Hugo Portisch: Meine Memoiren

Hugo Portisch prägte als Chefredakteur des KURIER (1958–1967) die Medienlandschaft. Als ORF-Kommentator und Dokumentarist wurde er berühmt.
Endlich hat der ehemalige KURIER-Chef und Geschichtslehrer der Nation seine Biografie verfasst. Hier können Sie Auszüge lesen.

Der Verleger Hannes Steiner brauchte Jahre, um Hugo Portisch dazu zu bringen, seine Erinnerungen aufzuschreiben. Jetzt liegt ein Buch vor, das mit der Kindheit in Pressburg beginnt und die Erlebnisse eines Mannes erzählt, der immer nur Journalist sein wollte. Der KURIER bringt in den kommenden Tagen Auszüge seines ehemaligen Chefs.

April 1945, nach der Matura, mit einem Marschbefehl nach Prag

Nein, Prag hatte noch keine Luftangriffe erlebt. Das sei wohl der tschechoslowakischen Exilregierung in London zu danken, hieß es. Alle Häuser der Stadt waren unbeschädigt. In den Kinos wurden die letzten deutschen Filme gezeigt – mit Marika Rökk und Johannes Heesters, Hans Moser, Theo Lingen und Kristina Söderbaum. Ab und zu sah man auf den Straßen auch Soldaten, deutsche Soldaten in SS-Uniform. Ihr Anblick brachte uns sehr schnell auf den Boden unserer Realität zurück – nämlich zu unserem Marschbefehl mit dem Namen jener Kaserne, in der wir uns melden sollten. Eine SS-Kaserne. Ich hörte die Stimme meines Vaters: "Wenn es irgendwie geht, nicht in die Waffen-SS!"Wir waren uns einig: Wir wollten versuchen, so lange wie möglich nicht in diese Kaserne zu gehen. Obwohl wir auf den Plakatwänden in Prag die Kundmachungen lasen, wer gerade wegen Wehrdienstverweigerung hingerichtet worden sei. Auf den Straßen gab es Patrouillen, denen galt es auszuweichen. Naheliegend war, ins Kino zu gehen, so oft wie möglich. Und schlafen? Auch das bot sich an: In den großen Hallen des Prager Hauptbahnhofs lagerten jede Nacht viele Flüchtlinge. Das taten wir nun auch. Aber nicht lange. Eines frühen Morgens tauchte überraschend eine SS-Patrouille auf und kontrollierte alle Anwesenden, auch uns. Ob wir denn wüssten, wie man zu der in unserem Marschbefehl angeführten Kaserne käme? Nein, sagten wir. Das treffe sich ja gut, hieß es, die Patrouille werde jetzt in genau diese Kaserne zurückkehren, wir könnten uns ihr gleich anschließen.

Hugo Portisch: Meine Memoiren
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2. Jänner 1948, Wien

Am 2. Januar 1948 betrat ich das Redaktionszimmer der Wiener "Tageszeitung", das für die nächsten vier Jahre mein berufliches Zuhause sein würde. In diesem einen Zimmer war die gesamte Auslandsredaktion der Zeitung untergebracht. Es war nicht sehr groß, und doch standen hier drei Schreibtische und zwei Schreibmaschinen-Tischerl. Begrüßt wurde ich von zwei Damen und zwei Herren. Die Herren hießen Karl Polly und Hans Dichand, die Damen Prerovski und Smoliner. Polly war der Chef, ein Herr mittleren Alters. Von dem schweren Schicksal, das er hatte, erfuhr ich erst im Laufe der Zeit. Im Jahre 1938 hatte sich Polly als Legitimist (Monarchist) im Widerstand gegen Hitler und gegen den "Anschluss" betätigt. Von der Gestapo aufgespürt, wurde er vor Gericht gestellt, verurteilt und verbrachte die sechs Jahre bis zum Kriegsende in einem Münchner Gefängnis. Befreit und heimgekehrt, arbeitete er wieder als Redakteur und leitete jetzt in dieser Zeitung das Ressort Auslands- politik.

Hans Dichand, bedeutend jünger als Polly, kam aus Graz, wo er beim Britischen Nachrichtendienst untergekommen war, dem Pressedienst der britischen Besatzungsmacht in der Steiermark. Er war daher hier schon als ausgebildeter Redakteur anerkannt. Ich nicht. Mir stand nur der im Kollektivvertrag für Journalisten vorgesehene Einstiegstitel zu: "Redaktionseleve im ersten Jahr"...

Hier gab es auch andere Gespräche, eines, an das ich mich auch gut erinnere. Es wurde zwischen Dichand und Frau Prerovski geführt. Frau Prerovski war vor dem Krieg die Sekretärin des letzten Chefredakteurs der "Kronen Zeitung" gewesen. Sie schwärmte von dieser Zeit und schilderte die großen Erfolge dieser Zeitung in hellen Farben. Dichand war ein aufmerksamer Zuhörer und erklärte einige Male: "Die Kronen Zeitung, die müsste man neu gründen!" Und ich glaube, dass das damals schon sein Vorsatz war.

