Können ÖVP und FPÖ die Länder zur "Mindestsicherung light" zwingen?

Können ÖVP und FPÖ die Länder zur "Mindestsicherung light" zwingen?
ÖVP und FPÖ wollen nun also doch eine "Mindestsicherung light" durchsetzen - notfalls auch, wenn es zu keiner Einigung mit den Ländern kommt.

Gerüchte zur neuen Regelung der Mindestsicherung gab es zuletzt viele. Da wäre der Bericht der Presse, wonach die Änderungen für Flüchtlinge bei weitem nicht so dramatisch ausfallen dürften, wie im Wahlkampf angekündigt. "Wir sind nicht mehr im Wahlkampf, und wir sind keine Oppositionspartei mehr", wird ein namentlich nicht genannter FPÖ-Verhandler darin zitiert. Sprich: Nun müsse man auch darauf achten, dass die Vorschläge verfassungskonform seien.

Und da gibt es den Bericht der Kronen Zeitung, der wieder ganz an die Ankündigungen aus dem Wahlkampf erinnert. Fünf Jahre sollen sich demnach Asylberechtigte bereits in Österreich aufhalten müssen, ehe sie Anspruch auf Mindestsicherung bekommen. Auch die vor dem 15. Oktober heiß diskutierte Deckelung für Familien auf 1.500 Euro, wie sie bereits in Ober- und Niederösterreich Realität ist, soll demnach kommen. Quelle? "Mitglieder des türkisen Koalitionsverhandlungsteams."

Offiziell ist das alles nicht. Bei ihrer Pressekonferenz zum Stand der Koalitionsverhandlungen am Freitag sprachen Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache aber davon, bei der "Mindestsicherung schon recht weit zu sein" (Kurz). Das Ziel sei eine Regelung ähnlich jener in Ober- und Niederösterreich, inklusive einer Deckelung bei Familien. Konkrete Zahlen, also wo diese Decke liegen solle, wollte Sebastian Kurz jedoch nicht nennen.

Orientieren wir uns also an den Zahlen in Niederösterreich: Laut Berechnungen des Sozialministeriums wären von einer Deckelung auf 1.500 Euro wie sie dort aktuell in in Kraft ist, im vergangenen Jahr 82 Prozent aller Paarhaushalte mit Kindern betroffen gewesen. In absoluten Zahlen ausgedrückt, wären bundesweit 50.033 Kinder - und zwar sowohl in- als auch ausländische - um Leistungen aus der sogenannten "Bedarfsorientierten Mindestsicherung" BMS umgefallen.

Kurz überlegt "Grundsatzgesetzgebung"

Ziel, so Kurz am Freitag, sei jedenfalls eine bundesweit einheitliche Lösung – und zwar entweder über den Konsens mit den Bundesländern, oder – falls dieser nicht zustande kommen sollte – über eine "Grundsatzgesetzgebung".

Dazu bräuchten ÖVP und FPÖ nicht einmal die Stimmen der NEOS. Laut Artikel 12 der Bundesverfassung könnte die Regierung für den Bereich "Armenwesen", zu dem die Mindestsicherung gezählt wird, ein sogenanntes "Grundsatzgesetz" auch mit einer einfachen Mehrheit beschließen. So können zwar nicht genaue Regelungen, aber Eckpunkte vorgegeben werden. Auch so konkrete Angaben wie eine Deckelung auf 1.500 Euro würden durchaus der gesetzgeberischen Praxis entsprechen, erklärt Verfassungsjurist Heinz Mayer auf KURIER-Anfrage. Ein "Drüberfahren" über die Länder und gegen den erwartbaren Widerstand aus Wien wäre also durchaus machbar.

Alternativ dazu wäre es auch möglich, die Mindestsicherung generell überhaupt zu einer Bundeskompetenz zu machen. Dafür bräuchte es freilich eine Zwei-Drittel-Mehrheit, müsste hierzu doch die Verfassung geändert werden. Es wäre also an den NEOS, diese Regelung durchzubringen, wobei diese - trotz Vorschlägen zu einer Verschärfung der Mindestsicherung, etwa einer Residenzpflicht - gegenüber dem KURIER klarstellten, nicht für ein Modell nach dem Vorbild Ober- oder Niederösterreichs zu sein. "Wir fordern hier das Vorarlberger Modell für ganz Österreich", heißt es von Seiten des Stv. Klubobmanns Niki Scherak (siehe dazu Abschnitt unten).

