"Da fällt schon einmal das Götz-Zitat"

Parallelgesellschaft? Die Schilderungen von Problemen mit Jugendlichen und ihrem oft „völlig anderen kulturellen Hintergrund“ gleichen sich.
Lehrer über den herausfordernden Alltag mit Migranten. Ihr Wunsch: Mehr Hilfe bei Einbindung der Eltern.

Die leidgeplagte Lehrerin an einer Neuen Mittelschule in Wien Ottakring will eigentlich nicht, dass das "politische unkorrekte Wort" in der Zeitung steht, dann sagt sie es doch: "Müllklasse".

In solchen Klassen kommt alles zusammen, was den Schulalltag einer Lehrerin zur Qual machen kann: besonders schlechte, ältere Schüler, die mehrmals sitzen geblieben sind, in der Gruppe kaum akzeptierte "Rückfluter" aus den Gymnasien bis hin zu den migrantischen Jugendlichen mit schlechten oder gar keinen Deutschkenntnissen.

15 Nationen seien an ihrer Schule vertreten, erzählt die Lehrerin. "Die Nicht-Deutsch-Sprachigen fallen am wenigsten auf. Die türkischen Jugendlichen provozieren oft und sprechen absichtlich nur Türkisch. Manchmal möchtest du einem von ihnen am liebsten eine ,Watschn‘ geben. Als Reaktion kommt noch mehr Widerstand. Da fällt schon mal das Götz-Zitat."

Viele Jugendliche hätten einen muslimischem Hintergrund, Türken, Tschetschenen, Afghanen. "Die kommen aus einem ganz anderen sozialen Gefüge. Die Burschen sagen, wir sind was Besonderes. Ich lasse mir doch von einer Frau nichts sagen."

"Ein Mädchen kam einen Tag, dann ein Jahr gar nicht in die Schule. Sie wäre gemobbt worden."

Eine Lehrerin erzählt einen Fall für Sanktionen

Selbst erfahrenste Lehrerinnen seien oft ratlos. Der Ausländeranteil in Wiener Schulen liegt bei bis zu 70 Prozent, in einzelnen Klassen sitzen ausschließlich Kinder mit Migrationshintergrund.

Geldstrafen, wie jetzt debattiert (mehr zur Debatte lesen Sie hier), würden bei Regelverstößen "wenig bis gar nichts bringen", mehr "Hilfe von oben" jedoch sehr wohl. "Auch die Sozialarbeiter sind ja zu wenige und total überfordert. Ein Psychologe war einmal zusätzlich da. Der hat nach zwei Monaten wieder aufgegeben."

Eine Lehrerin aus Wien Favoriten erzählt: Eine Aushilfslehrerin mit (heimlichen) Türkisch-Kenntnissen hätte die beleidigenden und extrem ordinären Ausdrücke der Jungtürken hinter ihrem Rücken zuerst ignoriert, später akribisch notiert. Als nichts mehr half, wurde der Vater vorgeladen und saß sicherheitshalber gleich drei Lehrerinnen gegenüber. "Dass der junge Herr keine Hausübungen macht, war dem Vater egal. Dass er dauernd zu spät oder gar nicht zur Schule kommt, war dem Vater egal. Aber die Beschimpfungen der Lehrerin waren auch ihm zu viel. Das muss man zu seiner Ehrenrettung sagen."

"In Deutsch wollte die Muslimin nicht einmal die Vokabeln rund um das Thema Alkohol lernen."

Eine Kursleiterin schildert verschiedene "mentale Konzepte"

Selbst eine Kursleiterin in der Erwachsenenbildung, die "eher von den Integrationswilligen" umgeben ist, hat ihre Negativ-Erfahrungen gemacht. Der rote Faden in allen Schilderungen: Der Umgang mit Lehrerinnen, sprich das Nicht-Anerkennen, das Nicht-Respektieren der Frau.

So auch hier: "Ich habe den jungen Mann aufgefordert, die Landkarte zurückzuhängen, wo sie hingehört. Er war der Ansicht, das soll eine Frau erledigen und wollte das an eine Mitschülerin delegieren. Ein anderer hat ihm beigepflichtet. Da bin ich scharf dazwischen, das geht so nicht."

Wo die Autorität der Lehrer endet, müssen Sanktionen her, lautet der Tenor. Der Extremfall, der sehr selten vorkommt, sind Suspendierungen von gewalttätigen Schülern. Verwaltungsstrafen z. B. fürs Schulschwänzen gibt es, werden aber de facto kaum exekutiert. "Das steht auf geduldigem Papier", sagt ein Pädagoge. Im Alltag eher die Regel ist das Nachsitzen von Fehlstunden und das ernste Gespräch mit den Eltern.

"Nicht wirklich hilfreich ist, wenn die Eltern dann gar kein Deutsch können und der Problem-Sohnemann auch als Dolmetsch fungieren muss", sagt Lehrer-Vertreter Stephan Maresch. Auch der Gewerkschafter richtet einen Hilferuf an die Politik: "Alles wird auf den Lehrern und Direktoren abgeladen. Aber es gibt keine Fortbildung, es fehlen kompetente Ansprechpartner. Und man muss die Eltern stärker in die Pflicht nehmen."

