Kronzeuge Schieszler: "Man ist sehr einsam"

Telekom-Kronzeuge Gernot Schieszler im Interview mit Ida Metzger, Wiener Albertina am 20.08.2013.
Am Freitag soll es das erste Urteil gegen Lobbyist Peter Hochegger geben. Gernot Schieszler erzählt, wie die Deals liefen.

KURIER: Herr Schieszler, morgen geht im großen Schwurgerichtssaal in Wien der Telekom Prozess II weiter. Ohne der Kronzeugenregelung würden Sie auch der Anklagebank sitzen, weil Sie der Manager waren, der die Telekom-Gelder an die Parteien verteilt hat. Wie fühlen Sie sich, wenn Sie den Angeklagten in die Augen schauen und die Urteile gegen Rudolf Fischer & Co. hören?

Gernot Schieszler: Es tut mir für jeden Einzelnen leid und ich weiß auch, dass es mich hätte treffen können. Ich denke, egal, wie es für jeden Einzelnen ausgeht, es ist wichtig, dass irgendwann Urteile fallen, damit jeder die Möglichkeit bekommt, ab einem gewissen Zeitpunkt wieder leben zu können. Und ich bin weder die Judikative noch die Legislative, um beurteilen zu können, ob der Strafrahmen gerecht ist oder nicht.

Sie sind im Jahr 2000 zur Telekom als Assistent des Finanzvorstandes gekommen. Waren Sie überrascht, welche Begehrlichkeiten von der Politik an die Telekom gestellt wurden?

Bis ich in diesen innersten Managerkreis kam, dauerte es einige Jahre.

Welcher Auftrag brachte Sie in den innersten Kreis?

Das erste Mal war wahrscheinlich im Zuge der Kursmanipulation der Telekom-Austria-Aktie. (Anm. d. Redaktion: Im Auftrag von Stefano Colombo und Rudolf Fischer erteilte Schieszler dem Broker Johann Wanovits den Auftrag, den Kurs der Telekom-Aktie zu manipulieren. Wanovits kaufte massiv Telekomaktien, damit der Kurs an einem Stichtag nicht unter einen gewissen Wert fiel. Den Telekom-Managern winkte Prämien in Höhe von 8,8 Mio. Euro)

Warum wurden Sie ausgewählt? Weil Sie jung, ehrgeizig waren und nicht nachgefragt haben?

Vielleicht, weil ich einen übertriebenen Arbeitseinsatz zeigte, ich war für jeden rund um die Uhr erreichbar und auf diese Mitarbeiter greift man bei allen Aufgaben gerne zurück. Bei solchen Jobs braucht man jemanden, dem man vertraut, der wenig Fragen stellt und jemanden, der dafür bereit ist. Und das war ich, keine Frage.

Das heißt, Sie haben alles ohne Wenn und Aber umgesetzt?Das würde ich jetzt nicht sagen. Aus meiner Sicht war der Beweggrund des Vorstands für die Kursmanipulation eine Art moralische Verantwortung gegenüber den Führungskräften, die beim Börsegang in Aktien investieren mussten. Rund 100 Führungskräfte hatten keine Wahl, denn im Zuge des Börsegangs wurde ein 80-Punkte-Programm beschlossen. Einer dieser Punkte lautete, dass die Führungskräfte einen gewissen Prozentsatz an Aktien halten müssen. Wer nicht liquid war, dem blieb nichts anderes übrig, als einen Kredit aufzunehmen.

Aus Ihrer Sicht, war es nicht die reine Gier?

Nein, aus meiner Sicht nicht. Wenn der Bereicherungsgrund im Vordergrund gestanden wäre, hätte ich Nein gesagt. Aber die Motivation war für mich nachvollziehbar. Als die Aktien wegen des Gewinneinbruchs an Wert verloren, stand plötzlich die Frage im Raum: Was können wir tun, um die besten Mitarbeiter weiter zu motivieren, damit sie kein Geld verlieren? Hätte ich gewusst, dass wir uns bei diesem Geschäft im Sinne des Untreue-Paragrafens schuldig machen, hätte ich es nicht gemacht.

Wenn Sie nicht wussten, dass Sie hier eine strafbare Handlung setzen, warum fanden dann die Geldübergaben auf offener Straße und im Plastiksackerl statt?

