Korruption: Wer sitzen muss, wer auf Freispruch hofft

African businessman in police line up
Im Telekomskandal stehen gerade Ex-BZÖ-Funktionäre vor Gericht. Ex-Spitzenpolititiker Ernst Strasser bekämpft noch seine Haftstrafe. Ex-Banker Wolfgang Kulterer bereitet sich bereits aufs Gefängnis vor.

Was würden Sie mit Ihren letzten Stunden in Freiheit tun? Was wäre, wenn Sie wüssten: Er kann jeden Tag kommen, der Brief, in dem ein Richter schreibt: In spätestens vier Wochen haben Sie sich in der Justizvollzugsanstalt Klagenfurt zu melden – die Haft wartet.

Den früheren Chef der Kärntner Hypo-Alpe-Adria-Bank, Wolfgang Kulterer, beschäftigen gerade diese Fragen. Er wartet auf den nämlichen Brief, ihm bleiben einige Wochen, maximal. Und bis dahin ordnet er alles Private. Wer bekommt die Schlüssel zum Haus, was passiert mit Versicherungen, Sparbüchern und dergleichen? „Es gibt viel zu regeln“, sagt Kulterers Anwalt Ferdinand Lanker zum KURIER. Vor wenigen Tagen erst hat der Oberste Gerichtshof die dreieinhalb Jahre Haft gegen Kulterer und seine drei Mitangeklagten bestätigt. Es war der unrühmliche Schlussstrich unter eine umstrittene Karriere. Vom Landeshauptmann in den Banken-Vorstand berufen, markierten Bilanz-Fälschungen und Untreue letztlich das Ende. Für Beobachter ist die Amtsführung symptomatisch für die schludrigen Verhältnisse, die Jörg Haider und seine Erben in der Kärntner Landespolitik zum Alltag machten.

„Mein Mandant nimmt das Urteil hin“, sagt Lanker, „er steht zu den Konsequenzen.“

Was bleibt ihm auch übrig. Selbst wenn er den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anruft – die Haft ist unabwendbar.

Politisch heikle Causen

Andere dürfen noch hoffen: Kärntens Alt-Landeshauptmann Gerhard Dörfler etwa steht gemeinsam mit der früheren Spitze des BZÖ (Ex-Landesrat Harald Dobernig, Ex-Haider-Pressesprecher Stefan Petzner, etc.) im Zentrum von Erhebungen der Justiz. Gegen fünf frühere Regierungsmitglieder ermitteln die Korruptionsjäger (siehe unten). Für einige Funktionäre der Orangen ist es seit dieser Woche noch einen Schritt ernster – sie sind Angeklagte im dritten Telekom-Prozess. Hier gilt es zu klären, ob die Telekom Austria 2006 rund eine Million Euro in den Wahlkampf des BZÖ gepulvert hat, um im Gegenzug mit für sie günstigen Gesetzen (Stichwort: Universaldienstverordnung) belohnt zu werden. Ein früherer Mitarbeiter von Justizministerin Karin Gastinger und der vormalige Parlamentarier Klaus Wittauer stehen vor dem Kadi, noch besteht die Möglichkeit eines schnellen Freispruchs – eine Perspektive, die die Ex-Politiker Josef Martinz und Ernst Strasser längst nicht mehr haben.

Wie Kulterer sind der frühere Kärntner ÖVP-Chef und der Ex-Innenminister erst-instanzlich – wenn auch nicht rechtskräftig – verurteilt; und wie der Kärntner Banker kämpfen sie mit allen Mitteln um eine Milderung, wenn nicht sogar Aufhebung ihres Urteils vor dem Obersten Gerichtshof. Für Strasser geht es um vier Jahre Haft, für Martinz sogar um fünfeinhalb.

So ist es nicht weiter verwunderlich, dass der Einspruch (Nichtigkeitsbeschwerde), den Martinz und sein Anwalt Alexander Todor-Kostic gegen das Urteil formuliert haben, stattliche 120 Seiten zählt. Seit seinem Abschied aus der Politik betreibt der frühere ÖVP-Chef aus Kärnten wieder einen Camping-Platz in Ossiach. Und von hier aus ringt er um Rehabilitation. „Es gibt zahlreiche Verfahrensfehler und eklatante Mängel“, sagt Anwalt Todor-Kostic im KURIER-Gespräch. „Das beginnt schon damit, dass dieser Prozess aufgrund der Voreingenommenheit des Richters gar nicht in Klagenfurt hätte stattfinden dürfen.“

Oberster Gerichtshof prüft jetzt

Zentrales Thema der Nichtigkeitsbeschwerde: Es wurde nur ein Sachverständiger zugelassen, nämlich jener, den die Staatsanwaltschaft bestellt hatte. „Damit wird sich der OGH auseinandersetzen müssen“, sagt Todor-Kostic. Er glaubt fest daran, dass das Urteil aufgehoben wird. Auch Martinz bleibt von seiner Unschuld überzeugt: „Ich bin das Opfer eines Schauprozesses“, sagt er. Wann sich der Oberste Gerichtshof mit dem Fall befassen wird, ist offen, Insider rechnen im Herbst 2013, allenfalls 2014 damit.

Der Zufall will es, dass sich die Höchstrichter fast gleichzeitig auch mit der Verurteilung von Ex-Minister Ernst Strasser beschäftigen müssen. Schon seit Anfang Mai hat er das schriftliche Urteil in Händen, doch da der Akt 42 Ordner und das Urteil 88 Seiten umfasst, wurde Strasser eine längere Frist gewährt, mögliche Einsprüche zu formulieren.

