Ausgebrannt, bevor es richtig losgeht

Lehrer sollen künftig bis zu sieben Stunden mehr in der Klasse stehen.
Am Donnerstag sind die Protestaktionen gestartet: Auch AHS-Junglehrer machen mit, weil für sie mehr Geld die Zusatzbelastungen nicht aufwiegt. Der KURIER hat sich umgehört.

Es brodelt an den Gymnasien. Aber bei weitem nicht genug, befindet Junglehrer Matthias Konzett. Der 26-jährige Wiener unterrichtet seit einem Jahr an einer AHS im achten Bezirk. Bei den Kampfmaßnahmen der Gewerkschaft am 5. Dezember (siehe unten) ist er dabei. Das neue Dienstrecht ist für ihn ein Irrsinn und bestrafe das Engagement der Jungen.

Dabei sollen gerade die Junglehrer am meisten vom neuen Dienstrecht profitieren. Ein höheres Einstiegsgehalt und mehr Zeit mit den Schülern sieht das Modell vor. Wer die Wahl hat, wird sich für das neue Dienstrecht entscheiden, ist Beamtenministerin Gabriele Heinisch-Hosek überzeugt. Genau das Gegenteil ist der Fall, wenn man den Junglehrern glaubt.

80 Wochenstunden Arbeitszeit

Vor allem diese wird es nämlich treffen, sagt Mathematik- und Geschichtslehrer Konzett. Schon jetzt sei der Einstieg in den Beruf alles andere als leicht. Obwohl noch im Praktikumsjahr, ist der Jungpädagoge bereits Klassenvorstand, das ist dem stetigen Lehrermangel in Wien geschuldet. Er hat jetzt wie viele andere Junglehrer auch zwei Verträge: einen als Unterrichtspraktikant, einen zweiten als Sondervertragslehrer. So kommt Konzett statt der für Anfänger vorgesehenen sieben Unterrichtsstunden bereits auf 14 Stunden in der Klasse. Da er dreimal mehr Vorbereitungszeit als ein erfahrener Lehrer braucht („damit ja nichts passiert“) und noch Lehrveranstaltungen besucht, kommt er auf über 50 Stunden Arbeitszeit in der Woche - bei etwa 1500 Euro netto. „Diesen Beruf macht man nicht fürs Geld“, konstatiert Konzett mit ernstem Gesichtsausdruck.

Ausgebrannt, bevor es richtig losgeht
Matthias Konzett, Junglehrer

Durch das neue Dienstrecht wird das Praktikumsjahr abgeschafft, der Nachwuchs soll in Zukunft von Anfang an 24 Stunden unterrichten. Hinzukommen in der Einführungsphase Kurse an der Pädagogischen Hochschule, bei den Bachelor-Absolventen ein berufsbegleitendes Masterstudium. „Das wird kein Nachwuchslehrer schaffen“, ist Konzett überzeugt. „Viele werden am Anfang auf Teilzeit umsatteln, weil sie nicht zuletzt durch die längere Vorbereitungszeit und die verpflichtenden Lehrveranstaltungen sonst auf 80 Stunden in der Woche kommen.“

„Schon im ersten Jahr Burn-out-gefährdet“

Das sieht auch Karin R. so, die an einer katholischen Privatschule im 21. Bezirk unterrichtet: „Wie ein kompletter Anfänger das schaffen soll, kann ich mir nicht vorstellen. Ich bin froh, dass das auf mich nicht mehr zutrifft. Sonst wäre ich schon im ersten Jahr Burn-out-gefährdet.“

Die junge Deutsch- und Spanischlehrerin will wie Konzett an den Protestmaßnahmen teilnehmen. Lehrerin ist sie geworden, weil ihr das Arbeiten mit jungen Menschen Spaß macht. Jetzt überlegt sie, ihre Laufbahn abzubrechen: „Keiner zwingt mich, den Beruf auszuüben. Ich werde es auch nicht machen, wenn sich die Situation dermaßen verschlechtert.“ Mehr Geld ist da kein Anreiz: „Ich würde zwar mit einem höheren Gehalt einsteigen, dieses verflacht aber und im Endeffekt ergibt es weniger als bisher.“

Das bestätigt Benedikt Lernhart von der Initiative für ein faires Lehrerdienstrecht, die am Donnerstag auch zu Demonstrationen aufgerufen hat: „Das Anfangsgehalt ist, mit manchen Fächerkombinationen, in den ersten Dienstjahren besser. Aber: die Lebensverdienstsumme ist insgesamt schlechter.“

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Bildnummer: 32349700

Modell „ist schulfremd“

Mehr Geld, mehr Stunden. Nur mit Zahlen lässt sich das neue Dienstrecht aber nicht beschreiben. Die Mehrstunden seien auch nicht das größte Problem, sagt Pädagoge Konzett. Mit der Reform können Lehrer Fächer unterrichten, die sie gar nicht studiert haben. Kann ein Matura-Abschluss künftig tatsächlich reichen, Mathematik zu unterrichten? Obwohl man eigentlich Spanisch studiert hat? Matthias Konzett schüttelt den Kopf. Ärgerlich sei das Modell, „von Menschen entworfen, die schulfremd sind“, lautet sein Urteil.

