"Man soll Kanzler und Vizekanzler nicht am Arbeiten hindern"

Vizekanzler Mitterlehner und Kanzler Kern
SPÖ und ÖVP starten mit guten Vorsätzen ins neue Jahr. "2017 wird es keine Wahlen geben, es ist ein perfekt geeignetes Jahr zum Arbeiten", sagt ein wieder koalitionstreuer Reinhold Lopatka. Auf dem Programm stehen Arbeitsmarkt, Steuern, Wahlrecht und viel mehr.

Das abgelaufene Jahr 2016 war gespickt mit Krachs in der Regierung. Ein Höhepunkt der Auseinandersetzungen war, als ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka versuchte, unter Umgehung der SPÖ eine schwarz-blaue Rechnungshofpräsidentin zu installieren.

Spätestens seit dieser Aktion gilt Lopatka als Spaltpilz der Koalition. Doch wer dieser Tage mit dem ÖVP-Klubobmann spricht, erlebt ihn wie ausgewechselt. "Es stimmt, nach der Abstimmung über den Rechnungshof-Präsidenten befanden wir uns abseits der Normalität", räumt Lopatka ein. Aber er habe ein Gespräch mit seinem SPÖ-Gegenüber Andreas Schieder gehabt. "Jetzt ist die Normalität wieder eingekehrt", beteuert Lopatka.

An diesem Wochenende sind die Weihnachtsferien vorbei, und mit der ÖVP-Vorstandssitzung heute, Sonntag Abend in der Politischen Akademie beginnt das politische Neujahr.

"2017 wird kein Wahljahr. Es wird das letzte, ganze Arbeitsjahr vor der Nationalratswahl 2018", sagt Lopatka. 2017 werde auch frei von anderen, größeren Wahlgängen sein und sei daher "perfekt geeignet für das Umsetzen von politischen Projekten gemeinsam mit der SPÖ". Daher sei auch bei der Reform des Wahlrechts – die Pannen bei der Briefwahl sind ja nur notdürftig für die Bundespräsidentenwahl repariert worden – kein Zeitdruck gegeben. Lopatka: "Wir brauchen das neue Wahlrecht nicht vor Jahresende 2017, weil es heuer ohnehin keine Wahlen gibt. So können wir ausführlich darüber diskutieren."

Die neue Harmonie in der Koalition schlägt sich in Form fast gleichlautender Absagen an Neuwahlen nieder. "2017 wird das Jahr der Arbeit", sagt auch SPÖ-Klubchef Schieder.

"Man soll Kanzler und Vizekanzler nicht am Arbeiten hindern"
ABD0070_20151129 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA0139 VOM 29.11.2015 - ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka und SPÖ-Klubchef Andreas Schieder (R.) während einer Pressekonferenz zum Thema "Staatsschutz" am Sonntag, 29. November 2015, in Wien. Die Regierungsparteien haben sich auf das Staatsschutzgesetz geeinigt. - FOTO: APA/HERBERT PFARRHOFER

"Nachdem mit der Bundespräsidentenwahl eine wichtige Frage für die Republik geklärt ist, und nach einem Jahr Wahlkampf keiner mehr was von Wahlkämpfen hören will, gibt es jetzt die Chance für vernünftige Regierungsarbeit", sagt Schieder. Er setzt auf die Revision des Regierungsprogramms. Schieder: "Es haben sich nicht nur die Personen geändert, die das Regierungsabkommen verhandelt haben – Kanzler, Vizekanzler und Minister –, sondern auch das politische Umfeld ist seit 2013 ein anderes geworden."

So sei beispielsweise die Klimakonferenz in Paris abgeschlossen worden.

Neu sei auch das Thema des europäischen Schutzes der Außengrenzen.

Mit der Abschlagszahlung der Banken für die Bankenabgabe seien der Republik unerwartet 750 Millionen Euro zugefallen. Schieder: "Beginnend beim Letzteren: Es wird Dynamik in den Bildungsbereich kommen, weil wir mit diesen 750 Millionen Ganztagsschulen und Autonomie finanzieren können. Da betreten wird Neuland. Es wird nicht von Beginn an alles funktionieren, die Regierung muss erst lernen, los zu lassen. Denn Autonomie bedeutet Loslassen."

Die Klimaziele von Paris will Schieder nutzen, um Jobs zu schaffen. Auch soll die Digitalisierung voran getrieben werden. "Trotz stabilen Wachstums wird die Arbeitslosigkeit leider weiter steigen. Die Sorge um den Arbeitsplatz ist die größte Sorge der Österreicher, dieser werden wir uns verstärkt widmen", sagt der SPÖ-Klubobmann.

Beim Arbeitsmarkt wollen sich SPÖ und ÖVP eines heiklen Themas annehmen: Wie kommt es, dass es in Wien so viele Arbeitslose gibt, während die Gastronomie im Westen Österreichs die offenen Stellen nicht besetzen kann? Schieder kündigt an, das Problem unvoreingenommen anschauen zu wollen. "Haben die Hoteliers recht, wenn sie sagen, die Arbeitslosen wollen einfach nicht? Oder haben die Arbeitslosen recht, wenn sie sagen, die Bezahlung oder die Unterbringung seien nicht akzeptabel? Wahrscheinlich haben beide ein bisschen recht, und wir werden das lösen", verspricht Schieder.

