Kerns Fahrplan ins Bundeskanzleramt

Ziel erreicht: Christian Kern sitzt demnächst im Kanzleramt.
Der Coup: In der Öffentlichkeit dementierte Christian Kern seine Kanzler-Pläne immer. Im Hintergrund zog er ein Netzwerk auf, um am Tag X vorbereitet zu sein.

Fragt man den designierten Bundeskanzler Christian Kern (50) nach der besten Managementlektüre, dann kommt eine überraschende Antwort: "Eine bessere Management-Lektüre als Richard III. gibt es nicht. Auch wenn am Schluss meistens alle tot sind und einer weint." Eine fast prophetische Antwort, die Kern bei einer Diskussion auf der Fachhochschule des BFI Wien im Mai 2015 gab. Denn auf den Tag genau zwölf Monate später ist Werner Faymann politisch tot – und Kern wird zum Kanzler gekürt.

Von langer Hand geplant

Diesen Coup hat Kern von langer Hand geplant. An seinem Fahrplan ins Bundeskanzleramt arbeitete er die letzten Monate intensiv. In der Öffentlichkeit stritt Kern seine Kanzler-Ambitionen stets ab. "Ich denke nicht daran, am Sessel des Kanzlers zu sägen", beteuerte der Ex-ÖBB-Manager noch im Dezember 2014. Wahr ist vielmehr: Bereits damals hatte er sich backstage ein schlagkräftiges Netzwerk aufgezogen. Kern brachte rote Granden wie Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer und Steiermarks Alt-Landeshauptmann Franz Voves auf seine Seite.

"Ein Kanzlersturz ist kein Kindergeburtstag. Den kann man nicht planen, sondern nur mitdenken und die Entwicklung abwarten. Wie heißt es so schön in einer alten chinesischen Kriegsfibel: Siegen wird der, der gut vorbereitet darauf wartet, den unvorbereiteten Feind anzugreifen", sagt ein Politik-Berater. Auch der erfolgreiche Medienmanager Gerhard Zeiler ließ die Langzeitplanung der Faymann-Ablöse im KURIER-Interview durchblicken: "Christian Kern und ich haben vor einem Jahr ausgemacht, dass wir uns nicht in die Quere kommen."

Der Zeitpunkt kam wahrscheinlich selbst für Kern überraschend. Dass SPÖ-Bundespräsidentschaftskandidat Rudolf Hundstorfer ein derart desaströses Ergebnis eingefahren hat, ließ schon lange vorhandenen Groll über die Parteispitze hochkommen. Da hatte Kern die Schienen ins Bundeskanzleramt bereits erfolgreich gelegt.

Schiene 1: Die Landes-Chefs an Bord

100 Verkehrsstationen modernisierten die ÖBB. Ein rund drei Milliarden schweres Investitionsprogramm setzte Kern um. Da gab es jede Menge moderner Bahnhöfe an der Seite der Landeshauptmänner zu eröffnen. Ein unbezahlbares Netzwerk an Unterstützern konnte sich Kern so aufbauen. "Kern hat drei Bahnhöfe im Burgenland renoviert. Alle wurden zeitgerecht und ohne Budgetüberziehung eröffnet. Hier hat er seine Qualität bewiesen und sich Vertrauen erarbeitet", schwärmt Burgenlands Landeshauptmann Niessl.

Selbst Kerns Meisterstück – das Megaprojekt Wiener Hauptbahnhof – lief problemlos ab. Die roten Landeschefs hatte Kern damit sicher auf seiner Seite. Nicht verwunderlich, dass schon vor dem ursprünglich geplanten Hearing am vergangenen Freitag acht der neun SPÖ-Länderparteien Kern ihren Sanktus gaben. Das von Michael Häupl einberufene Hearing war damit obsolet. Dem Wiener Bürgermeister blieb nichts anderes übrig, als Kern als neuen SPÖ-Chef und künftigen Kanzler abzunicken. Auch hier fand eine Revolte der Bundesländer gegen das rote Wien statt.

Den Grund, warum selbst ÖVP-Landeshauptmann Erwin Pröll gute Miene bei Kern aufzieht, kann man auf einem Ackerfeld im Tullnerfeld bewundern. Hier wurde, nur wenige Kilometer vor St.Pölten, ein Bahnhof für den High-Speed-Railjet errichtet.

