Lunacek-Nachfolger: "Haben uns viel zu weit von den Bürgern entfernt"

Biobauer Tom Waitz
Der südsteirische Biobauer Thomas Waitz (44) beerbt Ulrike Lunacek im EU-Parlament in Brüssel und Straßburg.

KURIER: Sie sollen das EU-Mandat von Ulrike Lunacek übernehmen, bleibt das so, oder wird Ihres Wissens Lunacek jetzt doch bleiben?

Thomas Waitz: Mein Wissenstand ist, dass ich das Mandat am 9. November übernehmen werde.

Die Grünen rätseln, was auf Bundesebene so katastrophal schief gelaufen ist. Was ist Ihre Analyse?

Naja, da ist einmal der Umgang mit den jungen Grünen schiefgelaufen, das hätte so nicht passieren dürfen. Auch im Umgang mit den innerparteilichen Differenzen nach dem VdB-Wahlkampf ist wohl einiges schiefgegangen. Persönlich, finde ich, haben wir uns viel zu weit von den eigentlichen Problemen der Bürger entfernt. In unserer Kommunikation und in dem, was wir tagtäglich tun.

Thema Nummer 1 war für die Grünen der Klimawandel. Der wird in Österreich schon als Problem gesehen, aber eignet sich das für einen Wahlkampf?

Der Klimawandel ist ein Metathema, das so bedeutsam ist, das man darüber reden muss. Die Frage ist, wie man das macht, abgehoben über alle Köpfe drüber oder mit der persönlichen Betroffenheit jedes Bürgers, also bei der Lebensmittelsicherheit bis hin zu den gesundheitlichen Auswirkungen, den folgen der Wetterextreme, wie wir sie ja längst erleben, weltweit und in Österreich. Man kann auch ein kompliziertes Thema sehr viel näher bei den Bürgern kommunizieren.

Es scheint so, als ob nicht klar ist, wofür die Grünen eigentlich noch stehen?

Das ist offenbar ein Kommunikationsproblem. Denn wenn man sich ansieht, was an politischer Arbeit auch in der vergangenen Legislaturperiode geschehen ist, wie viele Anträge gestellt wurden, wie viele Initiativen, wie viel an eigentlicher politischer Arbeit gemacht worden ist, dann sieht man sehr genau, wofür Grün steht.

EU-Abgeordnete dürfen im Österreich-Parlament sprechen. Gibt es da einen Plan, wie Sie das nutzen wollen?

Wir drei EU-Abgeordnete haben jetzt eine besondere Verantwortung. Wir Grüne sind ja nicht weg, nur weil wir diese Wahl verloren haben, wir sind in den Bundesländern stark, wir sind in neun Landtagen, in sechs Landesregierungen und wir sind in Europa ein Faktor. Von unserem Rederecht im Parlament werden wir sicher ordentlich Gebrauch machen.

Kennen Sie den Steirer Peter Pilz persönlich?

Ja.

Wie groß ist Ihre Wut auf Pilz?

Wenn jemand ein Projekt wie die Grünen mitaufbaut und 31 Jahre lang mitgestaltet und mitarbeitet und dann einen Schritt setzt, der zu solchen Konsequenzen führt, lässt das einiges auf seinen Charakter schließen.

Steinhauser sagt, mit Pilz auf Listenplatz 4 wären die Grünen sicher noch im Parlament. Sehen Sie das auch so?

Ich denke, wir wären ohne die Abspaltung von Pilz und anderen sicher noch im Parlament, aber eben nicht ausschließlich wegen Pilz, sondern weil wir ohne dem Ganzen kein derart desaströses Bild einer nicht geschlossenen Gruppe abgegeben hätten. Das schätzen Wählerinnen und Wähler generell nicht. Denn mehr noch haben nicht Pilz, sondern die SPÖ gewählt, weil wir so ein zerstrittenes Bild abgegeben haben, auch wenn das so gar nicht gestimmt hat.

Sie bleiben zumindest bis Mitte 2019, bis zur nächster EU-Wahl, Abgeordneter. Kann man sich für diese kurze Periode überhaupt politische Ziele setzen?

Ich habe sehr konkrete politische Ziele, und sehe mich da mit den europäische Grünen weitestgehend auf einer Linie. Wir müssen die Landwirtschaftspolitik der EU so weit es geht beeinflussen und ändern. Es wird bald die neue Förderperiode geben, das wird jetzt verhandelt. Da geht es um eine wesentliche Frage, wer denn das Steuergeld bekommen soll, die bäuerliche Landwirtschaft oder die Agrarindustrie.

Mit welcher Expertise kommen Sie nach Brüssel?

Ich bringe als Praktiker viel Erfahrung ein, wie sich die Brüsseler Regeln in der Praxis auswirken und wo die Probleme der Landwirte wirklich sind. Ich habe 15 Jahre politische Erfahrung, fünf Jahre in der Landwirtschaftskammer. Und ich bin Biobauer, Imker, Forstwirt, habe viel Erfahrung mit bäuerlicher Direktvermarktung, aber auch mit der damit verbundene Bürokratie, den zahlreichen Auflagen. Wir sollten uns fragen, ob für jeden kleinen Bauern die gleichen Auflagen gelten SOLLEN wie für einen industriellen Betrieb.

Eines der Grünen Kernthemen, Ökologie, scheint kaum mehr eine Rolle zu spielen.

Dabei sollten ökologische Leistungen gefördert werden, das würde vor allem kleinen Bauern weiterhelfen. Auch, ob es Höchstgrenzen bei den Förderungen geben soll, zum Beispiel ob bei einer Förderhöhe von 100.000 Euro nicht Schluss sein soll. Das EU-Agrarfördersystem, wie es jetzt ist, stelle ich grundsätzlich infrage. Wir müssen die kleinen Bauern in den Mittelpunkt stellen, und nicht die Giganten der Agrarindustrie. Und wir müssen Leistungen für die Öffentlichkeit unterstützen, also gesundes Wasser, gesunde Luft, gesunde Lebensmittel. Dafür soll Steuergeld ausgegeben werden, und nicht für die Agrarindustrie.

Sie sind ja auch DJ – Welches Lied hätten Sie bei der Wahlparty der Grünen am Sonntag gespielt ?

The Human League- Being Boiled, angesichts des Wahlergebnisses :)

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