Kurz: "Der Migrationsdruck bleibt gewaltig"

Kurz war nie am Westbahnhof: "Wollte kein Signal einer Einladung setzen.“
Der Außenminister warnt vor einer Flüchtlingswelle über den Brenner und fordert Dichtmachen der EU-Außengrenze.

KURIER: Herr Minister, vor einem Jahr hat die Flüchtlingsfrage die Politik total in ihren Bann genommen. Bundespräsident, Innenministerin und viele Politiker kamen damals zum Westbahnhof, um mit Flüchtlingen zu reden. Sie waren nie dort. Warum?Sebastian Kurz:Ich habe großen Respekt vor der Zivilgesellschaft und den Menschen, die dort geholfen haben. Aber ich war ganz bewusst nie dort, weil ich von Anfang der Meinung war, dass es falsch ist, wenn Politiker damit das Signal einer Einladung setzen. Weil es dazu führt, dass sich immer mehr Menschen auf den Weg machen und das Mitteleuropa überfordert. Ich habe von Anfang an Sorge gehabt, dass wir Menschen damit ermutigen und sie teilweise sogar das Gefühl haben, eingeladen worden zu sein. Ich habe daher sehr früh davor gewarnt. Damals ist das immer als rechts abgetan worden.

Gab es diese Diskussionen auch innerhalb der Regierung?

Es wurde sehr viel diskutiert, aber es war nicht möglich eine Linie zu haben. Damals haben viele Politiker in Europa, in der SPÖ und viele Politikerkollegen unterschätzt, wie viele Menschen bereit sind, sich auf den Weg zu machen, wenn der Weg nach Europa offen ist. Ich habe schon damals die Meinung vertreten, dass wir die Hilfe vor Ort ausbauen, legale Wege der Migration für die Schwächsten der Schwachen schaffen, aber dass wir die illegale Migration stoppen müssen und nicht unterstützen dürfen.

Damals war aber auch die ÖVP zumindest nach außen hin noch auf Merkel-Faymann-Kurs. War das intern auch so?

Ich war schon damals der Meinung, dass wir nicht nur über die Verteilung der Flüchtlinge in Europa, sondern auch über den Schutz der Außengrenzen sprechen müssen. Denn auch durch noch so gute Verteilung kann man das Problem des großen Zustroms nicht lösen.

Waren Sie mit dieser Position auch innerhalb der ÖVP allein?

Ich habe mich nie alleine gefühlt, aber innerhalb der Regierung war meine Position die absolute Minderheitsmeinung. Ich habe diese Linie ja nicht aus heiterem Himmel eingeschlagen, sondern alle Experten, die mich beraten haben, haben gesagt: Wenn die Flüchtlingszahlen noch im Herbst bzw. Winter so hoch sind und weiter solche Signale der Offenheit gesetzt werden, werden die Zahlen bald explodieren. Diese Experten haben leider Gottes Recht behalten.

Was hat dann den radikalen Schwenk in der Flüchtlingspolitik in der Koalition ausgelöst?

Das war rund um Weihnachten letzten Jahres, als allen klar wurde, dass der weitere ungehemmte Zustrom nicht mehr funktionieren kann. Mit der Balkan-Reise und der Westbalkan-Konferenz haben wir dann mit der Schließung der Route die Notbremse gezogen und Tatsachen geschaffen. Mit hässlichen Bildern und Schicksalen dahinter, menschlich sehr belastend, aber dieser Schritt war entscheidend.

Angela Merkel hat dieser Tage auf ihrem Satz "Wir schaffen das" beharrt. Der SPÖ-Verteidigungsminister hat das kürzlich "unverantwortlich" genannt. Sehen Sie das auch so?