Wir haben uns rechtlich nicht beraten lassen. Aber natürlich habe ich ab einem gewissen Zeitpunkt realisiert, dass ich da in etwas hineingerutscht bin, was ich nie sehen wollte. Ich wollte immer Erfolg durch ehrliche Arbeit haben. Und ich habe mir alles hart erarbeitet. Während meiner Studienzeit habe ich bei der Austria Presseagentur und im Sommer im Gastronomiebereich gearbeitet. Seit dem Tod meines Vaters, damals war ich 20 , unterstütze ich auch meine Mutter finanziell, weil sie Schulden auf dem Haus hatte.

In so einer Situation sahen Sie keine Exit-Strategie? Sie hätten den Job als Geldboten einfach ablehnen können ...

Ich fühlte mich wie auf einer Autobahnfahrt ohne Exit-Möglichkeit. So habe ich es zumindest damals gesehen.

Die Geldübergaben haben das Zeug für ein Drehbuch …

Wenn es unnahbare Vorgänge sind, wie etwa eine Überweisung, sowie tausend andere Überweisungen am Tag, dann realisiert man es nicht so bewusst. Aber bei diesen Geldübergaben erleben sie alles hautnah mit. Und das war ein Schock. Ein Schock, von dem sich ein Kollege, der in erster Instanz verurteilt wurde, auch gesundheitlich nie erholt hat.

Wie nervös waren Sie?

Sehr nervös – vorher und nachher. Und das ganze Jahr lang.

Sie haben 2005 begonnen, eine Shitlist zu schreiben, wo hat die Staatsanwaltschaft Ihre Aufzeichnungen gefunden?

Es gab mehrere Hausdurchsuchungen, unter anderem im kleinen Sommerhaus, das meiner Frau gehört. Ich hatte eigentlich jahrelang nicht mehr an diese Liste gedacht. Ich wusste selbst nicht mehr, dass die Liste im Sommerhaus lag.

Sehen Sie sich als Verräter oder als Aufdecker?

Ich denke, dass es nach den jahrelangen Ermittlungen für alle, eine Erleichterung ist, wenn es vorbei - mit welchem Ausgang auch immer. So ist es auch für mich und das sehe ich auch, wenn ich in die Gesichter der anderen schaue.

Wie geht es Ihnen, wenn Sie in das Gesicht von Herr Fischer schauen?

Wenn ich von Herrn Fischer lese, dass er vor Gericht fast weinerlich aussagt, dass es unglaublich ist, was das Unternehmen mit uns macht, dann kann ich das nachvollziehen. Nehmen wir die Prozesse gegen ihn einmal aus. In den 10 Jahren bei der Telekom habe ich Fischer als Menschen kennengelernt, der sich für das Unternehmen eingesetzt hat, der ein Herz für die Mitarbeiter hatte und den ich auch sehr respektiert habe. Würde ich mich besser fühlen, wenn ich neben ihm auf der Anklagebank sitzen würde? Das weiß ich nicht.

Wahrscheinlich nicht. Aber empfinden Sie wenigsten so etwas wie Mitgefühl?

Selbstverständlich. Mit jedem, der vor Gericht sitzt. Das beginnt bei den Einvernahmen. Ich kenne das alles. Meine längste Einvernahme dauerte 23,5 Stunden. Ich weiß, wie unangenehm eine Hausdurchsuchung ist, und ich weiß, wie unangenehm eine Einvernahme ist, wenn einem Beweise vorgelegt werden. Ich weiß aber auch, wie unangenehm es ist, vor Gericht zu sitzen. Auch wenn ich als Zeuge aussage und nicht auf der Anklagebank sitze. Aber ich werde von den Anwälten nicht wie ein Zeuge behandelt, sondern die meisten wollen mir ein Bein stellen. Es ist wie ein Match, wie David gegen Goliath.

Warum haben Sie vor Gericht Peter Hochegger als Ihren Mentor bezeichnet?