Also doch Geldstrafen, wenn Vorladungen nicht nachgekommen wird? Die Lehrerin aus Ottakring weiß sich ohne zu helfen: "Ich rufe immer wieder an, ich mache Druck. Oft hilft es wunderbar, wenn man bei den Vätern in der Arbeit nachfragt. Da kommen sie dann plötzlich."

Woher kommt die neue Integrationsdebatte?

Unmittelbar nach den Anschlägen von Paris eröffnete der im Wahlkampf stehende steirische Landeshauptmann Franz Voves (SPÖ) die Diskussion, in dem er auch strafrechtliche Konsequenzen für "Integrationsunwillige" einforderte. Unterstützung signalisierte Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl (SPÖ), der zuerst im KURIER höhere Verwaltungsstrafen forderte, wenn Eltern beispielsweise nicht zu Sprechtagen kommen und Vorladungen ignorieren.

Wann ist jemand "Integrationsunwillig"?

Das ist ein politischer Begriff, für den es keine klaren Kriterien gibt und der in der Vergangenheit fast ausschließlich von FPÖ-Politikern verwendet wurde. Verknüpft mit der Forderung der Blauen, Integrationsunwillige oder -verweigerer abzuschieben.

Franz Wolf, Chef des Integrationsfonds, sagt: "Der Begriff betrifft die gesamte Gesellschaft und spricht beides an, die Übernahme von Rechten und Pflichten im Wohlfahrtsstaat." Was die Debatte erschwere, sei der enorme Mix an Zuwanderern. Wolf: "Wir haben die gesamte Bandbreite hier: von der polnischen Pflegekraft über den jungen Türken der zweiten Generation bis zum tschetschenischen Kriegsflüchtling." Die Übernahme von Verantwortung gegenüber der Gesamt-Gesellschaft sei in den einzelnen Gruppen höchst unterschiedlich ausgeprägt.

Welche Sanktionsmöglichkeiten gibt es heute bereits?

An Österreichs Schulen gibt es die Bandbreite von der Ermahnung bis zur Verwaltungsstrafe in Höhe von 440 Euro für Schule-Schwänzen oder Nicht-Teilnahme am Schwimmunterricht. Bei Gefährdung von Mitschülern oder Lehrern kann außerdem eine zeitweilige Suspendierung ausgesprochen werden oder der tatsächliche Schulausschluss erfolgen. In Wien wurde auch schon eine islamische Volksschule (Romanogasse) geschlossen bzw. soll die Privatschule Saudi School Vienna geschlossen werden.

Was will Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP)?

Er will Fälle von Schulpflichtverletzungen künftig mit Beträgen von bis zu 1500 Euro ahnden und Lehrern generell mehr Durchgriffsrechte einräumen. Viele Eltern und Lehrer seien von radikalisierten Jungen überfordert, aber es gebe auch Eltern, die die Radikalisierung sogar unterstützen und nicht kooperativ sind, heißt es aus dem Ministerium.

Wie wichtig ist der islamische Religionsunterricht im Kontext der Radikalisierungsfrage?

66.000 Schüler und Schülerinnen, davon fast die Hälfte in Wien, besuchen islamischen Religionsunterricht in Österreich.Von mehr als 300 Islamlehrern sind 170 in Wien tätig. Minister Kurz sagt: "Sie sind die Antennen zur religiösen Jugend. Sie müssen aufklären, den IS-Terror verurteilen und Radikalisierungstendenzen von Schülern und Schülerinnen sofort anzeigen." Dazu gibt es eine große Informationskampagne in islamischen Vereinen, Gebetshäusern und Moscheen. Inhalt: Was ist unislamisch an dem Terror des IS und was können Muslime dagegen tun.

Wie diskutiert man das Problem der Integrationsunwilligkeit anderswo, beispielsweise in Deutschland?

Generell toleranter als in Österreich, zuletzt aber wieder hoch emotional, vor allem wegen des Schreckgespensts der islamfeindlichen Pegida-Bewegung, die jedoch schon wieder zu zerfallen scheint. In der Vergangenheit (2010) haben aber auch gemeinhin unverdächtige Politiker wie ein SPD-Chef Sigmar Gabriel die Abschiebung von Integrationsverweigerern gefordert. Für ein Ende staatlicher Leistungen für Integrationsunwillige trat der frühere Vorstand der deutschen Bundesbank und Skandalautor Thilo Sarrazin ("Deutschland schafft sich ab") ein.

Was zeigen Studien oder Umfragen zur Integrationsbereitschaft in Österreich?

Großen Wirbel gab es 2006 rund um eine Studie des Innenministeriums, damals noch unter der Leitung der im selben Jahr verstorbenen Liese Prokop (ÖVP). Die Studie ging von 45 Prozent integrationsunwilligen Muslimen in Österreich aus. SPÖ, BZÖ und FPÖ sprachen vom Versagen der Innenministerin. Prokop konterte mit einer Aufstockung des Integrationsfonds, sagte aber auch: "Wer sich nicht integrieren will, hat bei uns nichts zu suchen." Die neueste Umfrage stammt von GfK aus 2014 und bescheinigt der Mehrheit hohe Integrationswilligkeit: Zwei Drittel der Migranten sehen Österreich als ihre Heimat. Zuwanderer aus Ex-Jugoslawien sagen das sogar zu 76 Prozent, jene aus der Türkei vergleichsweise seltener (58 Prozent).

Eine Reportage aus dem Alltag von Lehrern, die mit Schülern mit Integrationsproblemen zu tun haben, lesen Sie hier.

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