Pflichtschullehrer befürworten Reform

Das neue Dienstrecht hat aber auch Befürworter- vor allem unter den Pflichtschullehrern. Diese werden durch die Reform aufgewertet – auch die Unterrichtszeit ändert sich kaum. So entscheidet sich die Lehramtsstudentin Nora Wastl klar für das neue Modell: „Gerade am Anfang kann ich etwas mehr Geld gut gebrauchen.“ Das Vorgehen der Gewerkschaft findet sie übertrieben, die Aufregung unverständlich. Auch die geplanten Protestmaßnahmen der Pflichtschullehrer sind deutlich weniger scharf: Statt Unterrichtsentfall wie an der AHS werden seit Mittwoch Unterschriften gesammelt.

Ausgebrannt, bevor es richtig losgeht
APA14425998 - 02092013 - WIEN - ÖSTERREICH: Junglehrer und Lehramtsstudenten am Montag, 02. September 2013, anl. einer Demonstration gegen die geplante Reform des Lehrerdienstrechtes in Wien. APA-FOTO: HERBERT NEUBAUER

Doch keine Wahlmöglichkeit?

An den Gymnasien hingegen seien die Befürworter an einer Hand abzuzählen, sagt Konzett: „Ich habe noch keinen AHS-Lehrer das neue Dienstrecht verteidigen hören.“ Dennoch würden die meisten nicht laut genug protestieren, viele sich nicht betroffen fühlen. Dabei soll die Entscheidungsfreiheit bis 2019 nicht ganz so sein, wie die Regierung sie formuliert hat. Schließlich arbeiten die meisten Junglehrer mit Zeitverträgen. Wer vor Fristablauf keinen unbefristeten Vertrag erhält, wird 2019 wohl automatisch nach neuem Dienstrecht angestellt werden. Viele Junglehrer können sich also keineswegs aussuchen, welches Dienstrecht sie bevorzugen.

Auch die Hierarchie zwischen jungen und älteren Lehrern könnte sich verstärken, befürchtet Konzett: „Das Klima im Konferenzzimmer wird nicht angenehmer, wenn manche mehr arbeiten müssen als andere.“

Den Lehrberuf aufzugeben kommt für ihn aber nicht in Frage: „Ich bin Lehrer. Aus vollem Herzen.“ Da kann es noch so sehr brodeln.

An AHS- und BMHS-Schulen entfallen am Donnerstag zwei Stunden Unterricht. In so genannten Dienststellen-Versammlungen wollen die Betriebsräte ihre Kollegen über die von der Regierung geplanten Änderungen im Lehrerdienstrecht informieren. Je nach Schulstandort finden die Veranstaltungen entweder in der Früh oder am Ende des Schultages statt; die Betreuung der Schüler bleibt gewährleistet. Wie etwa die protestierende „Initiative für ein faires Lehrerdienstrecht“ wollen die Lehrer-Gewerkschafter insbesondere die Eltern für ihre Anliegen gewinnen. Das Problem aus Sicht der AHS-Lehrer: Werden, wie im Dienstrecht vorgesehen, Lehrer verpflichtet, mehr in einer Klasse zu stehen, braucht das System insgesamt weniger Lehrer – und das schade der Qualität der Schulen.

Die einzelnen Stellungnahmen im Detail und weitere Berichte österreichischer Lehrerinnen und Lehrer können Sie hier nachlesen.

Für welche Lehrer soll das neue Dienstrecht gelten?

Das neue Dienstrecht soll für alle Lehrer gelten, deren Dienstverhältnis ab dem Schuljahr 2019/20 beginnt - egal an welchen Schulen sie unterrichten. Bereits jetzt im Dienst befindliche Pädagogen bleiben dagegen ohne Wahlmöglichkeit im alten System. Wer zwischen 2014/15 und 2018/19 als Lehrer beginnt, hat ein Wahlrecht zwischen altem und neuem Dienstrecht.

Müssen Lehrer wirklich um bis zu 40 Prozent mehr unterrichten?