Auch der Chef der ÖVP-Arbeitnehmer im ÖAAB, August Wöginger, kündigt eine Lösung für dieses Problem an. "Man wird sich die Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose ansehen müssen", meint Wöginger.

Der ÖAAB wird in die Wunschliste der ÖVP für ein neues Regierungsprogramm folgende Punkte mit hoher Priorität einbringen:

Die kalte Steuerprogression soll fallen.

Das ÖAAB-Modell des Arbeitszeitkontos – man kann geleistete Überstunden ansparen und später als Freizeit konsumieren – soll ins Gesetz und den leidigen Streit um den 12-Stunden-Tag lösen.

Bei der Kinderbeihilfe für im Ausland lebend Kinder soll Österreich den von EU-Kommissar Gio Hahn vorgeschlagenen Weg gehen und im Alleingang, also ohne EU-Erlaubnis, die Kinderbeihilfe den Lebenshaltungskosten anpassen. Wöginger: "Das soll dann für alle gleich gelten. Wenn also Kinder eines Österreichers in Rumänien leben, wird auch deren Kinderbeihilfe gekürzt."

Wöginger will heute Abend all diese Punkte in die Sitzung des ÖVP-Vorstands einbringen. Ganz grundsätzlich will er sich im Kreis der ÖVP-Granden gegen Neuwahlen aussprechen. Wöginger: "Neuwahlen? Wozu? Wenn Kanzler und Vize sagen, dass sie arbeiten wollen, sollten wir sie nicht daran hindern."

Vorstand, Parteileitung, Regierungsklausur, Klubklausur – die ÖVP und ihr Obmann Reinhold Mitterlehner befinden sich von Sonntag bis Donnerstag im Dauersitzungs-Modus.

Bei der SPÖ ist hingegen alles auf ein Groß-Event fokussiert. Am Mittwoch, den 11. Jänner wird Kanzler Christian Kern eine große Rede halten. Der Schauplatz ist die Messehalle in Wels, 1400 Zuhörer werden erwartet. Die SPÖ hat den Bürgermeisterposten in Wels kürzlich an die FPÖ verloren, der Auftritt Kerns ist ein Signal, dass die SPÖ ihre an die FPÖ verlorenen Wähler zurück holen will.

Die ganze Veranstaltung ist auf Kern zugeschnitten, die Rede wird live in den Sozialen Medien übertragen. Sie ist, so heißt es aus informierten Koalitionskreisen, "nicht darauf angelegt, die ÖVP aus der Koalition zu ekeln". Sprengstoff für die Koalition enthält Kerns Rede also nicht, allerdings will die SPÖ die vom Kanzler angeschnittenen Themen in den kommenden Monaten weiter tragen.

Man erinnere sich: Vor einem Jahr hat der ÖVP-Klub das Thema Mindestsicherung ganz oben auf die politische Agenda gesetzt. Mit Attacken auf Wien, wo es viel mehr Mindestsicherungsbezieher als in anderen Bundesländern gibt, hat Lopatka erstmals eine Deckelung der Mindestsicherung für Familien mit vielen Kindern ins Gespräch gebracht. Das Thema sollte das ganze Jahr 2016 auf der politischen Tagesordnung bleiben.

Auch heuer hat Lopatka wieder ein heißes Eisen ausgesucht, mit dem der ÖVP-Klub "Themen setzen und Tempo machen" will. Heuer geht es um die Sozialen Medien. Lopatka: "Wir in der ÖVP halten die Meinungsfreiheit ganz hoch, aber zur Meinungsfreiheit gehört auch die Verantwortung für das, was da in den Sozialen Medien oft abgesondert wird." Der ÖVP-Klub wird beraten, ob und wie der Gesetzgeber in die Sozialen Medien mit Regeln eingreifen kann. Soll auf Facebook das Medienrecht gelten? Sollen Aussagen als öffentlich behandelt werden? Wie können die Anbieter der Sozialen Medien zur Verantwortung gezogen werden? Die ÖVP hat zur Klubklausur Experten eingeladen: Jürgen Pfeffer von der TU München, die Social Media-Expertin Judith Denkmayr und den Philosophen Wolfram Eilenberger.

Lopatka glaubt, manche Regelungen werde Österreich wahrscheinlich nur im EU-Gleichklang erreichen können, denn "wir allein gegen Facebook werden nicht viel ausrichten". Grundsätzlich sei er jedoch wild entschlossen, in den Sozialen Medien akzeptable Standards herzustellen, damit nicht unter dem Schutz von Decknamen Unwahrheiten verbreitet werden.

Darüber hinaus will Lopatka seinen Abgeordneten klar machen, dass sie ohne die Sozialen Medien auf Dauer nicht bestehen werden können. Strache mit seinen 518.000 und Sebastian Kurz mit seinen 593.000 Followern würden inzwischen über Twitter und Facebook weit mehr Menschen erreichen als mit Interviews in kleineren Qualitätsmedien.

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