Kurz' Bewegung "hat Züge einer Panikreaktion"
Parteien sind out, spätestens seit Emmanuel Macron mit seiner Bewegung "En Marche" nicht nur die Präsidentschaftswahlen gewann, sondern auch die absolute Mehrheit bei den folgenden Parlamentswahlen erreichte. Und seit sich die Türen des Linzer Design Center nach dem Parteitag am 1. Juli öffneten, will auch die ÖVP unter ihrem neuen Obmann Sebastian Kurz keine Partei mehr, sondern eine Bewegung sein. In einem aktuellen ORF-"Report"-Interview schaffte es Bewegungssprecher Peter L. Eppinger, das Wort "Bewegung" in einer Minute neun Mal unterzubringen. Das Ziel dieser Bewegung? "Wir bewegen uns Richtung 15. Oktober". Warum das alles nicht so einfach ist und für ihn Parteien als Bewegungen ein "Etikettenschwindel" sind, erklärt der deutsche Protest- und Bewegungsforscher Simon Teune.
Was zeichnet eine politische Bewegung aus?
Sie ist ein Zusammenschluss von heterogenen Gruppen, die ein gemeinsames gesellschaftspolitisches Programm – zum Beispiel den Umweltschutz – haben, von unten organisiert sind und in denen niemand einen Führungsanspruch erheben kann.
Sie sind Protest- und Bewegungsforscher, ist der Protest ein unabdingbares Merkmal einer Bewegung?
Ja, darin ist sich die Forschung eigentlich einig.
Wenn sich eine Bewegung also gegen die aktuelle Politik richtet, was sagt es über die politische Landschaft aus, wenn sich eine Partei zur Bewegung machen will?
Ich würde sagen, das hat Züge einer Panikreaktion. Die Wahlen in Frankreich und in den USA haben gezeigt, wie schnell Parteien demontiert werden können. Da ist es natürlich naheliegend, sich das erfolgreiche Konzept, nämlich die Selbstbezeichnung als Bewegung abzuschauen. Aber natürlich bleibt die Frage, was das für die Partei bedeutet, wenn man sich von der Organisationsform der Partei lossagt, aber eigentlich alles so bleibt wie es war.
In Österreich haben wir jetzt eben den Fall einer ganz klassischen Partei, der ÖVP, die sich neuerdings Bewegung nennt. Was ist da die Idee dahinter?
Es gibt eine Krise und Neuordnung der repräsentativen Demokratie, in der Parteien als negativ angesehen werden. Und der Begriff der Bewegung weckt positive Assoziationen von Aufbruch und Veränderung. Das hat sich Donald Trump zunutze gemacht, der seine Kampagne als Bewegung abseits der Parteien verkauft hat; das hat auch Macron in Frankreich gemacht und nun wird in Österreich ebenfalls versucht, sich vom schlechten Image der Parteien abzuwenden und der ÖVP einen frischen Anstrich zu geben. Aber man ist keine Bewegung, nur weil man sich so nennt. Wenn man das nur tut, um auf der Welle der Parteienverdrossenheit zu reiten und Wählerstimmen einzufangen, dann ist das ein Etikettenschwindel. Es gibt in einer Bewegung keine Organisation von oben nach unten, es gibt eine gleichberechtige Beteiligung, es bestehen immer Vielfalt und Unterschiede –das alles läuft einem Projekt zuwider, das auf die Maximierung von Wählerstimmen ausgerichtet ist.
Widersprechen sich die Begriffe Partei und Bewegung also?
Das Verhältnis von Parteien und sozialen Bewegungen ist sehr komplex, viele Parteien sind aus sozialen Bewegungen hervorgegangen – von der Sozialdemokratie bis zu den Grünen. Die meisten haben dann eine Eigendynamik entwickelt und folgen der Logik einer politischen Partei - was dann immer wieder zu Konflikten mit der Bewegung führt, aus der sie hervorgegangen sind. Dass eine Partei gleichzeitig Bewegung ist oder eine Bewegung nur darauf ausgerichtet ist, Wählerstimmen zu bekommen, das widerspricht der Grundidee einer Bewegung.
Wenn man ihre Beispiele jetzt aufdröselt: Trump war vor seiner Kandidatur kein Politiker, Macron hat abseits der klassischen Parteien agiert, aber bei der ÖVP hat sich außer dem Parteiobmann nicht viel geändert.
