Neustart mit alten Hürden

Kanzler Christian Kern (l.) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner.
Die Regierung schlittert Richtung alte rot-schwarze Sackgasse. Neuwahlen sind noch kein Thema.

Sie redeten und redeten. Zwei Stunden lang unterhielten sich die Minister und der Kanzler am Dienstag. So lange hatte das Treffen der Regierungsmannschaft, kurz Ministerrat, seit Monaten nicht gedauert. Doch so intensiv sie sich auch austauschten: Den Graben, der sich zwischen SPÖ und ÖVP nun auftut, vermochten sie nicht zu überbrücken.

Die Fronten sind klar und verhärtet: Hier der eloquente Außenminister, der – mit Rückendeckung des Parteichefs – überzeugt erklärt, dass Europa von Australiens restriktiver Abweisungspolitik noch etwas lernen kann; die Unterbringung anlandender Flüchtlingen auf Inseln inklusive.

Da die SPÖ unter Kanzler Christian Kern, die Kurz’ Insel-Idee für rundum menschenrechtswidrig hält, und das von der Gesundheitsministerin bis zum Sozialminister laut und unverblümt sagt.

Wobei: So ganz stimmt das nicht. Denn zumindest einer gab sich auffallend konziliant in Richtung ÖVP: Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil.

Der Burgenländer kritisierte Kurz nicht nur nicht. Er will die Vorstöße des in alteingesessenen ÖVP-Kreisen Umstrittenen (siehe unten) sogar "ernst nehmen" – immerhin wolle Kurz ja "Tote im Mittelmeer verhindern".

Doskozils Äußerungen waren insofern interessant, als sie von jenem Geist getragen waren, dem sich Kern und Reinhold Mitterlehner ursprünglich verschrieben haben, nämlich: Wir stellen das Gemeinsame vor das Trennende.

Am Dienstag war vom frohlockenden "Ich will" (Mitterlehner am 19. Mai zur Zusammenarbeit mit Kern) recht wenig zu spüren. Man gewann eher den Eindruck, da wollen sich zwei zusammenraufen – aber so ganz trauen sie einander eben nicht.

Das erste Beispiel: die Dissonanzen bei der Migrationspolitik.

Kanzler Kern bemühte sich gestern redlich um Beruhigung. Er macht erst eine selbstkritische Anmerkung ("Ich habe an dieser Stelle vor einer Woche einen falschen Begriff verwendet") und versucht dann einen gemeinsamen Arbeitsauftrag zu formulieren – Außenminister Sebastian Kurz und SPÖ-Staatssekretärin Muna Duzdar sollten binnen 14 Tagen ein "umsetzbares Konzept" für die Integrationspolitik vorlegen.

Doch anstatt zu sagen: "Ja, ich will, so machen wir’s!" verteidigte der Vizekanzler erneut seinen Außenminister und richtete der SPÖ einmal mehr aus, die Volkspartei stehe "klar" hinter Kurz.

Beispiel Nr. 2: Die Debatte um die "Maschinensteuer". Auch hier versuchte Kern zu beschwichtigen.

Er habe als SPÖ-Chef nur nachgedacht, wie man das Sozialsystem bei sinkender Lohnarbeit finanzieren könne. "Aber ich wollte und will keine neuen Steuern."

Die Reaktion des ÖVP-Chefs auf den Beruhigungsversuch blieb überraschend kühl und auffallend unbeeindruckt vom Gesagten: Die Debatte sei zum jetzigen Zeitpunkt "das total falsche Signal" und führe schlimmstenfalls dazu, dass "Investitionen ins Ausland abfließen". Und als wäre all das nicht genug des Haders, waren sich die beiden auch bei der Frage uneins, wer Rechnungshofpräsident werden soll (siehe Seite 2). Für den Kanzler steht nur eines fest: Man sei gut beraten, "die Texte zu lesen" – und damit meinte der Regierungschef das Koalitionspapier, in dem festgeschrieben ist, dass ein gegenseitiges Überstimmen im Parlament (hier wird der Rechnungshof-Chef gewählt) ein Grund wäre, die Koalition zu lösen.

Neuwahlen also? Nicht – oder zumindest noch nicht. Die Umfragewerte sind schlecht und auch gestern beteuerte man hinter den Kulissen, man wolle bis 2018 koalieren.

Unübersehbar aber bleibt, dass die Koalitionäre einander bedingt vertrauen. Teile der ÖVP haben Kern im Verdacht, die Gunst des Augenblicks für Neuwahlen nutzen zu wollen – immerhin habe er bessere Image-Werte als Faymann. Vice versa hegen den gleichen Verdacht Teile der SPÖ-Spitze, wo Kurz nachgesagt wird, er wolle neu wählen – und zwar jetzt.

Inhaltliches? Auch das gab es. Man hat die "Ausbildungsgarantie" beschlossen, man will 16.000 junge Österreicher bis zum 18. Lebensjahr verpflichtend in einer Ausbildung halten und ihre Karrierechancen so verbessern.

Aber in all dem Zank, Misstrauen und Getauche ging derlei im Steinsaal des Kanzleramtes rasch unter.

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