Als die Vorarlberger Ja zum "Öxit" sagten

Sonnenuntergang über dem Bodensee.
Wie Vorarlberg 1919 den "Voxit" versuchte.

Wir schreiben das Jahr 1918. Die Monarchie der Habsburger ist zerbrochen, die erste Republik ausgerufen. Darüber freuen sich nicht alle – bis heute. Und ganz im Westen des Nachkriegs-Österreich mit all seinen Wirren regt sich Widerstand. Der Wiener Zentralismus mit der mächtigen SPÖ ist den Vorarlbergern ein Dorn im Auge. Und auch vor einer "Verjudung" wird eifrig gewarnt.

Es gibt für viele nur eine Möglichkeit: Wir müssen weg von Österreich. Die Schweiz böte sich da ja an. Gedanken, die nicht nur die Bevölkerung Vorarlbergs beschäftigen. Zuerst muss eine eigene Verwaltung her und Vorarlberg spaltet sich in diesem Sinne von Tirol ab. Gesagt, getan. Den Rest soll das Volk entscheiden. Und zwar am 11. Mai 1919. Davor wird Wahlkampf geführt. In aller Munde ist dabei ein Gedicht zum Schweizer Nationalfeiertag von Propagandist Ferdinand Riedmann, einem Lehrer aus Lustenau: "Hör uns Helvetia / Söhne so nah / Hilf uns befrein!", schreibt er, denn "Wir sind vom gleichen Blut / Schützen der Freiheit Gut."

Die Frage, die auf dem Wahlzettel steht, liest sich folgendermaßen:

"Wünscht das Vorarlberger Volk, dass der Landesrat der Schweizer Bundesregierung die Absicht des Vorarlberger Volkes, in die Schweizerische Eidgenossenschaft einzutreten, bekannt gebe und mit der Bundesregierung in Verhandlungen trete?"

Die Antwort ist eindeutig: 47.727 Vorarlberger sagten Ja, 11.378 Nein. Damit sind 80,7 Prozent für einen "Voxit" – wie man es wahrscheinlich 2016 bezeichnen würde (in der Headline wird es "Öxit" genannt, das steht natürlich für Österreich + Exit = Öxit. Aufgrund der Bekanntheit des Begriffs wurde dieser verwendet, Anm.). Nur Bludenz und Hittisau (mit Bolgenach) sind gegen den Österreich-Austritt.

"Kanton Übrig"

Die Gründe warum Vorarlberg dennoch bis heute ein Teil von Österreich ist, sind vielschichtig. Die kurz zuvor installierte provisorische Landesversammlung ist noch zu unerfahren und zögerlich. Sie schicken eine Delegation nach Bern, Rechtsgelehrte wälzen die Gesetzbücher und wollen wissen, welche Gesetze geändert werden müssen, damit Vorarlberg ein Kanton werden kann.

Auf der Schweizer Seite ist man allerdings nicht sonderlich glücklich über einen neuen "Kanton". Denn das Verhältnis zwischen Sprachen und Religionen ist bei den Eidgenossen ausgewogen. Mit den deutschsprachigen Katholiken aus Vorarlberg würde sich das ändern.

Und auch die Siegermächte wollen nichts von dem Vorarlberger Begehren wissen. Sie zeichneten 1919 bei der Friedenskonferenz in Paris selbst die Grenzen Europas neu – und Vorarlberg bekommt den Spitznamen "Kanton Übrig".

Mit der Errichtung der Ersten Republik wird Vorarlberg ein selbständiges Bundesland mit eigener Landesregierung und einer im Wesentlichen bis heute gültigen Verfassung. Übrigens ist das "Ländle" das einzige Bundesland, das sich in der Landesverfassung als selbstständiger Staat bezeichnet – auf dem Papier hat der "Voxit" also irgendwie doch funktioniert.

Mehr zum Thema: Weitere Volksabstimmungen in Folge des Versailler Vertrags

Wollten die Vorarlberger zur Schweiz, fanden die heutigen Bundesländer Tirol und Salzburg das Deutsche Reich sympathischer. Am 25. April 1921 wurden dazu die Tiroler befragt und stimmten mit 98,8 Prozent für einen Anschluss an die nördlichen Nachbarn. Gut einen Monat später, am 29. Mai 1921, stimmten auch im Salzburger Land 99,3 Prozent dafür. Unterbunden wurden weitere Abstimmungen von den Siegermächten, besonders von Frankreich. Diese bestanden auch auf die Pariser Vorortverträge. Die Rahmenbedingungen änderten sich erst 1938, mit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich und den Nationalsozialismus. Auch in Kärnten - zumindest im Grenzgebiet Südkärntens - gab es am 10. Oktober 1920 eine Volksbefragung, wenngleich aus einem anderen Grund. 59,04 Prozent der Wähler stimmten dabei für einen Verbleib in Österreich.

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