Eine zentrale Figur in dem Machtpoker war Altkanzler Alfred Gusenbauer. Er hat massiv bei diversen roten Länderchefs lobbyiert. "Gusenbauer hat mit Faymann noch eine alte Rechnung offen. Aber nicht in erster Linie, weil ihn Faymann vor acht Jahren als Kanzler ablöste, sondern weil damals zahlreiche Jobs in Brüssel neu besetzt wurden. Faymann hat Gusenbauer damals nicht geholfen – und einen Bannfluch über ihn ausgesprochen", sagt ein roter Ex-Politiker. Franz Voves wiederum war bekanntlich nie ein Faymann-Freund. Er hat für Kern die Steiermark aufbereitet und war einer der ersten, der den Rücktritt forderte. "Will man einen Kanzler ins Wanken bringen, braucht man Verbündete, die nichts mehr zu verlieren haben – und mit öffentlicher Kritik den Anstoß geben", erklärt ein Polit-Stratege. Diese Mission erfüllte ÖBB-Aufsichtsratsvorsitzende Brigitte Ederer noch am Wahlabend. "Da wussten alle Kritiker, die bis jetzt im Schlummer-Modus waren, das ist der Startschuss für die Faymann-Ablöse." Was dann folgte, ist bekannt.

Schiene 3: Polit-Profis im PR-Team

Wirft man einen Blick in die Kommunikationsabteilung der ÖBB, dann tauchen da jede Menge bekannter Namen aus dem Gusenbauer-Kabinett auf. Kern setzte auf Polit-Profis. Einer davon ist Stefan Pöttler, er war Pressesprecher unter Gusenbauer. Pöttler hat in kleineren Runden anklingen lassen, eigentlich das Kabinett Kern im Hintergrund vorbereitet zu haben.

Aber warum verzichtet Kern auf gut die Hälfte seines Gehaltes? Nicht nur der Macht wegen, sondern weil er eine Vision für Österreich hat?

Inhaltlich will sich der "Sozialdemokrat mit Wirtschaftskompetenz" erst bei seiner Regierungserklärung am Mittwoch in die Karten blicken lassen. Klar ist aber, das erzählen Mitstreiter aus dem Kanzler-Vorbereitungs-Team, dass Kern auf Reformkraft, Pragmatismus und "ganz klare Ansagen" à la Italiens Premier Matteo Renzi und Kanadas neuem Regierungschef Justin Trudeau setzen will.

Zuerst müsse es dabei um Jobs und den Kampf gegen die Rekordarbeitslosigkeit gehen. In allen EU-Ländern sinkt die Arbeitslosigkeit, mit zwei Ausnahmen: Estland und Österreich. Zu erwarten ist von Kern aber weniger die klassische SPÖ-Linie, immer noch mehr Geld in die Verwaltung der Arbeitslosigkeit zu pumpen, sondern ein klar wirtschaftsfreundlicher Kurs. Das war offenbar auch die mit Gerhard Zeiler abgesprochene Linie. Der unterlegene Kanzler-Kandidat wiederholt den Ausspruch des früheren ÖGB-Präsidenten Anton Benya bei jeder Gelegenheit: "Kühe, die man melken will, muss man auch füttern."

Große Erwartungen

Insofern ist die Erwartungshaltung der Wirtschaft an den roten Kanzler aus ihrer Mitte enorm. Eine Pensionsreform und die Arbeitszeitflexibilisierung nennt Industrie-Vize-General Peter Koren als vorrangige Projekte. Er kennt Kern seit der gemeinsamen Zeit im Verbund-Konzern. Bürokratieabbau und eine positive Stimmung im Land, braucht es für Post-Chef Georg Pölzl. Auch ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner, der vom "sehr gut qualifizierten Manager" Kern spricht, hofft auf neuen Schwung in der Regierung und ein Standortpaket mit "Deregulierung im Fokus".

Kern wird all das zugetraut – sogar die SPÖ zurück auf die Siegerstraße zu bringen. Berater Karl Krammer, einst Sprecher und Kabinettschef von Kanzler Franz Vranitzky: "Kern bringt den neuen Spirit mit".