In Einzelfällen ja. An der Unterrichtszeit der Pflichtschullehrer wird sich nur wenig ändern. Lehrer an höheren Schulen, die ausschließlich Schularbeitsfächer unterrichten, können aber tatsächlich auf mehr als ein Drittel mehr Unterricht kommen. Derzeit liegt die Lehrverpflichtung der AHS- und BMHS-Lehrer bei grundsätzlich 20 Stunden, in Schularbeitsfächern kann diese aber bis zu 17 Stunden absinken. Künftig müssen alle Lehrer grundsätzlich 24 Stunden unterrichten - wer die (bis zu zwei) Abschlagsstunden für Klassenvorstände, Kustoden, Mentoren etc. nicht hat, muss also um knapp 40 Prozent länger in der Klasse stehen.

Müssen Mathematik- und Turnlehrer trotz unterschiedlich hoher Vor- und Nachbereitungszeit wirklich gleich lang unterrichten?

Ja. Unabhängig von ihrem Fach gilt für alle Lehrer die gleiche Lehrverpflichtung. Die unterschiedliche Belastung wird nicht durch Zeitabschläge ausgeglichen, sondern durch finanzielle Zulagen für aufwendigere Fächer. In der Sekundarstufe I (AHS-Unterstufe, Hauptschule, Neue Mittelschule) wären das etwa für Deutsch und Fremdsprachen, Mathematik, darstellende Geometrie, Informatik und EDV 24 Euro pro Wochenstunde zusätzlich. In der Sekundarstufe II (AHS-Oberstufe, BMHS) liegt die Zulage für diese Fächer bei 36 Euro. Zwölf Euro zusätzlich sollen Lehrer bekommen, die in der Oberstufe Geografie, Geschichte, Psychologie oder ähnliche Fächer unterrichten.

Gibt es Gehaltseinbußen?

Schwer zu sagen. Regierung und Gewerkschaft gehen hier von unterschiedlichen Bezugsgrößen aus. Außerdem haben durch das neue Fächer-Zulagensystem die Lehrer kein einheitliches Gehalt mehr. Ein Deutsch- und Englischlehrer verdient - unabhängig von der Entlohnung von Spezialfunktionen wie die Betreuung von Junglehrern - an der gleichen Schule wesentlich mehr als etwa ein Geschichte- und Geografielehrer. Fix ist, dass Junglehrer durch die Drehung der Gehaltskurve mehr als bisher verdienen, ältere Lehrer weniger.

Ausgebrannt, bevor es richtig losgeht
FOTOS: Heinisch-Hosek: PA-FOTO: HERBERT NEUBAUER 16.07.2013 Tafel: Henlisatho/Fotolia 23.03.2012

Dauert es wirklich 13 Jahre bis zum ersten Gehaltssprung?

Nein. Das Dienstrecht sieht zwar vor, dass die erste Vorrückung nach 13 Dienstjahren erfolgt - gleichzeitig wird aber festgelegt, dass die Zeit des Besuchs einer höheren Schule sowie des Studiums angerechnet werden. Je nach Ausbildungsart dauert es im Regelfall also nur drei bis vier Jahre bis zum ersten Gehaltssprung.

Dürfen Lehrer auch Fächer unterrichten, für die sie gar keine Lehrbefähigung haben?

Ja - allerdings eingeschränkt. Voraussetzung sind das Vorliegen "wichtiger dienstlicher Gründe" (im Regelfall also das Fehlen von Lehrern für ein bestimmtes Fach an einer Schule) und dass dies nur "vorübergehend" passiert. Eine zeitliche Begrenzung ist aber nicht vorgesehen. Derzeit gibt es diese Regelung schon an Pflichtschulen, laut Gewerkschaft wird dort ein großer Teil der Stunden von fachfremden Lehrern gehalten.

Dürfen Bachelor-Absolventen auch in der Oberstufe unterrichten?

Grundsätzlich nicht, durch eine Hintertür aber schon. Allerdings sind alle Bachelor-Lehrer innerhalb von fünf Jahren verpflichtet, ihren Master-Abschluss nachzuholen. Tun sie dies "aus Gründen, die sie zu vertreten haben oder die in ihrer Person gelegen sind" nicht, ist dies ein Kündigungsgrund - ein automatischer Verlust der Lehrbefähigung ist aber nicht vorgesehen.

Gibt es noch Pragmatisierungen im neuen Dienstrecht?

Nein. Für alle neu eintretenden Lehrer soll das Vertragsbedienstetenrecht gelten. Dieses sieht zwar einen geringeren Kündigungsschutz als bei pragmatisierten Lehrern vor, allerdings einen höheren als bei Angestellten. So können Vertragsbedienstete im Unterschied zu Angestellten etwa nur bei Vorliegen bestimmter Gründe gekündigt werden.

Sind jetzt alle Lehrer Professoren?

Nein, sie dürfen sich aber so nennen. Das neue Dienstrecht sieht die Verwendungsbezeichnung "Professor" für alle Pädagogen vor.

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