Der Ex-Minister muss auf Form- und Verfahrensfehler setzen – anderes prüfen die Höchstrichter nicht mehr.

Und die Chancen auf ein „Happy End“? Die Ex-Politiker haben wenig Lust zu spekulieren. „In Prozenten will ich mich dazu wirklich nicht äußern“, sagt Martinz. Gut möglich, dass er dabei an Wolfgang Kulterer denkt.

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) könnte eine eigene Kärnten-Filiale einrichten. Was zynisch klingt, bekommt angesichts der Zahl der laufenden Ermittlungen und Verfahren in Österreichs südlichstem Bundesland einen ernsthaften Hintergrund.

Denn laut einer parlamentarischen Anfrage-Beantwortung von Justizministerin Beatrix Karl sind in der zweiten Regierungsphase des mittlerweile abgetretenen Landeshauptmannes Gerhard Dörfler rund 90 Anzeigen gegen amtierende Mitglieder der Landesregierung eingebracht worden.

Nun sagt die Zahl der Anzeigen generell nichts über Substanz und Gehalt. Bei der Regierung Dörfler II dürfte dies aber anders sein, denn Karl macht zudem klar, dass die vorhandenen Anzeigen „offenbar nicht haltlos waren sowie einen Bezug zur politischen Tätigkeit der Angezeigten aufweisen“.

Aktuell sind neun Verfahren gegen fünf der bis März 2013 amtierenden Mitglieder der Landesregierung anhängig. KURIER-Recherchen zufolge handelt es sich um die große Causa „Wahlbroschüre und Weihnachtsinserate 2009“, in die aufseiten des damaligen BZÖ Ex-Landeshauptmann Gerhard Dörfler, Ex-Parteichef Uwe Scheuch, Ex-Landesrat Harald Dobernig (heute FPÖ) sowie BZÖ-Werbe-Experte Stefan Petzner involviert sind.

In einer anderen Sache, der Causa „Connect“ (bei der damaligen FPK-Agentur besteht der Verdacht der Parteienfinanzierung), sind die Ermittlungen abgeschlossen. Ein Vorhabensbericht ist im Frühherbst zu erwarten.

Noch im Stadium der Ermittlung sind diverse Anzeigen gegen Dörfler („Mister ein Prozent“ bei Straßenbauvorhaben, Asylantenheim Saualm, Umfahrung Bad St. Leonhard), die Beteiligung von Uwe Scheuch und Dobernig an der Causa Birnbacher sowie die Causa „Top Team“, in die auch drei SPÖ-Spitzenpolitiker Peter Kaiser, Gaby Schaunig und Reinhart Rohr verwickelt sein sollen. Auch der offensichtlich überhöhte Ankauf von Seenliegenschaften im Jahr 2007 ist ein Fall für die Korruptionsjäger geworden. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.

Am Freitag war es wieder so weit: Einmal mehr wurden neue Details aus den vier Jahre dauernden Ermittlungen gegen Karl-Heinz Grasser publik; und wieder konterkarierten diese die Behauptungen des Ex-Ministers. Das Nachrichtenmagazin Format präsentierte Auszüge aus Einvernahme-Protokollen, in denen der frühere Anwalt und Steuerberater Walter Meischbergers, Gerald Toifl, Grasser belastet. Toifl widersprach KHGs Verteidigungslinie, wonach dieser nichts vom BUWOG-Lobbying seines Trauzeugen Meischberger wusste.

Konkret berichtet Toifl, Grasser habe zum Anlageberater Norbert Wicki – einer zentralen Person in der BUWOG-Affäre – eine engere Geschäftsbeziehung gehabt als Meischberger. Und Toifl erzählt auch von stundenlangen Treffen Grassers mit Meischberger, bei denen sich der Minister „höchst nervös“ gebärdete und für die der Minister vorsorglich alle paar Wochen Nummer und Chip im Handy tauschte. „KHG wechselte die SIM-Karten öfter als andere die Unterhosen“, befundet Format – ein eigenwilliger Vergleich, zugegeben. Aber zumindest bei Grassers Steuer-Strafverfahren (der Ex-Minister hat laut Finanz in den Jahren 2003 bis 2010 rund 5,4 Millionen Euro zu wenig Steuern bezahlt) könnte es bald zu einer Entscheidung kommen: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) rechnet jede Woche mit dem Abschluss-Bericht der Finanzfahnder – und dann entscheidet sich, was und ob angeklagt wird.

Die Kern-Frage, ob KHG von der in seine Amtszeit fallenden Privatisierung der Buwog-Wohnungen profitierte (Meischberger und Lobbyist Hochegger kassierten nach einem Insider-Tipp zehn Millionen Euro vom siegreichen Bieter Immofinanz) kann aber noch immer nicht beantwortet werden. Die Korruptionsjäger warten auf Stiftungsunterlagen aus der Schweiz – und eben hier sind sie von dortigen Kollegen abhängig. Die Schweizer Staatsanwälte verhandeln mit Grassers Stiftungsräten, ob und welche Unterlagen hergegeben werden. Weigern sich die Stiftungsräte, müssen Richter entscheiden. Das geht über mehrere Instanzen und wird – wie die Verfahren in Liechtenstein – Monate, vielleicht Jahre dauern. Für die BUWOG-Ermittler heißt es also: weiter Geduld bewahren.

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