Hans Peter Doskozil, Wolfgang Sobotka und ich arbeiten in dieser Frage sehr eng und gut abgestimmt zusammen. Wenn "Wir schaffen das" so zu interpretieren ist, wie viele das auch verstehen, "Wir wollen das schaffen" und noch mehr Menschen aufnehmen, dann ist das natürlich unverantwortlich. Wenn es so gemeint ist, wir müssen die Integration der Menschen schaffen, die da bleiben dürfen, dann ist der Satz richtig, denn das ist alternativlos.

Viele die nicht bleiben dürfen, können aber nicht abgeschoben werden. Aus der SPÖ gibt es zunehmend Kritik an Ihnen, weil es zu wenige Rückführungsabkommen, vor allem mit afrikanischen Ländern, gibt.

Europa schickt Leute in Länder ohne Abkommen, scheitert aber an Ländern mit Abkommen. Es geht um Anderes. Es ist keine neue Erkenntnis, dass fast alle Flüchtlinge aus Ländern kommen, in denen Krieg herrscht oder wo Leute an der Macht sind, die sich weigern, Leute zurückzunehmen. Das sollten alle gewusst haben, bevor sie im letzten Jahr diesen offenen Weg in der Flüchtlingspolitik eingeschlagen haben. Zuerst alle aufnehmen zu wollen und sich dann darüber zu beschweren, dass die Menschen da sind, das halte ich für einen etwas absurden Zugang. Man darf die Leute erst gar nicht hereinlassen, vor allem an der EU-Außengrenze – und wenn das nicht möglich ist, an unseren eigenen. Das Innenministerium, das in der Frage der Rückführungen zuständig ist, ist hier extrem aktiv und schafft es auch, mehr Menschen rückzuführen als andere Staaten. Ein zusätzlicher Weg ist, wenn wir auch auf europäischer Ebene mehr Druck auf jene Länder ausüben, die sich weigern, illegale Migranten zurückzunehmen, indem wir Ihnen Finanzhilfen kürzen.

Heeresminister Doskozil sagte jüngst im KURIER, er habe dieser Tage ein Déjà-vu-Erlebnis aus seiner Zeit als burgendländischer Polizeichef: Die zunehmenden Flüchtlingszahlen in Italien erinnern ihn an die Lage vor einem Jahr in Ungarn, als immer mehr Flüchtlinge zu uns drängten. Teilen Sie als Außenminister diese neue dramatische Lageeinschätzung?

Ich bin mit dem Verteidigungsminister einer Meinung. Niemand weiß, wie hoch die Zahlen noch steigen werden, aber sie sind definitiv derzeit zu hoch. Ich habe jüngst viel Kritik für meinen Vorschlag einstecken müssen, dass wir den Zustrom schon an den Außengrenzen stoppen müssen: Das heißt, dass jeder, der im italienischen Lampedusa oder im griechischen Lesbos ankommt, nicht weiter aufs Festland weitertransportiert werden darf. Wenn man ihn dort nicht stoppt, dann werden die Menschen weiter nachkommen. Wenn wir nicht schleunigst als Europäische Union dieses System schaffen, werden die Menschen bald über den Brenner zu uns weitergewunken werden.

Zu Ende gedacht heißt das, Sie fordern die Rückführung der Flüchtlingsboote, die jetzt im Mittelmeer aufgegriffen werden an die libysche Grenze?

Was ich fordere ist, dass die Menschen schon an der Außengrenze gestoppt werden und nicht weiter aufs Festland gebracht werden. Das stoppt den Zustrom. Denn die Menschen kommen nicht, um in Lampedusa oder Lesbos Sicherheit, sondern um ein besseres Leben in Österreich, Deutschland oder Schweden zu finden. Das ist menschlich zu hundert Prozent nachvollziehbar. Aber wenn wir diesen Wunsch erfüllen, dann dürfen wir uns auch nicht wundern, dass sich mehr und mehr Menschen auf den Weg machen. In Afrika lebt derzeit eine Milliarde Menschen. In 20 Jahren werden es zwei Milliarden Menschen, Ende des Jahrhunderts vier Milliarden Menschen sein. Der Migrationsdruck bleibt gewaltig.

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