Sozialgelder für EU-Ausländer kürzen?

Nachdem die EU Cameron Zugeständnisse gemacht hat, will Kurz Ähnliches in Österreich
Sebastian Kurz will Verschärfungen nach Vorbild Camerons. Aber beide könnten schon an der ersten Hürde scheitern.

"Wer nicht ins System einzahlt, bekommt weniger Sozialhilfe." Mit diesem, im KURIER deponierten Satz versuchte ÖVP-Außenminister Sebastian Kurz am Wochenende einen Pflock einzuschlagen: EU-Ausländer sollten vier Jahre warten müssen, ehe sie im vollen Ausmaß die Sozialleistungen in Anspruch nehmen dürfen; zusätzlich solle die Familienbeihilfe für EU-Ausländer indexiert, sprich an die Sätze der Herkunftsländer angepasst werden. Kurz berief sich mit seinen Forderungen auf eine Vereinbarung zwischen EU-Ratspräsident Donald Tusk und Großbritanniens Premier David Cameron. Ist das laut EU-Recht machbar? Und wie sinnvoll ist dies? Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen.

Die EU hat London zugesagt, dass Großbritannien Sozialleistungen für EU-Ausländer kürzen kann. Worum geht es dabei?

EU-Ratspräsident Donald Tusk hat Großbritannien Anfang Februar in Aussicht gestellt, zwei Verschärfungen vornehmen zu dürfen – sofern diese beim EU-Gipfel am 18. Februar beschlossen werden. Welche sind das? EU-Ausländer, die in Großbritannien arbeiten, deren Kinder aber im Herkunftsland leben, sollen eine indexierte Kinderbeihilfe ("child benefits") bekommen. Osteuropäische Arbeiter würden in Großbritannien dann nur so viel Familienbeihilfe ausbezahlt bekommen, wie sie in ihrem Heimatstaat beziehen dürfen. Die zweite Verschärfung ist eine "Notbremse" für das Sozialsystem. Sie sieht vor, dass Arbeitnehmer aus dem EU-Ausland bei besonderen Krisensituationen maximal vier Jahre lang einen begrenzten Zugang zu den Sozialleistungen haben dürfen.

Ist absehbar, ob die Kürzungen beim EU-Gipfel tatsächlich beschlossen werden?

Nein. Voraussetzung für ein Inkrafttreten der Regeln ist, dass Großbritannien in der EU bleibt, sprich: Das Vereinigte Königreich muss sich im Zuge des anstehenden Referendums zunächst für einen Verbleib in der EU entscheiden (Referendum möglicherweise im Sommer 2016, spätestens Ende 2017). Ist dies der Fall, will Europa die Probleme des britischen Wohlfahrtsstaats berücksichtigen. Konkrete Kürzungen beschließen die Staats- und Regierungschefs am 18. Februar aber nicht.

Gibt es neben Österreich andere EU-Länder, die die Verschärfungen umsetzen wollen?

In Brüssel wird derzeit davon ausgegangen, dass es sich bei den "in-work-benefits" um eine auf das britische Wohlfahrtsstaat zugeschnittene Lösung handelt. Welche Maßnahmen Österreich oder andere Länder umsetzen können, ist offen. Dazu muss man wissen: Im Unterschied zu Österreich, wo das Sozialsystem großteils wie eine Versicherung organisiert ist (man zahlt Beiträge in Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung etc.) ist das britische System rein steuerfinanziert. Es gibt keine Abzüge bei den Lohneinkommen, der Staat bezahlt alles aus dem öffentlichen Haushalt.

Könnte nach der britischen Lesart ein Land einfach seinen Zugang zum Sozialsystem für andere EU-Bürger beschränken?

Nein. Der diskutierte Mechanismus sieht vor, dass sich ein Land in einer Krisensituation befinden muss. Die Kriterien für die Überlastung sind offen, klar ist aber: Die EU-Kommission muss die Überlastung amtlich feststellen. Es genügt nicht zu behaupten: "Wir sind überlastet."

Was würden Verschärfungen Österreich bringen?

In der Debatte um eine mögliche Kürzung der Familienbeihilfe führt die ÖVP seit geraumer Zeit die Summe von 230 Millionen Euro ins Treffen – das sei der Wert, der laut Finanzministerium im Vorjahr für EU-Ausländer als Familienbeihilfe ins EU-Ausland überwiesen worden sei. Informell heißt es in der Volkspartei, man spare sich bei einer Verschärfung/Indexierung für EU-Ausländer einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag pro Jahr.

Wie sieht der Regierungspartner SPÖ die von Kurz propagierten Vorschläge?

Ausnehmend zurückhaltend. Zum einen inhaltlich: "Die ÖVP fordert auf vielen Ebenen, man müsse über die Kürzung von Sozialleistungen nachdenken. Gleichzeitig unterschlägt sie, dass etwa arbeits- oder integrationsunwilligen Personen schon jetzt bis zu 50 Prozent der Mindestsicherung gestrichen werden können. Das ist einfach Populismus", sagt ein SPÖ-Stratege. Aus dem Büro von Sozialminister Alois Stöger hieß es gestern, man sei immer gesprächsbereit und verhandle ja gerade Reformen im Sozialbereich mit der ÖVP. Allerdings sei es unseriös, Verschärfungen nach britischem Vorbild zu fordern, wenn unklar sei, was Großbritannien zugestanden wird. "Und für eine generelle Kürzungsdebatte im Sozialbereich bin ich nicht zu haben", sagt Stöger. "Diese würde nur neue Armut schaffen und insbesondere Familien die Perspektiven nehmen."

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