Neustart: Regierung schnürt Paket für die Wirtschaft

Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP), Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ)
Rot und Schwarz wollen beweisen, dass sie zum versprochenen Neustart fähig sind. Kanzler Kern und Vizekanzler Mitterlehner schnüren ein Paket für Firmengründer und wollen auch den Kreditinstituten bei der Bankenabgabe entgegen kommen.

Wir werden unsere Hand ausstrecken, insbesondere gegenüber unserem Koalitionspartner." Das sagte der frisch angelobte Bundeskanzler Christian Kern am 17. Mai bei seinem ersten Auftritt vor den Medien. VP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner pflichtete ihm via Facebook bei: "Wir müssen neue Akzente setzen und für das Land gemeinsam etwas weiterbringen."

Flugs war vom "New Deal" für Österreich die Rede, ein echter "Neustart" sollte her und die wechselseitige Dauerblockade der Ära Faymann rasch vergessen machen. Rund eineinhalb Monate später versuchen Rot und Schwarz noch immer neu durch zu starten. Die bisherigen Erfolge halten sich in Grenzen. Mit ersten inhaltlichen Ergebnissen soll sich das nun schlagartig ändern – über die zur Schau gestellte Harmonie hinaus.

Livestream des Pressefoyers

Entweder beim heutigen Ministerrat oder spätestens am kommenden Dienstag, bei der letzten Regierungssitzung vor der Sommerpause, wollen Kern und Mitterlehner erste Teile eines größeren Wirtschaftspaketes präsentieren, das sich die Koalitionäre für eine Regierungsklausur im Herbst vorgenommen haben.

Termin-Kollision

Gesucht werden dafür nicht nur gemeinsame Inhalte, die die eine oder andere Überschrift über den Sommer mit Leben erfüllen können, auch mit den Terminen ist das so eine Sache. Darf doch die Klausur nicht mit der Wiederholung der Hofburg-Stichwahl kollidieren.

Findet die Regierungstagung vor oder nach der zweiten Stichwahl statt? Schafft man so ein wenig Rückenwind für Alexander Van der Bellen? Oder halten sich Rot und Schwarz im Match zwischen Grün und Blau nobel zurück und warten das Ergebnis ab? Wissend, dass der dritte Durchgang der Hofburgwahl durchaus auch eine Abstimmung über die Arbeit der Regierung werden könnte. Zur Stunde sind diese Fragen unbeantwortet. Wie auch Teile des Paketes für den heutigen Ministerrat am Montag noch emsig verhandelt wurden.

Ein Arbeitnehmer-Vertreter sagte: "Kern und Mitterlehner können durchaus gut miteinander und vereinbaren etwa das Start-Up-Paket. Auf der Ebene der Kabinette und Experten ist die Situation aber total verfahren, weil von der Wirtschaft sofort Maximalforderungen kommen."

Start-Ups

So hätte der Wirtschaftsbund gefordert, dass die ersten zehn Mitarbeiter einer neugegründeten Firma für zehn Jahre von der Sozialversicherung befreit werden. Sagt der Insider: "Das ist absurd, das hat nichts mehr mit Start-Up-Förderung zu tun."

Ergebnis: SPÖ und ÖVP reduzieren die Lohnnebenkosten nur für die ersten drei Mitarbeiter in den ersten drei Jahren. Zusätzlich kommt aber eine Steuerförderung für private Risikokapitalgeber und – als Bürokratie-Erleichterung – ein "One-Stop-Shop" für Gründer.

Bankenabgabe

Neu ist, dass Kern und Mitterlehner auch etwas für die Banken tun wollen. Das Kreditgewerbe stöhnt unter der Bankenabgabe. Eine Reduktion der Steuerlast steht jetzt konkret im Raum. Wie genau sie umgesetzt wird, also im Abtausch für eine Abschlagszahlung der Banken oder für einen KMU-Fonds, den sie dotieren sollen, ist offen. Selbst in den Bankzentralen weiß man das noch nicht. Über das Thema wurde am Montag noch verhandelt. Kern hat hier in seiner eigenen Partei viel Überzeugungsarbeit zu leisten.

Gewerbe & Co

Zusätzlich geht es um die Entrümpelung der Gewerbeordnung. Hier brachte Mitterlehner bei seinen Leuten die Idee eines "einheitlichen freien Gewerbescheines" durch, doch die Gewerkschaft legt derzeit ihr Veto ein. Die Sorge ist, dass die Kollektivverträge unter die Räder kommen, wenn es nur mehr ein freies Gewerbe gibt. Fix ist aber, dass Genehmigungsverfahren für Betriebsanlagen beschleunigt werden.

Degressive Abschreibung

Bis Herbst will Kern auch die degressive Abschreibung (Afa) für Investitionen in Maschinen, Fahrzeuge etc. umsetzen. Sein Vorstoß im Sonntags-KURIER wurde in Unternehmerkreisen sehr wohlwollend aufgenommen, die Idee stammt ja auch aus der Wirtschaft.

