Kapsch: „Unser Pensionssystem stirbt“

Kapsch: „Unser Pensionssystem stirbt“
Georg Kapsch will eine Totalreform der Pensionen und weniger Lohnsteuern.

Der Präsident der Industriellenvereinigung, Georg Kapsch, warnt im KURIER-Interview vor dem Kollaps des Pensionssystems – und fordert umfassende Reformen sowie eine Steuerentlastung.

KURIER: Beim Thema Budgetloch hat sich die Regierung nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Hat man das wahre Ausmaß des Finanzierungsbedarfs vor der Wahl verkannt oder bewusst verschleiert?

Georg Kapsch: Man hat es nicht erkannt. Wir haben in der Industriellenvereinigung immer mit relativ großen Budgetlöchern gerechnet. Die wirkliche Frage ist aber nicht, ob nun 20 oder 40 Milliarden fehlen. Unsere wahre Herausforderung ist das strukturelle Defizit. Wenn wir dort nichts tun, explodiert uns das in den nächsten Jahren.

Bürgermeister Häupl hat zuletzt gemeint, er könne das Desaster immer noch nicht erkennen. Sehen Sie ein Desaster?

Nicht die fehlenden Milliarden sind für mich ein Desaster, sondern der nicht vorhandene Reformwille der Politik – vor allem bei vielen Sozialdemokraten – und das Erkennen-Wollen, dass ganz schwerwiegende Maßnahmen zu treffen sind.

Zur Sanierung hat die Regierung ein paar Wahlzuckerln gestrichen und Einsparungen in der Verwaltung angekündigt. Wird das reichen?

Das reicht mit Sicherheit nicht. Wir müssen die großen Themen angehen und nicht über die Streichung von ein paar Wahlzuckerln reden, die ein paar 100 Millionen Euro bringen. Man muss grundsätzlich diskutieren, welche Aufgaben der Staat übernimmt und von welchen er sich trennen kann. Der Staat muss sich auf seine Kernaufgaben zurückziehen.

Im Zuge der Koalitionsverhandlungen werden jetzt die Reformen für die nächsten fünf Jahre auf Schiene gebracht. Was muss aus Ihrer Sicht dringend behandelt werden?

Erstens eine Änderung des Pensionssystems. Da sind Milliarden drinnen. Zweitens das Bildungssystem. Da geht es um die Zukunft unserer Gesellschaft. Und drittens eine Verwaltungsreform inklusive Entbürokratisierung.

Ich vermisse die Forderung nach einer Reform des Steuersystems ...

Wir brauchen unbedingt jetzt eine Festlegung einer Steuerreform: Wann kommt sie in dieser Legislaturperiode und in welcher Höhe. Ich möchte aber auch warnen vor Steuererhöhungen. Die bringen absolut nichts und sind nur eine Beruhigungspille. Jede Steuererhöhung kostet Arbeitsplätze. Um dauerhafte Budgetlöcher zu stopfen, müssen die Strukturen saniert werden.

Wie wollen Sie in Sparzeiten eine Steuerreform finanzieren?

Unser Vorschlag lautet: Mit Strukturreformen etwa 12 Milliarden einsparen. Eingerechnet haben wir Reformen bei Gesundheit, Pensionen, Bildung und Verwaltung. Im Gegenzug braucht es eine Entlastung des Faktors Arbeit. Die Menschen zahlen viel zu viele Lohnabgaben. Die Lohnsteuer gehört daher um acht Milliarden Euro entlastet. Vier Milliarden könnte man verwenden, um Lohnzusatzkosten zu senken.

Sprechen wir über das Pensionssystem. Welche Reformen sind nötig?

Man muss die Zeichen der Zeit erkennen. Unser System stirbt. Es rechnet sich nicht mehr und die nächste Generation wird es nicht mehr bezahlen können. Wir präferieren eine Umstellung des Systems auf ein beitragsorientiertes System mit Garantie durch den Staat. Nicht durch Aktien und Anleihen! Jeder zahlt ein, jeder weiß, zu welchem Zeitpunkt er was bekommt und wann er in Pension gehen kann. Damit hat man Verlässlichkeit. Und wenn man diese Umstellung nicht wagt, ist die Alternative, dass man das faktische Pensionsantrittsalter erhöht und das Problem der Frühpensionen in Angriff nimmt.

Aber benachteiligt eine Umstellung nicht sozial Schwächere, die weniger einzahlen?

Die unterstützen wir ja heute schon. Für sozial Schwächere muss natürlich eine Lösung gefunden werden.

Sie fordern eine Erschwerung von Frühpensionen. Wie soll das passieren?

Sämtliche Arbeitnehmer, ob ASVG oder Beamte, müssen relativ rasch gleichgestellt werden beim Antrittsalter. Zweitens muss man die gesetzlichen Lücken bei den Frühpensionsmöglichkeiten wirklich schließen.

Aber wird die Industrie Arbeitsplätze für Ältere schaffen?

Ich kann keinem Unternehmen vorwerfen, wenn es die rechtlichen Rahmenbedingungen nützt. Aber laut unseren Umfragen wollen 88 Prozent der Arbeitnehmer selbst vorzeitig in Pension.

Sie sagen also, es gibt genug altersgerechte Arbeitsplätze?

Ich bin der Meinung, dass wir an der Lebensarbeitskurve etwas ändern müssen. Gegen Ende der Laufbahn sollen die Menschen etwas weniger arbeiten. Aber dazu müssen die Arbeitszeiten anders gestaltbar sein. Daher müssen wir den 10-Stunden-Tag beenden und die Regelung aufmachen.

Heißt das mehr Arbeiten für Ihre Mitarbeiter?

Man muss die Zeit besser verteilen können. Das darf nicht nur zulasten der Arbeitnehmer gehen, das muss ausgewogen sein.

Die Regierung will das Pensionsantrittsalter durch ein Bonus-Malus-System erhöhen. Wird die Industrie Zusatzbelastungen in Kauf nehmen, um das Budget zu entlasten?

Ich bin gegen jedes Bonus-Malus-System. Das hat noch nie funktioniert und nie Steuerungseffekt gehabt. Warum soll die Industrie bonifiziert werden, wenn sie Menschen, die älter sind und ihre Leistung erbringen, erhält? Und warum soll sie im gegenteiligen Fall bestraft werden? Davon halte ich überhaupt nichts.

Wie könnte man dann aus Ihrer Sicht das Pensionsalter langsam erhöhen ohne Systemwechsel?

Klar ist, dass ältere Arbeitnehmer den Arbeitgebern derzeit sehr teuer kommen. Um das zu ändern, müsste man die Kollektivverträge kräftig umbauen. Das dauert aber sicher 20 bis 30 Jahre.

Um von der Budget-Diskussion abzulenken, macht die Regierung bei Sonderpensionen und Lehrerdienstrecht Dampf. Damit verlässt sie quasi zwei Mal den Verhandlungsweg. Begrüßen Sie diesen forschen Kurs?

Ich finde das in Ordnung, dass die Regierung endlich die Zähne zeigt. Beim Lehrerdienstrecht beginnen wir aber am falschen Ende. Wir sollten lieber bei den Bildungszielen beginnen, dann bei der Struktur des Bildungssystems und dann kann man sich erst über ein Lehrerdienstrecht unterhalten.

Kommentare