den Prüfungskommissionen selbst.

Sie müssen parallel einerseits die Zentralmatura bei AHS-Schülern mit den Prüfungsfragen des bifie (Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation und Entwicklung des österreichischen Schulwesens) abnehmen, und andererseits Externisten nach der alten Matura-Regelung prüfen.

Dass die Zentralmatura überhaupt eingeführt wurde – "ganz unabhängig aller technischer Schwierigkeiten beim Hochladen der wissenschaftlichen Arbeiten und vielem mehr" – kommt dem Unternehmer zupass. Er profitiert insbesondere von der Nachfrage der Siebt- und Achtklassler wie der Lehrer selbst. Auf alle steige der Druck durch die Evaluierung der Zentralmatura enorm.

Waren vor 15 Jahren Abendklassen oftmals von vielen Berufstätigen gut besucht, sind es jetzt vornehmlich Vormittagsklassen mit 17-, 18-, 19-jährigen Mädchen und Burschen. Gut die Hälfte von ihnen hat Migrationshintergrund. "Wir spüren wachsende Unruhe aus religiösen und politischen Gründen, aber in sehr abgeschwächter Form", sagt er, klopft auf den Tisch und führt aus: "Zwischenfälle hat es bei uns noch nie gegeben. Ich sorge dafür, dass die Stimmung bei uns sachlich und ausgeglichen bleibt." Und: "Je schwieriger der Hintergrund, desto mehr sind die Menschen bereit, über sich hinauszuwachsen."

Ahnungslosigkeit

Dass seine eigene 17-jährige Tochter seit geraumer Zeit die Maturaschule besucht, spricht gleichsam für sich respektive ihn und gegen die AHS. "Leider – das liegt am System." Die Vorgeschichten seiner Studenten seien nahezu ident: In öffentlichen Schulen verwarnt oder durchgefallen, mit dem immanenten Gefühl, es als dummer Schüler nicht zu schaffen. Tausende haben es über die Jahrzehnte geschafft. Gelernt. Maturiert. Studiert. Doch wie?

Unabdingbar sei, betont der dreifache Familienvater immer wieder: "Kein Zwang und kein ,den Eltern zuliebe‘". Wer aktiv lernt, zu 90 Prozent im Unterricht anwesend ist, wird zu 95 Prozent die Matura schaffen." Der Weg dorthin kann bei Septimanern (Schülern der 7. Schulstufe) mit einem Jahr kurz, oft auch steinig sein.

"Bei vermeintlich allgemein bildenden Themen stoßen wir oft auf Ahnungslosigkeit. Man kann überhaupt nicht mehr von Grundlagen oder Grundkenntnissen ausgehen." Deshalb beginnt jeder Kurs in den vier Hauptfächern (Deutsch, Mathematik, zwei Fremdsprachen) mit der Auffrischung von Basiswissen. "In Deutsch nehmen wir beispielsweise die komplette Grammatik und neue deutsche Rechtschreibung, in Mathematik die Grundrechenarten durch, ehe wir darauf aufbauend in die Tiefe gehen."

Bauchgefühl

Heißt im Klartext, dass seine 31 fix angestellten Lehrer in den vier Haupt- wie neun Nebenfächern grundlegendes Wissen lehren müssen, weil es zuvor verabsäumt wurde?

"Ja, tatsächlich. Das liegt an den Jugendlichen, dem Elternhaus und an den Lehrern selbst. Im österreichischen Schulsystem kann man sehr lange ein schlechter Lehrer sein." Wie er Letztgenannten entgeht, habe mit Bauchgefühl beim Einstellungsgespräch, Erfahrung und Prüfungsergebnissen zu tun.

Nach drei Monaten tritt ein Externist in einem Nebenfach zur ersten externen Prüfung an. "Der Lehrer fiebert bei der Prüfung am meisten mit. Wenn die Schüler bestehen, wissen er wie ich, dass er ein guter Lehrer ist." Wenn nicht, kann Direktor Roland – im Gegensatz zum öffentlichen Schulsystem – das Dienstverhältnis einfach auflösen. Davon hat er in den letzten 20 Jahren keine fünf Mal Gebrauch gemacht.

Je mehr Schüler und Lehrer zu ihm kommen wollen, desto mehr Gedanken macht er sich – wie jetzt im KURIER-Gespräch – über den Sinn der Zentralmatura.

"Wollen wir eine differenzierte, gebildete Gesellschaft, oder verlangen wir von Maturanten einheitliche Kompetenzen nach dem Motto: ,Jeder, der die Matura hat, soll tunlichst das gleiche wissen und können?‘ Oder wollten wir mit der zentralen Reifeprüfung die Qualität der Lehrer prüfen? Wenn ja, dann ist die Matura der denkbar späteste und schlechteste Zeitpunkt dafür."

Roland-Dynastie
1926 gegründet von Erich Roland, der der Maturaschule bis heute seinen Namen gibt. Matthias Roland, studierter Jurist, übernahm die Leitung von seinem Vater Peter 1997, führt das Institut in Wien seither.

Von Matura bis Nachhilfe
Neben Berufsreifeprüfung und AHS-Matura können Nachhilfe-, Sprach- und EDV-Kurse sowie Wirtschaftsführerschein und Studienberechtigungsprüfung
absolviert werden. Zudem besteht die Möglichkeit von Fernunterricht.

Ab Mai wird erstmals in ganz Österreich eine "standardisierte kompetenzorientierten Reife- und Diplomprüfung" an allen AHS abgehalten, im kommenden Jahr dann auch an allen Berufsbildenden Höheren Schulen. Das Modell – in der EU fast überall seit Jahren üblich, in Frankreich sogar schon seit Napoleon vor 200 Jahren – ist simpel: Schülern des gleichen Bildungsweges wird überall der gleiche Test vorgelegt. Das ergibt 37 unterschiedliche Prüfungspakete. Insgesamt 220.000 Aufgabenhefte mit 3,9 Millionen Druckseiten werden derzeit gedruckt und Anfang Mai an alle 344 AHS verteilt.

Vor der schriftlichen Zentralmatura (ab 5. Mai) mussten die Schüler zudem eine vorwissenschaftliche Arbeit verfassen. Im Juni müssen sie noch eine mündliche Prüfung bestehen.

Die Organisation der Zentralmatura, die vom Bildungsinstitut bifie durchgeführt wird, verlief bisher mit kleineren Pannen: So wurden etwa bei Probetests zu wenig Aufgabenhefte geliefert, ein ominöses Bildungsdatenleck beim bifie sorgte für Aufregung, kritisiert wurden aber auch umstrittene Literaturbeispiele mit NS-Bezug beim Deutschtest.

Derzeit herrscht bei bifie und Bildungsministerium Hochbetrieb, um weitere Pannen zu vermeiden. Bei einem reibungslosen Ablauf der Zentralmatura dürfte Ministerin Gabriele Heinisch-Hosek durchatmen – zum ersten Mal in ihrer Amtszeit.

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