Im Jahr 1949: "Traudi – Ich finde eine Frau fürs Leben"

Jetzt habe ich Traudi schon erwähnt, nun muss ich auch berichten, wie ich sie kennengelernt habe. Knapp bevor ich zur "Tageszei-tung" kam. Da war ich noch in dem Verlagshaus der niederösterreichischen Zeitungen tätig, in der Wiener Beatrixgasse. Der Verlag bekam gerade einen weiteren Kunden. Eine neue Zeitung wurde gegründet, ein Montagsblatt, in dem von sämtlichen Sport- ereignissen des vorangegangenen Wochenendes berichtet werden sollte. Gründer und Chefredakteur war Maximilian Reich, vor dem Krieg einer der bekanntesten und populärsten Sportberichterstatter Wiens. Gleich nach dem Einmarsch der Nazitruppen 1938 wurde er verhaftet und im ersten Transport der Gestapo in das Konzentrationslager Dachau gebracht. Nach Dachau folgte Buchenwald, dann seine Entlassung unter der Bedingung, Deutschland sofort zu verlassen. Seine Frau ging mit ihm, sie hatten Visa nach Großbritannien erhalten. Ihre beiden Töchter Gertraude und Henriette schafften es bald danach, mit dem berühmt gewordenen Kindertransport nach England nachzukom- men. Dort blieben sie bis Kriegsende.

Nun waren sie alle nach Wien zurückgekehrt. Maximilian Reich leitete die Sportredaktion der von den Briten herausgegebenen "Weltpresse", gründete aber jetzt sein eigenes Sportblatt, den "Wiener Montag". Was Reich auszeichnete, war sein großartiger Humor. Trotz des Altersunterschieds verstanden wir einander sofort, wir lachten viel gemeinsam. Da ich allein war, lud er mich zu einem Abendessen bei sich zu Hause ein. Als ich dort wegging, war ich tief beeindruckt. Was für eine fabelhafte Familie. Nach allem,was sie durchgemacht hatten, waren sie humorvoll, freundlich und weltoffen geblieben. Solche Freunde sollte man haben, dachte ich. Einige Wochen später bestieg ich in der Mariahilfer Straße die damals dort noch verkehrende Straßenbahn. Und kam auf der offenen Plattform vor der Tochter Reichs zu stehen, der Gertraude, die sie Traudi riefen. Erfreutes Wiedersehen. Und was sie jetzt so täte. Heute Abend ginge sie in den Musikverein – Haydns Oratorium "Die Jahreszeiten". Ob ich Lust hätte mitzukommen, sie hätte noch eine Karte. Nach dem Konzert lud ich sie zu einem Abendessen ein, bescheiden in ein kleines Gasthaus.

Ja, das war der Anfang. Ein Jahr später heirateten wir.

Hugo Portisch: Meine Memoiren
Interview im Unterrichtsministerium am 22.03.2013 mit Hugo Portisch.

1991 - Ein ehrenwertes Angebot in New Orleans

Im Hotel erhielt ich einen Anruf aus Wien. Am Telefon ein Vertrauter des damaligen Bundeskanzlers Franz Vranitzky. Der Bundeskanzler habe im Einvernehmen mit Vizekanzler Erhard Busek die Absicht, mich einzuladen, als gemeinsamer Kan- didat der SPÖ und ÖVP für die bevorstehende Wahl des Bundespräsidenten anzutreten. Nein, war mein sofortiger Gedanke. Kein politisches Amt, ich bin Journalist und nur das will ich sein. Ich sagte das nicht zum ersten Mal. Bundeskanzler Klaus und Bundeskanzler Kreisky hatten mich schon zur Mitwirkung in ihren Regierungen eingeladen. In beiden Fällen bat ich um Verständnis für meine Ablehnung und fand es auch. Diese Situation wollte ich jetzt dem Bundes- und dem Vizekanzler von vornherein ersparen, sie mögen mir bitte dieses Angebot nicht stellen, ich würde es mit Sicherheit nicht annehmen. Für mich war die Sache damit entschieden.

Hugo Portisch: Meine Memoiren
Ecowin, Portisch, Aufregend war es immer
Von New Orleans aus machten wir dann noch eine Rundreise durch die USA und kamen 14 Tage nach diesem Anruf in Wien an. Begrüßt von der Schlagzeile im KURIER: "Portisch Kandidat für Bundespräsident". Am nächsten Tag schon werde mir von Bundeskanzler Vranitzky das Angebot im Namen beider Parteien gemacht werden. Mein spontanes Nein hatte also nicht geholfen. Die Einladung zu diesem Gespräch lag vor und ich kam ihr nach. Es war nicht einfach, dem Bundeskanzler meine Ablehnung zu erklären. Denn es war ja Ausdruck einer großen Wertschätzung, mir eine solche Kandidatur anzubieten. Im Grunde genommen gab es für mich nur ein Motiv für diese Ablehnung: Freiheit.

Der nächste Teil: Wie Österreich die Freiheit erhielt und es niemand glauben wollte.

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