Kern: "Sicherheitspaket nicht zum Wahlkampfthema machen"

Bundeskanzler Christian Kern.
Kritikpunkte am Gesetzesentwurf soll sachlich diskutiert werden. Bundeskanzler will, dass der Verteidigungsminister nach den Wahlen auch die Zuständigkeit für die Migrationsfrage bekommt.

In der Diskussion um den ÖVP-Entwurf für eine Ausweitung der Überwachungsmöglichkeiten der Polizei hat Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) am Freitag am Rande eines gemeinsamen Truppenbesuch mit Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) in Salzburg mehr Ruhe in der Diskussion eingefordert. "Das ist eine so sensible Materie, das darf man nicht zu einem Wahlkampfthema machen."

Man wisse, dass es grundsätzlich mehr Möglichkeiten für die Polizei in der Terror- und Verbrechensbekämpfung brauche. "Dazu bekennen wir uns voll umfänglich. Die entscheidende Frage ist, wie weit man dabei geht." Es gebe im Gesetzesvorschlag des Innenministeriums Kritikpunkte, die man in aller Ruhe diskutieren müsse. "Jetzt ist ein Vorschlag am Tisch und es gibt eine Reihe von Expertenmeinungen, die sehr skeptisch sind. Das muss man alles genau bewerten."

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"Grundfreiheiten der Bürger sicherstellen"

Allerdings herrsche auch mit den Datenschützern weitgehende Einigkeit, dass die wirksame Bekämpfung von Verbrechen ein ganz entscheidendes Ziel sei. "Aber es geht auch darum, die Grundfreiheiten der Bürger sicherstellen zu können", sagte der Bundeskanzler.

Beim Thema Sicherheit rührte Kern am Freitag kräftig die Werbetrommel für den Verteidigungsminister. " Hans Peter Doskozil hat bewiesen, dass er nicht redet, sondern Taten setzt. Mein Ziel ist es, dass er nach dieser Wahl nicht nur seine Agenden weiterbetreut, sondern das Portfolio ausgeweitet wird und er die gesamten Zuständigkeiten für die Migrationsfrage bekommt."

Flüchtlinge: Kern für Verfahrenszentren vor Ort

Zur Causa Eurofighter stellte der Verteidigungsminister heute erneut klar, dass er sich von dem Herstellern eine Wiedergutmachung des Schadens erwartet, der dem Steuerzahler entstanden ist. "Ob es dazu den Gerichtsweg braucht oder ob das am Wege einer außergerichtlichen Einigung passiert, ist uns egal. Wir sind für alle Gespräche offen", sagte Doskozil. Und Kern meinte, dass man einem etwaigen Gerichtsverfahren mit großem Optimismus entgegen trete.

Auf die Flüchtlingssituation im Mittelmeer angesprochen, sagte der Bundeskanzler: "Wir brauchen Verfahrenszentren, wo wir Asylanträge vor Ort bearbeiten können und Flüchtlinge menschenrechtskonform beherbergen können."

Offiziell stand am Freitag in der Schwarzenbergkaserne in Wals-Siezenheim übrigens die Besichtigung eines neuen verlegbaren Weitbereich-Radars zur Luftraumüberwachung am Programm.

7291 Stellungnahmen (einige mit identem Inhalt) zum Sicherheitspaket sind in knapp drei Wochen eingegangen. Die Begutachtungsfrist läuft bis 21. August. Zum Vergleich: Bei der Bildungsreform – einem annähernd umstrittenen Thema – waren es insgesamt 1581.

Die SPÖ wirft der ÖVP "politisch unverschämtes Vorgehen" vor, die FPÖ nennt die geplanten Überwachungsmaßnahmen "DDR 4.0". Aber was ist so schlimm an dem, was Justizminister Wolfgang Brandstetter und Innenminister Wolfgang Sobotka vorgelegt haben?

Der KURIER hat die Vorwürfe mit Experten analysiert.

Der "Bundestrojaner" ist Spionagesoftware.