Vom Publizistikstudenten und alleinerziehenden Vater mit 22, der vom Bundesheer befreit war, zum Kanzler und Hoffnungsträger für den Sanierungsfall SPÖ. Diese ungewöhnliche Karriere hat Christian Kern hingelegt. Geholfen hat dabei nicht nur die „rote ÖBB-Vorteilscard“, wie ein ÖVPler das Parteibuch scherzhaft nennt, sondern auch Kerns Ehrgeiz und Zielstrebigkeit. „Christian war immer eine Nummer 1, er kann gar nicht anders“, erzählt ein langjähriger Weggefährte.

Urlaub am Millstätter See

Der Business-Class-Sozialist, wie ihn Gegner in Bahn-Zeiten einmal nannten, wirke wegen seiner geschliffenen Rhetorik und teuren Anzüge vielleicht etwas abgehoben und arrogant, sei aber bodenständig geblieben, schildert ein Kern-Fan aus der Gewerkschaft: „Wenn einer so viel verdient, fährt er normalerweise ein riesen Auto, hat eine Villa mit Pool und urlaubt auf den Malediven. Kern fährt privat einen Mini, wohnt im Siebten (Hochburg der Grünen in Wien, Anm.) und urlaubt am Millstätter See.“
Apropos Verdienst: Als Kern nach 13 Jahren im Verbund 2010 in die ÖBB-Chefetage wechselte, nahm er eine stattliche Gehaltseinbuße hin. Schließlich wurde er endlich Nummer 1 in einem Großkonzern. Und jetzt wieder: Kam Kern als ÖBB-Boss auf ein Jahresbrutto von rund 700.000 Euro, so verdient er als Bundeskanzler „nur“ 300.000 Euro im Jahr.

Genialer Netzwerker

Politische Aussagen Kerns sind bisher rar, schließlich musste er keinen Wahlkampf führen, keine Wahlversprechen abgeben – sondern wurde von der Partei in der Stunde der Not geholt. Dort streuen ihm jetzt alle Rosen. Lob kommt aber auch vom politischen Mitbewerber. Und sogar der unterlegene Kandidat Gerhard Zeiler schwärmt: „Kern wird sicher ein guter Bundeskanzler.“ Das kommt so: Der in Wien-Simmering Aufgewachsene hat eine gewinnende Art, er kommt bei Frauen und Männern gleichermaßen gut an. Dazu kommt die von Freund und Feind anerkannte Erfolgsbilanz als Bahn-Sanierer. Und: Kern ist ein genialer Netzwerker und versteht sehr viel von Medienarbeit in eigener Sache. Mit vielen Journalisten und Chefredakteuren pflegt er das Du-Wort. „Da ist er noch talentierter als Faymann“, spottet ein ÖVPler.

Tochter in katholischer Privatschule

Privat ist Kern zum zweiten Mal verheiratet. Die Steirerin Eveline Steinberger-Kern (44) hat selbst Karriere gemacht und war vor ihrem Wechsel zur selbstständigen Unternehmensberaterin Chefin im Klimafonds. Gemeinsam haben sie eine neunjährige Tochter, die eine katholische Privatschule besucht. Drei Söhne hat Kern aus seiner ersten Ehe mit Karin Wessely, heute Kulturstadträtin in Mödling (NÖ). Kennengelernt hatten sie einander in der roten Kaderschmiede VSStÖ(Verband Sozialistischer StudentInnen).

Berufseinstieg als Wirtschaftsjournalist

Kern, damals Chefredakteur der „Rotpress“, wollte kurz Sportjournalist bei der Arbeiterzeitung werden, startete dann aber beim Wirtschaftspressedienst und beim Magazin Option. Nach zwei Jahren wechselte er die Seiten und ging als Assistent zum späteren SPÖ-Klubchef Peter Kostelka. Von dort ging es zuerst zum Verbund – Stufe für Stufe hinauf bis zum Auslandschef. Und dann zur Bahn. Als Oberboss.

Leidenschaftlicher Austrianer

Geblieben ist die Leidenschaft für den Sport im Allgemeinen und den Fußball im Besonderen. Kern ist eingefleischter Austrianer und sitzt wie etliche andere SPÖ-Promis auch im Kuratorium der Violetten.

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