Sozialversicherung

Was zusätzlich im Herbst kommen könnte, ist die Abschaffung der kalten Progression bzw. ein erster Schritt bei den Sozialversicherungsträgern. Hier hat Kern laut über eine Zusammenlegung nachgedacht. Doch das Thema ist hochkomplex: Vorerst beauftragen Kern und Mitterlehner Sozialminister Alois Stöger deshalb mit einer "Effizienzstudie".

Sie saßen auf creme-farbigen Fauteuils und abgesehen von dem Glas Wasser, das neben ihnen stand, waren sie "nackt" – im übertragenen Sinne: Keine Arbeitsmappen mit Zahlen oder Studien darin, es sollte ein harmonischer Abend werden. Wozu also besonders ausgefeilte Argumentarien mitbringen?

Sonntagabend saßen Bundeskanzler Christian Kern und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner "Im Zentrum" des ORF.

Der spätabendliche Auftritt hatte nicht nur ausnehmend starke Konkurrenz (gleichzeitig lief das EM-Match Frankreich-Island, es hatte mit mehr als 1,2 Millionen Zuschauern fast vier Mal so viele Seher). Er darf wohl auch als als sichtbares Zeichen für den bereits 2. Neustart gewertet werden.

Keine Profilierung

In dieser einen Stunde hielten sich die Koalitionäre fast eisern an die platte Wahrheit, dass öffentlicher Streit in jedem Fall schadet. Und so ließe sich weder der Bundeskanzler noch sein ÖVP-Gegenüber zu großartigen Profilierungsversuchen auf Kosten des jeweils anderen hinreißen.

Kern duzte zwar den Vizekanzler – allerdings respektvoll und freundschaftlich; und er vergaß auch nicht die ÖVP zu loben, in der er einen Verbündeten sieht, wenn es darum geht, für eine offene und plurale Gesellschaft zu kämpfen.

Mitterlehner wiederum leugnete erst gar nicht lange, dass man bei Themen wie der Wertschöpfungsabgabe oder der Verschärfung der Mindestsicherung eben nicht einer Meinung ist.

Doch der ÖVP-Chef blieb ausnehmend ruhig und versuchte selbst umstrittenen Ideen Positives abzugewinnen. Sinngemäß sagte er: Unterschiede zeigen nur, dass SPÖ und ÖVP eben eigenständige Bewegungen sind. "Wir tragen’s zivilisiert aus", war der dazu passende Schlüsselsatz des Vizekanzlers – und tatsächlich war der Ton immer gemäßigt.

Bleibt die Frage: Warum eigentlich 2. Neustart?

Dazu muss man wissen, dass Kern und Mitterlehner genau das, nämlich einen koalitionären Neustart, ja schon einmal probiert haben.

Genau heute, Dienstag, vor sieben Wochen wurde Kern als Kanzler angelobt. Und als er zwei Tage später mit Mitterlehner im Parlament auftrat, sagte Zweiterer: "Ich will."

Egal, ob man das dem Christkonservativen abgenommen hat oder nicht: Faktum ist, dass die "vertrauensvolle Beziehung" (Kern) überraschend früh ihre ersten Bewährungsproben zu bestehen hatte.

Anfang Juni etwa sorgte der SPÖ-Chef in den Reihen der ÖVP für Irritationen, als er die bis dahin gängige Zahl der für die Obergrenze relevanten Asylanträge von 22.000 auf 11.000 "korrigierte". Der Kanzler nahm das zwei Tage dauernde Zahlen-Wirrwarr zwar auf seine Kappe – ihm sei ein Fehler unterlaufen. Beobachter verstanden dennoch nicht, warum man den Zahlenstreit erst nach Tagen löste.

Wunschkandidat

Kein semantischer Fehler, sondern ein glasklarer Konflikt trat wenig später bei der Besetzung des Rechnungshofpräsidenten zutage, bei der die ÖVP gegen den Willen der Roten eine ihrer Wunschkandidatinnen durchbrachte.

"Es läuft nicht perfekt, aber es wird", sagt ein Regierungsstratege – zumal es im Vergleich zur früheren Konstellation einen wesentlichen Unterschied gäbe: "Die Parteichefs agieren bei internen Verhandlungen jetzt anders, nämlich auf Augenhöhe."

Wie äußert sich das? "Bei Faymann war bei allen Gesprächen de facto immer ein Dritter (Kanzleramtsminister Ostermayer) mit von der Partie. Das ist jetzt anders – und es tut beiden Parteien gut."

Neustart: Regierung schnürt Paket für die Wirtschaft
Bundeskanzler Christian Kern und Vizekanzler Reinhold Mittterlehner (re.)

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