In Ober- und Niederösterreich erhalten Menschen mit rechtmäßigen Aufenthalt, die nicht zumindest in fünf der letzten sechs Jahre in Österreich waren, maximal 572,50 Euro.

Verfassungsrichter prüfen

Ob diese Schlechterstellung aber überhaupt verfassungkonform ist, prüft derzeit der Verfassungsgerichtshof (VfGH). Konkret ist die niederösterreichische Regelung, wie berichtet, beim VfGH anhängig. Das Landesverwaltungsgericht hatte Bedenken gegen die geringeren Mindeststandards für Menschen, die weniger als fünf Jahre in Österreich sind, sowie gegen die Deckelung geäußert.

Handlungsbedarf sieht Kurz jedenfalls gegeben, weil die Zahl der Mindestsicherungsbezieher explodiert sei. Zahlen aus dem Jahr 2016 belegen das zwar - innerhalb eines Jahres stieg die BMS um 40 Prozent, was letztlich auch dazu führte, dass sich die Länder nicht mehr auf eine Fortführung einigen konnten. 2017 fiel der Zuwachs insbesondere in Wien jedoch nicht mehr so dramatisch aus. Im Vergleich zu 2016 sei eine Stabilisierung der Zuwachsraten zu bemerken, hieß es auf KURIER-Anfrage zuletzt im Sozialressort. Demnach sei die Zahl der Bezieher im ersten Quartal im Vergleich zum ersten Quartal des Vorjahres noch um acht Prozent gestiegen. Im zweiten Quartal 2017 betrug der Anstieg nur mehr ein Prozent (mehr dazu hier).

Wie ist der Status quo?

Im Folgenden die verschiedenen Regelungen in den Bundesländern:

Können ÖVP und FPÖ die Länder zur "Mindestsicherung light" zwingen?
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WIEN: In Wien hat die rot-grüne Stadtregierung nach dem Ende der bundesweiten Regelung monatelang um eine eigene Regelung gerungen. Diese wurde im Juni präsentiert und steht - nach einer freiwilligen Begutachtung - erst am kommenden Donnerstag im Landtag zum Beschluss. Kernpunkt des Gesetzes: Anders als andere Bundesländer verzichtet die Bundeshauptstadt auf generelle Kürzungen oder Deckelungen der Mindestsicherung. Allerdings gelten künftig strengere Voraussetzungen - etwa für jüngere Bezieher. Künftig wird etwa die Bereitschaft, eine Beschäftigung oder ein Kursangebot anzunehmen, ein Kriterium. Auch wenn Eltern bereits Sozialhilfe beziehen, gibt es unter bestimmten Umständen weniger. Die neue Regelung tritt planmäßig mit 1. Jänner 2018 in Kraft.

NIEDERÖSTERREICH: In Niederösterreich gelten seit 1. Jänner 2017 neue Regeln. Wer seinen Hauptwohnsitz bzw. rechtmäßigen Aufenthalt nicht zumindest in fünf der letzten sechs Jahre in Österreich hatte, erhält maximal 572,50 Euro - genannt "BMS light". Eingeführt wurde auch eine Verpflichtung für Mindestsicherungsbezieher zu gemeinnützigen Hilfstätigkeiten, sofern nicht zeitgleich das Arbeitsmarktservice (AMS) Maßnahmen anordnet. Außerdem wird die Mindestsicherung mit 1.500 Euro pro Haushalts- bzw. Wohngemeinschaft gedeckelt. Ausnahmen gibt es für Personen, die Pflegegeld oder erhöhte Familienbeihilfe beziehen, oder die dauernd arbeitsunfähig sind. "BMS light"-Bezieher müssen eine Integrationsvereinbarung unterschreiben und Maßnahmen zur besseren Integration erfüllen, wie zum Beispiel Deutsch- oder Wertekurse. Bei Verweigerung werden die Leistungen gekürzt.

BURGENLAND: Das im März 2017 beschlossene burgenländische Mindestsicherungsgesetz sieht eine Mindestsicherung von 838 Euro für Einzelpersonen sowie eine Deckelung bei 1.500 Euro für Haushalte vor. Es gibt eine fünfjährige Wartefrist für Nicht-Österreicher, die bis dahin nur 584 Euro erhalten. Diese setzen sich aus einem Ausgangsatz von 319,20 Euro, einen Integrationsbonus von 136,80 Euro und 128 Euro zur Deckung des Wohnbedarfs zusammen. Voraussetzung für den Integrationsbonus ist die Unterfertigung einer Integrationsvereinbarung. Die Mindestsicherung kann im Burgenland ohne Ermahnung um bis zu 50 Prozent gekürzt werden, etwa wenn Auflagen des AMS nicht erfüllt werden.