Genau, daran sieht man, wie lächerlich das ist. Es gibt kein reales Angebot zur Beteiligung und zum Zuhören. Die Leute, denen bei Wahlkampfveranstaltungen gesagt wird, sie seien Teil einer Bewegung, werden als Stimmvieh behandelt.
Peter Pilz, der nun auch mit einer Bewegung liebäugelt, sagt, dass er kein großes Wahlkampfbudget mehr braucht und damit auch keinen klassischen Parteiapparat – weil er direkt über soziale Medien mit den Menschen kommunizieren kann – wie das auch Trump über Twitter macht. Welche Rolle spielen soziale Medien tatsächlich?
Sie haben natürlich mit diesen Veränderungen zu tun, aber die Frage ist: Kann sich über soziale Medien dauerhaft eine Organisation bilden? Soziale Bewegungen sind vielgestaltig und heterogen, aber die Gefahr besteht immer, dass sie Strohfeuer sind – das gilt auch für die Kampagnen von Trump und Macron. Wenn man es nicht schafft, das zu stabilisieren, ist es schwierig, beim nächsten Mal überhaupt wieder zur Wahl anzutreten, weil die Unterstützung sehr volatil ist. Wenn es kein dauerhaftes Programm gibt, auf das man sich beziehen kann und wenn es kein langfristiges Projekt gibt, wird es schwierig.
Es ist eigentlich paradox: Wir haben Wohlstand, wir haben keine Krise, aber ein diffuses Unzufriedenheitsgefühl. Entstehen deshalb vielleicht „Bewegungen“, die kein konkretes Ziel haben, wie es noch die Antiatombewegung hatte?
Bewegungen ohne Ziel sind kaum vorstellbar, denn der Antrieb ist ja gerade, dass man etwas verändern will. Aber tatsächlich ist das diffuse Dagegen-Sein und die ätzende Kritik von Pegida in Deutschland eine erstaunliche Entwicklung, an der man sieht, wie stark auch durch Hass ins Absurde verzerrte Probleme mobilisieren können.
Zeichnet es aktuelle Bewegungen aus, dass sie eher von rechts als von links kommen? Sogar die Identitären bezeichnen sich als Bewegung.
Der Begriff wird da benutzt, um zu suggerieren, dass man nicht eine kleine Gruppe, sondern ein breiter gesellschaftlicher Zusammenschluss ist. Aber die Identitären sind das Gegenteil: ein kleiner elitärer Zirkel von neonazistischen Kadern – sie haben eine kluge Medienstrategie, aber das hat nichts mit einer Bewegung zu tun. Problematisch wird es, wenn diese Selbstzuschreibung in der medialen Berichterstattung übernommen wird. Wie bei den elektoralen Projekten ist das auch eine Marketingstrategie.
Welche Bewegungen haben aktuell wirklich eine Bedeutung?
Bedeutend sind nach wie vor ganz unterschiedliche Bewegungen, von der Selbstorganisation von Flüchtlingen über die Gewerkschaftsbewegung bis hin zur Bewegung für digitale Rechte. Markant ist die neue Welle einer Bewegung von rechts. Die Zusammenschlüsse gegen die Unterbringung von Asylsuchenden in Deutschland oder die Parole „Merkel muss weg!“ waren zwischenzeitlich sehr erfolgreich damit, die öffentliche Agenda zu beeinflussen. Es hat in der Folge massive, sehr problematische Einschränkungen der Rechte von Flüchtlingen gegeben.
Hat die klassische Partei noch eine Zukunft?
Ich bin kein Parteienforscher, aber mein Eindruck ist, dass die Versuche, Parteien neu zu denken – die Piraten oder die Cinque Stelle in Italien zum Beispiel – sehr schnell auf ihre eigenen Widersprüche gestoßen sind. Und letzten Endes dann genauso wie klassische Parteien funktionieren. Es stellt sich als schwierig heraus, etwas wie eine Partei grundsätzlich anders zu denken. Die Herausforderung ist tatsächlich, Beteiligungsformen ohne Mitgliedschaft zu finden, ein Angebot zu machen, das offener ist, was die Programmentwicklung betrifft, aber auch die Kandidaturen. Das sind eher kleinere Veränderungen, die sich aus der Parteienkrise ergeben können. Dass sich Parteien grundsätzlich überholen, davon würde ich nicht ausgehen.
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