Weil er gesehen hat, wer Potenzial im Unternehmen hat, wer strategisch denken kann oder wen kann man nach außen herzeigen. Und er war in vielen Fragen ein guter Sparringpartner, vor allem auch inhaltlicher Natur. Deswegen haben wir uns immer besser verstanden und ich habe ihn oft um Rat gefragt. In den Prozesspausen haben sowohl Peter Hochegger als auch Rudolf Fischer behauptet, dass Ihre Aussagen, wie etwa, dass Hochegger bei der Telekom eine graue Eminenz war, eher „Gschichtln“ sind und nicht der Wahrheit entsprechen ...

Ich schildere es, so wie ich es wahrgenommen habe. Gegenfrage: Gab es eine andere Person als Hochegger, der eine graue Eminenz bei der Telekom hätte sein können? Gab es eine andere Person, die politisch so gut vernetzt war wie Hochegger? Vielleicht gab es sie, dann ist sie mir 10 Jahre lang nicht über den Weg gelaufen und sie muss auch kein Honorar verlangt haben, denn sonst wäre die Honorarnote über meinen Tisch gewandert.

Wie hoch war das Honorar von Hochegger bei den Geldverteilungsdeals?

Es war generell so, dass sich Hochegger 10 Prozent behielt. Und wenn kein Geld mehr da war, kam er zu mir und sagte: „Gernot, es ist kein Geld mehr da, wir müssen etwas machen.“

Wie liefen die Begehrlichkeiten seitens der Politik gegenüber der Telekom ab? Kam Hochegger zu Ihnen, wenn die Parteien Geld brauchten?

Nicht ganz. Vieles lief über Rudi Fischer, und der war zu weich, um Nein zu sagen. Denn es war so Usus. Was tun Sie, wenn jemand aus einem hohen politischen Amt anrief, und meinte, er braucht ein Sponsoring, etwa für einen Fußballclub? Hätten wir gewusst, dass das ein Rechtsbruch ist, hätten wir es sicher nicht gemacht oder wir hätten das Sponsoring ins Marketingbudget verpacken sollen. Heute wird gerne gefragt: Muss das sein, dass man 10 sündteure VIP-Packages für Hahnenkammrennen kauft? Mit diesen Zuwendungen haben wir uns erhofft, dass die Zuhörbereitschaft bei den Ministerien für den Breitbandausbau besser wird.

Es hat zwei Jahre gedauert, bis Sie den Kronzeugen-Status bekamen. Waren Sie sich sicher, dass es am Ende keine Einwände geben wird?

Gleich am Anfang habe ich alles skizziert, was ich wusste und dann sind das Ermittlungsteam und ich Schritt für Schritt immer tiefer gegangen. Die Ermittlungen für den Telekom-BZÖ-Prozess, der gerade verhandelt wird, sind durch meine Hinweise erst zustande gekommen. In dieser Situation befinden sich in einem Tunnel, mit dem Blick nach vorne gerichtet, wo sie wissen, da müssen sie durch. Wie lang der Tunnel ist und was sich am Ende des Tunnels befindet, die Frage stellt sich nicht. Psychisch und physisch ist es, als wenn sie einen Marathon nach dem anderen laufen. Ich habe darauf vertraut, dass, wenn ich mein ganzes Wissen zur Verfügung stelle, auch die Zusagen eingehalten werden.Wer ist in so einer heiklen Situation der engste Vertraute? War das Ihre Frau?

In so einer Situation ist man sehr einsam, es gibt keinen Vertrauten und es würde einen auch niemand verstehen. Ich habe meine Frau nie in eine Entscheidung eingebunden, weder während meiner Zeit bei der Telekom, noch habe ich ihr von den Aussagen beim Bundeskriminalamt erzählt. Auch wenn sie sich Sorgen machte, wenn sie mich stundenlang nicht erreichte. Und auch, dass ich Kronzeuge werde, habe ich alleine entschieden. Ich habe mich selbst hineingeritten, also muss ich mich auch selbst wieder rausziehen. Selbst bei den Hausdurchsuchungen hat meine Frau stoisch reagiert.

Haben Sie einen der Angeklagten schon einmal zufällig auf der Straße getroffen?

Manchmal von Weitem. Aber ich wechsle nicht die Straßenseite. Denn die Begegnung wird es früher oder später geben. Wenn nicht jetzt, dann in drei, vier oder zehn Jahren.

Rudolf Fischer sagt, er kann Ihnen gar nicht mehr ins Gesicht schauen ...

Das glaube ich und das ist ihm auch nicht zu verdenken.

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