Krüger: "Nach Haider gab es in der FPÖ starken Rechtsruck"

Michael Krüger in seinem Büro
Der Spitzenjurist war 25 Tage FPÖ-Minister der Wenderegierung. Vor der Neuauflage der ÖVP/FPÖ- Koalition blickt Krüger zurück: Wie er Schwarz-Blau heute beurteilt und warum er mit der FPÖ nichts mehr tun haben will.

KURIER: Herr Krüger, die Bilanz der Wenderegierung wird sehr kontroversiell beurteilt. Für die einen war sie ein Niedergang, weil es zahlreiche Korruptionsfälle in den blauen Reihen gab. Andere erinnern gerne daran, dass Österreich damals als das bessere Deutschland galt. Was stimmt nun? Oder stimmen beide Beurteilungen?Michael Krüger: Ich würde sagen, beides stimmt. Die wirtschaftliche Bilanz ist bestens: Ohne die Pensionsreform, die zwar einige hart getroffen hat, wäre Österreich heute pleite. Die Abfertigung neu, die man als Rucksack mitnimmt, hat viele Vorteile für den Arbeitnehmer gebracht. Auch der Versuch, Sklaven- und Zwangsarbeiter des NS-Regimes eine symbolische Entschädigung zukommen zu lassen, war positiv. Das war in der rot-schwarzen Koalition jahrelang unmöglich. Die Korruption ist noch nicht aufgearbeitet. Der Telekom-Skandal ist ein Ausfluss des damals bestehenden Biotops. Da hat sich wirklich eine Clique aus Blauen und Schwarzen gefunden, die die Telekom als Bankomat der Republik benutzte. Faktum ist: Aus dieser Ära ist bis dato kein einziger Minister wegen Verfehlungen während seiner Amtszeit verurteilt. Ernst Strassers Verurteilung basiert auf einem Delikt, das viel später passierte.

Was ist mit dem Buwog-Prozess gegen Karl-Heinz Grasser?

Als Jurist respektiere ich die Unschuldsvermutung. Karl-Heinz Grasser sitzt zwar bald auf der Anklagebank. Doch eine Anklage ist nicht gleichbedeutend mit einer Verurteilung.

In der schwarz-blauen Ära schmissen viele die Nerven. Sie waren der Erste. Nach 25 Tagen traten Sie als Minister zurück. Offiziell wegen eines Überlastungssyndroms. War das die Wahrheit oder mussten Sie wegen des "Profil"-Interviews, in dem die Missen-Affäre thematisiert wurde, zurücktreten?

Eigentlich war Jörg Haider der Erste, der die Nerven geschmissen hat.

Inwiefern?

Weil er entschieden hat, in Kärnten zu bleiben. Er musste damals in einem Wiener Restaurant unter Polizeischutz aus dem Lokal gebracht werden, weil er derart heftig bedroht und fast attackiert wurde. Das hat bei ihm und seiner Familie Spuren hinterlassen und die Entscheidung mitbeeinflusst.

Was war nun bei Ihnen der Auslöser?

Es herrschte eine enorme Anspannung. Zwischen der Entscheidung, eine schwarz-blaue Koalition zu bilden, und der Angelobung der Regierung lagen nur etwa zehn Tage. In diesem kurzen Zeitraum mussten alle Kapitel abgearbeitet werden. Ich habe die Ressorts Justiz, Wissenschaft und Kultur alleine für die FPÖ verhandelt, weil dort die Personaldecke sehr dünn war. Es gab Tage, wo wir um Mitternacht ein Kapitel schlossen und um sechs Uhr das nächste eröffneten. Dann hatte ich praktisch keine Zeit, mich auf den Ministerjob vorzubereiten. Zusätzlich haben mir die Umstände der sogenannten "Wende" zugesetzt. Das Profil-Interview war ein journalistischer Leger und ein Turbo für meinen Rücktritt. Eine Missen-Affäre gab es nie. Es soll mir nichts Schlechteres passieren, als dass man mir eine Episode aus meiner Studentenzeit vorhält. Aber je länger mein Rücktritt zurückliegt, desto glücklicher bin ich, mich damals aus dem Rennen genommen zu haben. Heute bin ich mit meinem politischen Schicksal versöhnt.

Welche Umstände der Wende setzten Ihnen zu?

Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Ex-Kanzler Franz Vranitzky, den ich zwar persönlich sehr schätze, trat damals mit Schauspieler Michel Piccoli am Heldenplatz auf und meinte: "Hier ist das anständige Österreich". Dahinter versteckte sich die Botschaft: Hier sind die Anständigen und dort gehen die Falotten unterirdisch zur Angelobung. Es herrschten fast vorbürgerkriegsähnliche Zustände. Ohne Personenschutz konnte damals kein Minister unterwegs sein.

Wer hat eigentlich entschieden, dass die Koalition durch einen unterirdischen Gang zur Angelobung geht?

Das Kabinett Schüssel hat sich im Kanzleramt eingefunden. Wir blickten staunend auf den Heldenplatz und beobachteten, wie sich immer mehr Menschen versammelten. Es flogen Flaschen und Eier in Richtung Kanzleramt. Meines Wissens war es der damalige Wiener Polizeichef und heutige SPÖ-Niederösterreich-Chef Franz Schnabl, der Schüssel riet, unterirdisch zu gehen und ihm damit ein Ei legte. Die Symbolik war katastrophal.

War es damals für den inneren Kreis der FPÖ eigentlich vorhersehbar, dass die Partei wegen der Regierungsbeteiligung implodieren wird?

