Kritik an "überschießenden Eingriffen" durch geplantes Sicherheitspaket

Sobotka und Brandstetter
Gesetzesentwurf wird von Kritikern zerlegt. Verfassungsjurist Funk und Kriminalsoziologe Kreissl erklären, was an den Vorwürfen dran ist.

7291 Stellungnahmen (einige mit identem Inhalt) zum Sicherheitspaket sind in knapp drei Wochen eingegangen. Die Begutachtungsfrist läuft bis 21. August. Zum Vergleich: Bei der Bildungsreform – einem annähernd umstrittenen Thema – waren es insgesamt 1581.

Die SPÖ wirft der ÖVP "politisch unverschämtes Vorgehen" vor, die FPÖ nennt die geplanten Überwachungsmaßnahmen "DDR 4.0". Aber was ist so schlimm an dem, was Justizminister Wolfgang Brandstetter und Innenminister Wolfgang Sobotka vorgelegt haben?

Der KURIER hat die Vorwürfe mit Experten analysiert.

Der "Bundestrojaner" ist Spionagesoftware.

Laut dem grünen Klubchef Albert Steinhauser ermöglicht der geplante "Bundestrojaner" nicht nur den Zugriff auf versendete und empfangene Nachrichten (wie bisher kolportiert), sondern auch auf die "Cloud" – und damit auf sämtliche Daten auf dem Gerät, wie etwa eMails und Fotos. Das Ministerium begründet das damit, dass Kriminelle eMails ja auch als Entwurf abspeichern und sich so miteinander austauschen. Oder, indem sie geschriebene Botschaften abfotografieren.

Die Strafverfolgungsbehörden müssten mit dem technischen Fortschritt mithalten, wehrt sich die ÖVP - und die Maßnahmen seien ohnehin nur mit richterlicher Anordnung möglich. "Nur Verbrecher haben etwas zu befürchten, niemand sonst", betont Brandstetter.

Worauf SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim kontert: "Natürlich wollen wir bei Abhörmaßnahmen eine Gleichstellung von Telefonie und Internet-Kommunikation. Aber das geht zu weit."

Auch das Umfeld von Verdächtigen kann überwacht werden.

"Man rutscht schnell in den Status einer sogenannten ‚Person of Interest‘", warnt Kriminalsoziologe Reinhard Kreissl. Schon eine einfache Nachricht an eine Person, die im Visier von Ermittlungen ist, reiche aus, um selbst überwacht zu werden.

SPÖ-Justizsprecher Jarolim hakt ein: "Es ist viel zu ungenau definiert, unter welchen Voraussetzungen man als Kontaktperson überwacht wird. Das können Komplizen sein, aber auch Familienmitglieder oder Freunde."

Die Software wird von externen Firmen entwickelt.

Sowohl Steinhauser als auch Kreissl äußern Bedenken, dass die Regierung für die Entwicklung der Software auf externe IT-Firmen angewiesen ist. Damit liegt der Überwachungsapparat in der Hand von Privatunternehmen. Einige würden sich nicht scheuen, auch für Länder wie die Türkei oder den Iran zu arbeiten – "Regimes mit denen man nicht unbedingt in Verbindung gebracht werden will", gibt Kreissl zu bedenken.

Verfassungs- und Verwaltungsrechtsexperte Bernd-Christian Funk sieht das Risiko, dass die Software in falsche Hände gerät: "So ein System könnte sich verselbstständigen und Instrument krimineller Ausspähung werden."

Die Polizei gibt Daten an "Privatermittler" weiter.

SPÖ-Justizsprecher Jarolim ärgert ein Passus im Sicherheitspolizeigesetz, indem es heißt, die Polizei könne Personendaten an Plattformen weitergeben, die "an der Erfüllung von Aufgaben im öffentlichen Interesse" mitwirken. Als Beispiel werden regionale "Sicherheitsforen" genannt. Jarolim fühlt sich an "Blockwarte" aus der NS-Zeit erinnert. "Der Klassiker wäre, dass man bei Gefahr die Polizei ruft, aber die gibt ihre Kompetenzen aus der Hand."

Der Schutz der Privatsphäre wird aufgeweicht.

Das Absenken von Schwellen für die Strafverfolgung sei ein Motiv, das sich quer durch das Sicherheitspaket ziehe, sagt Verfassungsjurist Funk: "Es herrscht Einigkeit, dass die Polizei schärfere Mittel braucht, aber es stellt sich die Frage der Verhältnismäßigkeit."

Ein konkretes Beispiel sei das Ausweiten der Abhörmaßnahmen: Lauschangriffe sind bisher nur bei Delikten mit Strafandrohung ab zehn Jahren Haft möglich. Im Auto soll das schon ab einem Jahr möglich werden. Funk: "Es wird zu Recht kritisiert, dass das ein weit überschießender Eingriff ist."

- Raffaela Lindorfer und Bernardo Vortisch

Kritik an "überschießenden Eingriffen" durch geplantes Sicherheitspaket
Im Mittelpunkt der Kritik: Sobotka und Brandstetter.

Mit 1,3 Milliarden Nutzern weltweit ist WhatsApp (Teil des Facebook-Konzerns) die Nummer Eins unter den Kurznachrichten-Diensten. Im April 2016 wurde eine Verschlüsselung eingeführt, die sicherstellen soll, dass nur Sender und Empfänger der Nachricht diese auch lesen können. Mit dem neuen Sicherheitspaket der Bundesregierung soll diese Verschlüsselung durch den „Bundestrojaner“ geknackt werden.

Aber wie kann die Verschlüsselung umgangen werden? Die WhatsApp-Software weist Sicherheitslücken auf, die der „Bundestrojaner“ ausnutzen kann. Als Nutzer hat man kaum Chancen sicherzustellen, ob ein Nachrichtendienst sicher ist, dafür müsste man die Software einsehen können. WhatsApp legt diese aber nicht offen.

Auch deshalb erfreuen sich Messaging-Dienste wie „Telegram“ oder „Signal“, die die Software offen legen, wachsender Beliebtheit. 100 Millionen Menschen nutzen das in Russland entwickelte Telegram derzeit. Signal, das von einem US-Sicherheitsforscher entwickelt wurde, wird von besonders vorsichtigen Nutzern bevorzugt, es wird auch von Whistleblower Edward Snowden empfohlen. Bei Signal werden nicht nur Textnachrichten sondern auch Telefongespräche und Videotelefonate verschlüsselt. Zudem gibt es die Möglichkeit von „selbstzerstörenden Nachrichten“, die nur wenige Sekunden aufscheinen – und dann verschwinden.

- Bernardo Vortisch

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