Laut dem grünen Klubchef Albert Steinhauser ermöglicht der geplante "Bundestrojaner" nicht nur den Zugriff auf versendete und empfangene Nachrichten (wie bisher kolportiert), sondern auch auf die "Cloud" – und damit auf sämtliche Daten auf dem Gerät, wie etwa eMails und Fotos. Das Ministerium begründet das damit, dass Kriminelle eMails ja auch als Entwurf abspeichern und sich so miteinander austauschen. Oder, indem sie geschriebene Botschaften abfotografieren.

Die Strafverfolgungsbehörden müssten mit dem technischen Fortschritt mithalten, wehrt sich die ÖVP - und die Maßnahmen seien ohnehin nur mit richterlicher Anordnung möglich. "Nur Verbrecher haben etwas zu befürchten, niemand sonst", betont Brandstetter.

Worauf SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim kontert: "Natürlich wollen wir bei Abhörmaßnahmen eine Gleichstellung von Telefonie und Internet-Kommunikation. Aber das geht zu weit."

Auch das Umfeld von Verdächtigen kann überwacht werden.

"Man rutscht schnell in den Status einer sogenannten ‚Person of Interest‘", warnt Kriminalsoziologe Reinhard Kreissl. Schon eine einfache Nachricht an eine Person, die im Visier von Ermittlungen ist, reiche aus, um selbst überwacht zu werden.

SPÖ-Justizsprecher Jarolim hakt ein: "Es ist viel zu ungenau definiert, unter welchen Voraussetzungen man als Kontaktperson überwacht wird. Das können Komplizen sein, aber auch Familienmitglieder oder Freunde."

Die Software wird von externen Firmen entwickelt.

Sowohl Steinhauser als auch Kreissl äußern Bedenken, dass die Regierung für die Entwicklung der Software auf externe IT-Firmen angewiesen ist. Damit liegt der Überwachungsapparat in der Hand von Privatunternehmen. Einige würden sich nicht scheuen, auch für Länder wie die Türkei oder den Iran zu arbeiten – "Regimes mit denen man nicht unbedingt in Verbindung gebracht werden will", gibt Kreissl zu bedenken.

Verfassungs- und Verwaltungsrechtsexperte Bernd-Christian Funk sieht das Risiko, dass die Software in falsche Hände gerät: "So ein System könnte sich verselbstständigen und Instrument krimineller Ausspähung werden."

Die Polizei gibt Daten an "Privatermittler" weiter.

SPÖ-Justizsprecher Jarolim ärgert ein Passus im Sicherheitspolizeigesetz, indem es heißt, die Polizei könne Personendaten an Plattformen weitergeben, die "an der Erfüllung von Aufgaben im öffentlichen Interesse" mitwirken. Als Beispiel werden regionale "Sicherheitsforen" genannt. Jarolim fühlt sich an "Blockwarte" aus der NS-Zeit erinnert. "Der Klassiker wäre, dass man bei Gefahr die Polizei ruft, aber die gibt ihre Kompetenzen aus der Hand."

Der Schutz der Privatsphäre wird aufgeweicht.

Das Absenken von Schwellen für die Strafverfolgung sei ein Motiv, das sich quer durch das Sicherheitspaket ziehe, sagt Verfassungsjurist Funk: "Es herrscht Einigkeit, dass die Polizei schärfere Mittel braucht, aber es stellt sich die Frage der Verhältnismäßigkeit."

Ein konkretes Beispiel sei das Ausweiten der Abhörmaßnahmen: Lauschangriffe sind bisher nur bei Delikten mit Strafandrohung ab zehn Jahren Haft möglich. Im Auto soll das schon ab einem Jahr möglich werden. Funk: "Es wird zu Recht kritisiert, dass das ein weit überschießender Eingriff ist."

- Raffaela Lindorfer und Bernardo Vortisch

Kern: "Sicherheitspaket nicht zum Wahlkampfthema machen"
Sobotka und Brandstetter

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