Katzenjammer im "Allerheiligsten"

Johannes Schnizer macht dem Höchstgericht Probleme.
Ausgerechnet in der Jubiläumswoche erschüttert die Affäre Schnizer den Verfassungsgerichtshof bis ins Mark.

Was für ein Saal! Die Wände sind mit dunklem Holz vertäfelt. An der prächtigen Kassettendecke funkeln allerhand Lampen. Und während der Blick die Stöße von Büchern streift, die auf weißen Rollwagen gestapelt wurden, ist die eigentliche Sensation der Tisch: Kreisrund, aus schwerem Holz gezimmert und groß genug, um 14 Höchstrichtern mit all ihren Unterlagen und Laptops Platz zu bieten.

"Allerheiligstes" nennen Mitarbeiter nicht ohne Ehrfurcht diesen verborgenen Raum in einem Obergeschoß des Verfassungsgerichtshofes in der Wiener Renngasse.

Genau hier kasernieren sich vier Mal im Jahr die 14 Verfassungshüter für jeweils dreieinhalb Wochen, um ihre Entscheidungen zu beratschlagen und zu diskutieren.

Formal gesagt, entscheiden sie seit 1920 vor allem darüber, ob einzelne Bestimmungen oder Gesetze der Verfassung entsprechen.

Das klingt reichlich trocken. Aber in Wahrheit entscheiden sie über das pralle Leben, über die wirklich großen Fragen.

Fragen wie: Dürfen Gleichgeschlechtliche Kinder adoptieren? Darf man Geschäftsleuten die Sonntagsöffnung verbieten? Oder, wie vor wenigen Monaten: Muss die Bundespräsidentenwahl wiederholt werden?

Der Verfassungsgerichtshof ist die letzte, die höchste Instanz der Republik. Nur ausnehmend qualifizierte Juristen, die als Professoren, Richter, Rechtsanwälte oder Beamte mindestens zehn Jahre Berufserfahrung haben, kommen dafür infrage. Die Regierung oder eine der Parlamentskammern schlägt dem Bundespräsidenten einzelne VfGH-Richter vor, die – einmal bestellt – bis zu ihrem 70. Lebensjahr im Amt bleiben dürfen.

Es ist ein böser Zufall, dass ausgerechnet in der Woche des Verfassungstages, also dem Geburtstag des Höchstgerichtes, ein bis dahin beispielloser Einzel-Auftritt eines Richters Schatten auf die Reputation des "Grundrechtsgerichtshofs" wirft: VfGH-Richter Johannes Schnizer hatte ohne den Sanktus seiner Kollegen in zwei Interviews zur Wahlaufhebung bzw. -anfechtung der FPÖ Stellung genommen.

Schon formal war der Vorstoß bemerkenswert: Denn abgesehen von Präsident Gerhart Holzinger äußern sich Verfassungsrichter grundsätzlich nicht öffentlich zu Urteilen oder politischen Fragen. Die Unabhängigkeit der Institution stünde andernfalls auf dem Spiel – so lautete zumindest bis Dienstag der interne Konsens.

Schnizer überdribbelte aber nicht nur seinen Präsidenten, um – wie ihm weniger Wohlmeinende vorwerfen – sich selbst in Szene zu setzen. Bei seinen Auftritten warf er zudem einer am Verfahren beteiligten Partei, der FPÖ, nachträglich moralisch-verwerfliches Verhalten vor und gab seine politische Haltung – SPÖ-affin – bzw. seine persönliche Wahlentscheidung – Van der Bellen – preis.

"Das waren drei Tabubrüche in nicht einmal 48 Stunden", sagt eine VfGH-Richterin zum KURIER.

Formal sind VfGH-Richter weitgehend unantastbar. Einmal ernannt, können sie nur von den Kollegen am Verfassungsgerichtshof des Amtes enthoben werden.

Nun mag es schon sein, dass Schnizer den §10 des VfGH-Gesetzes allenfalls erfüllt – wer sich seines Amtes "unwürdig" erweist, der kann des Postens enthoben werden. Doch um Amt und Salär zu verlieren (einfache Mitglieder beziehen 7817 Euro Monatsbrutto, der Präsident erhält 15.634), müsste die Mehrheit der Richter für ein Verfahren stimmen; und dann eine Zweidrittelmehrheit für den Amtsverlust votieren – ein Vorgang, der in dieser Form am VfGH so noch nie vorgekommen ist. Bis morgen, Montag, heißt es, soll klar sein, wie es mit Johannes Schnizer weitergeht.

Sollte er tatsächlich ein Verfahren bekommen, würde auch das im "Allerheiligsten" geführt werden – also in der Herzkammer des Verfassungsgerichtshofes.

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