"Wenn ich links bin, was ist denn dann der Papst?"
"Kann Österreich denn da überhaupt noch etwas dagegen machen?“ Allzu optimistisch ist der Mann, der da gleich aufgesprungen ist, als das Publikum mit seinen Fragen an der Reihe ist, nicht. Gemeint ist freilich CETA. Auch beim Besuch von Kanzler Christian Kern am Tag der offenen Tür des KURIER ist das Freihandelsabkommen mit Kanada Thema Nummer eins. Kern hat es da einfach. "Natürlich", sagt der Kanzler. Schon dass das Handelsabkommen (in Teilen) durch die nationalen Parlamente müsse, sei ja seiner Initiative zuzuschreiben. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hätte seinen Vorschlag zunächst ja noch als "österreichische Folklore" abgetan.
Dabei sei er ja überhaupt kein Freihandelsgegner. "Ich liebe Freihandel." Er sei lediglich dafür, alle Argumente auf den Tisch zu legen. "Angenommen wir glauben der optimistischsten Studie, dann schauen für jeden Österreicher sechs Euro mehr im Jahr raus." Die Frage sei, ob die Nachteile nicht über diesen Vorteil überwiegen. "Mir geht es darum, jetzt noch das Beste für Österreich rauszuholen." CETA entwickle sich jetzt in die richtige Richtung, sagt Kern und holt sich seinen Applaus beim Publikum ab.
Dass er mit seinem "Nein" zu CETA (und seinem Vorschlag zur Maschinensteuer) deshalb „erstaunlich links“ sei, wie die stellvertretende Chefredakteurin Martina Salomon Kern in dem launigen Interview attestiert, will er deshalb nicht gelten lassen. "Wenn ich links bin, was ist denn dann Papst Franziskus?"
"Mir geht das unglaublich auf die Nerven"
Die Reaktionen auf seinen Artikel in der FAZ hätten zuletzt aber gezeigt, wie "die Politik in Österreich" nunmal funktioniert. "Ich habe einen Vorschlag gemacht, wie man die Wirtschaft in Europa ankurbeln kann und hier wird das runtergebrochen auf eine politische Kampagne." Drei Minister und ein Landeshauptmann hätten sich unabhängig voneinander geäußert, sagt Kern. "Der Gescheitere gibt nach, der andere fällt in den Bach", dieses Prinzip gelte in der Politik nicht, sagt Kern. "Mir geht das unglaublich auf die Nerven."
Offene Einblicke in die große Koalition, Antworten im Plauderton, dazu kleine Anekdoten für das Publikum, das es ihm auch nicht übel nimmt, dass er eine halbe Stunde zu spät im Festzelt aufgetaucht ist. Kern kann das. Ob er auch Koalition kann? "Sind sie nach 100 Tagen im Amt eigentlich schon desillusioniert?", will Martina Salomon wissen. So schlimm sei es auch wieder nicht, meint Kern. "Ich bin ein Quereinsteiger. Ich habe nicht vor, mein ganzes Leben in der Politik zu verbringen", sagt Kern, der auch das Niveau der medialen Auseinandersetzung in Österreich kritisch sieht. "Das hat die Politik doch selbst finanziert", spielt KURIER-Chefredakteur Helmut Brandstätter auf die massiven Inseraten-Ausgaben an den Boulevard an.
Was er von dem Flüchtlingsgipfel am Samstag erwartet? "Vor allem müssen wir dafür sorgen, dass die Menschen möglichst nahe ihrer Region versorgt werden können", sagt Kern. Dafür brauche es auch die gemeinsame Anstrengung aller, betont Kern, der auch den "Druck auf die anderen EU-Länder" erhöhen will. Ungarn löse jenen Teil der Zusammenarbeit, bei dem es um Grenzsicherung gehe schon hervorragend. "Umgekehrt entstehen hinter diesen geschlossenen Grenzen sofort Camps, da müssen wir auch helfen."
"Die Wahrheit ist: Unser Staat ist kein schlankes Rehlein"
Zum Dauerthema Verwaltungsreform äußert sich Kern nur so: "Die Wahrheit ist: Unser Staat ist kein schlankes Rehlein." Von der Verwaltung bis zur Bau- und Gewerbeordnung gebe es überall noch Verbesserungsbedarf. "Wenn du zum Beispiel eine Leiche durch alle neun Bundesländer transportierst, musst du neun verschieden Vorschriften einhalten", zitiert Kern ein Beispiel von seinem Parteifreund Hannes Androsch ("Ich hab's nicht nachgeprüft"). Da sei es einfacher, die Leiche gleich im Keller zu vergraben, scherzt Kern. Konter von Helmut Brandstätter: "Es ist aber vor allem auch illegal."
Der KURIER-Chefredakteur hält zum Schluss noch eine Anekdote vom UN-Gipfeltreffen in New York parat, wo Kern zuletzt gemeinsam mit Außenminister Sebastian Kurz eine Pressekonferenz gab. "Dort hatte man den Eindruck: Funktioniert doch eh alles super. Und dann kommt man zurück und schon streitet man schon wieder."
"Das stimmt", seufzt Kern. "Jeden Tag Schlagzeilen zu produzieren, das halte ich im Grunde für schädlich."
"Also doch desillusioniert?", hakt Salomon zum Schluss noch einmal nach. Kern muss schmunzeln. "Ich habe in meinem Leben schon mehr auf Vernunft gesetzt, das geb ich zu."
Kommentare