Es war ein Geburtsfehler, dass Haider nicht in die Regierung ging. Haider hat ein Opfer gebracht. Denn er war sich nicht sicher, ob Schüssel mit einem Vizekanzler Haider eine Regierung gebildet hätte. Deswegen meinte er: "Susanne, geh du voran." Der oberösterreichische FPÖ-Landesrat Hans Achatz hat mir später erzählt, dass vereinbart war, dass Susanne Riess die Partei treuhändig für Haider führen hätte sollen. Mit dem Ziel, dass Haider nach Wien zurückkehrt, wenn sich der erste Sturm gelegt hat. Wenige Tage vor dem Parteitag im Juni 2002 machte Haider einen Rundruf und meinte: "Ich will die Partei zurückhaben." Achatz antwortete ihm: "Wie stellst du dir das ohne Vorbereitung so kurzfristig vor?" Haider zeigte Einsicht, zog zurück und Riess wurde wieder zur Parteiobfrau gewählt – aber es arbeitete natürlich in ihm. Er hatte den Eindruck, dass sich die Regierungsmitglieder von Schüssel & Co. vereinnahmen lassen und er keine Rolle mehr spielt. Dann wurde auch noch über seinen Kopf hinweg der Eurofighter-Deal abgeschlossen, obwohl Haider in Kärnten plakatieren ließ: "Geschafft, Eurofighter kommen nicht." Der Bruch kam mit der verschobenen Steuerreform, weil das Hochwasser wirklich eine billige Ausrede war.

Wurden Riess & Co. von Schüssel über den Tisch gezogen, ohne dass sie es merkten?

Wolfgang Schüssel war ein unglaublich machtbewusster Politiker. Ein hoher Beamter im Bundeskanzleramt beschrieb ihn als kleinen "Bismarck". Wenn man nicht solange in der Regierungsverantwortung war wie Schüssel, wurde man schnell zum Wachs in seinen Händen. Er hat der Regierung seinen Stempel draufgedrückt.

Im Vergleich zu 2000 reagiert das Land ziemlich gelassen, dass eine ÖVP/FPÖ-Koalition wieder ante portas steht. Was ist in den 17 Jahren passiert?

Die europäische Großwetterlage hat sich geändert. Wenn wir nach Polen, Ungarn oder Tschechien blicken – sind da viele Politiker am Werk, die wesentlich weiter rechts angesiedelt sind als die FPÖ. Die EU hat auch erkannt, dass Sanktionen das Gegenteil bewirken und Solidarisierung mit den regierenden Parteien auslöst. Die Sanktionen sind damals von der SPÖ im Ausland bestellt worden. Bei der internationalen Holocaust-Konferenz in Stockholm bat Viktor Klima das Ausland, aktiv zu werden. Aus meiner Sicht gab es keinen Grund dafür. Außerdem ist das Feindbild Jörg Haider abhanden gekommen.

Sie sind aus der FPÖ ausgetreten. Es ziehen nun 23 Burschenschafter in den Nationalrat ein. Was unterscheidet die FPÖ von heute von der damaligen?

Ich bin vor 12 Jahren aus der Partei ausgetreten. Haider hat die Burschenschafter mit Erfolg in der Partei zurückgedrängt. Sie hatten damals keinen Stellenwert. Anstelle von Burschenschaftern versuchte Haider eine Vielzahl von Quereinsteigern, wie etwa Peter Sichrovsky, um sich zu scharen, die nicht rechts standen. Durch Haiders Öffnung wurde die FPÖ eine Massenpartei. Bei der Spaltung 2005 sind die Wirtschaftsliberalen mit Haider zum BZÖ mitgegangen. In der FPÖ gab es einen starken Rechtsruck, weil der nationale Bestand bei Strache blieb. Er rekrutiert sein Personal aus dem hartgesottenen freiheitlichen und insbesondere aus dem burschenschaftlichen Milieu. Aus seiner Sicht ist das nicht ganz unverständlich. Sie sind für Strache Garanten, dass sich die Partei nicht nochmals spaltet. Wiewohl ich der Auffassung bin, dass Mitglieder aus einer Verbindung wie der Olympia nichts in einer Regierung verloren haben. Wenn eine Burschenschaft den Holocaustleugner David Irving einlädt, der in Österreich wegen Wiederbetätigung zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, dann hört sich der Spaß für einen Demokraten aus. Mit solchen Leuten wollte ich nichts zu tun haben.

Wird Schwarz-Blau länger Bestand haben als 2000?

Aus heutiger Sicht glaube ich, dass ich die kommende Regierung länger halten wird. Der Wille, in die Regierung zu gehen, ist in der FPÖ sehr groß. Das war 1999/2000 nicht so. Weite Kreise in der FPÖ haben Haider abgeraten, in die Regierung zu gehen. Er aber meinte, wenn wir jetzt nicht mitregieren, dann erfangen sich SPÖ und ÖVP vielleicht und wir sind auf ewige Zeiten abgemeldet. Aus Haiders Sicht öffnete sich 2000 eine einmalige historische Chance, die er nützen wollte.

Wie sehen Sie Haider heute?

Sehr differenziert. Im persönlichen Umgang kann ich nur das Beste sagen. Er war neben Hans Achatz auch der Einzige, der sich nach meinem Rücktritt um mich in der Partei kümmerte. Sein Tod hat mich erschüttert. Rückblickend sehe ich sein politisches Wirken aus einer anderen Perspektive. Es hat sich viel Schatten über Haiders Gesamtwerk gelegt. Er hat zugelassen, dass in Kärnten ein Biotop entstanden ist, dessen Dimension alles schlägt, was er jemals ÖVP und SPÖ vorgeworfen hat, etwa in der Günstlingswirtschaft und im zweifelhaften Auffetten der Parteikassen mit Steuergeld.

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