OBERÖSTERREICH: Seit 1. Juli 2016 ist in Oberösterreich die umstrittene Novelle der reduzierten Mindestsicherung in Kraft, die mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ im Landtag verabschiedet wurde. Ein Jahr später wurde die Mindestsicherung zudem auf 1.512 Euro pro Haushalt gedeckelt. Betroffen von der 2016 erfolgten Kürzung sind zeitlich befristete Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte. Für diese Personengruppe gibt es nur mehr 365 Euro plus einen an Auflagen gebundenen Integrationsbonus von 155 - also in Summe 520 - statt wie bisher 914 Euro. Der Bonus wird zunächst ohne Bedingungen ausbezahlt. Um ihn in voller Höhe zu behalten, muss man eine Integrationsvereinbarung unterzeichnen, einen Deutschkurs sowie eine Werteschulung absolvieren und arbeitswillig sein. Tut man das nicht oder verstößt gegen die Integrationsvereinbarung - indem man Kinder etwa nicht in die Schule schickt -, wird gekürzt. Abgefedert wird das Paket durch zusätzliches Geld für Alleinerziehende und eine von vier auf zwölf Monate verlängerte Wohnmöglichkeit im Grundversorgungsquartier inklusive 40 Euro Taschengeld im Monat. Zudem wurde ein "Jobbonus" eingeführt, der allen Beziehern der Mindestsicherung zugutekommt.

STEIERMARK: Die steirische Landesregierung hat im September 2016 beschlossen, dass bei Missbrauch in Sachen Mindestsicherung rasch Sanktionen verhängt werden können. Eine Deckelung der Leistung gibt es nicht. Bei Missbrauch sind Sanktionen in mehreren Schritten möglich. Im ersten Schritt wird die Leistung um 25 Prozent gekürzt, wenn etwa eine Arbeit nicht angenommen wird oder ein Bezieher nicht beim AMS erscheint. Die Sanktion kann sofort und ohne vorherige Ermahnung verhängt werden. Kürzungen sind in weiteren Schritten bis zu 100 Prozent möglich. Sach- statt Geldleistungen sollen forciert werden, etwa bei Miete oder Betriebskosten. Der Grundbetrag beträgt 837 Euro. Für anerkannte Flüchtlinge ist eine Integrationshilfe in der Höhe von 628 Euro vorgesehen. Für anerkannte Flüchtlinge ist der Erhalt der Integrationshilfe mit Auflagen und Bedingungen verbunden wie dem Besuch von Deutsch- und Wertekursen. Bei Weigerung kommt es auch hier zu einer Reduzierung der Sozialleistung.

KÄRNTEN: In Kärnten ist die rot-schwarz-grüne Koalition bei der Mindestsicherung nach wie vor gespalten. Die ÖVP hat sich mit ihrer Forderung nach einer Deckelung bei ihren Koalitionspartnern SPÖ und Grüne nicht durchgesetzt - damit gilt nach wie vor alte Regelung mit einem Grundbetrag von 844 Euro.

SALZBURG: Die Salzburger Landesregierung hat eine Kürzung und Deckelung bei der Mindestsicherung bisher abgelehnt und sich wiederholt für eine bundesweit einheitliche Regelung ausgesprochen. Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) hatte sich in der Vergangenheit dafür ausgesprochen, anerkannten Flüchtlingen eine niedrigere Mindestsicherung auszahlen zu wollen als Österreichern. Mit einem Beitrag wie etwa der Sprachkurs-Besuch oder einer Integrationsvereinbarung sollen Asylberechtigte auf die gleiche Höhe kommen, lautete sein Vorschlag. Beim Koalitionspartner Grüne stieß dies nicht auf Zustimmung.

TIROL & VORARLBERG: Die jeweils schwarz-grünen Landesregierungen in Tirol und Vorarlberg haben gemeinsam das sogenannte "Westachsen-Modell" umgesetzt, welches zwar keine Deckelung vorsieht. Die Leistung für Bezieher, die in Wohngemeinschaften leben - meist Flüchtlinge - , wurde aber von 633 auf 473 Euro vermindert. Wohnen soll vermehrt als Sachleistung geregelt werden. Asylberechtigte, die die Integrationsvereinbarung nicht erfüllen, müssen zudem mit einer Kürzung der Mindestsicherung um bis zur Hälfte rechnen.

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