"Die Keule der Hofburg-Etikette trifft jeden"

"Die Keule der Hofburg-Etikette trifft jeden"
Seit 17 Jahren steht Meinhard Rauchensteiner im Dienst des Bundespräsidenten. Zuerst für Thomas Klestil, die vergangenen 12 Jahre als Berater von Heinz Fischer. Wer, wenn nicht er, kennt das Jobprofil des Bundespräsidenten und weiß, was hinter den Kulissen der roten Tapetentür wirklich abläuft.

KURIER: Herr Rauchensteiner, im Wahlkampf wurde viel diskutiert, welche verfassungsrechtlichen Befugnisse der Bundespräsident bei der Regierungsbildung hat. Wie schaut der tatsächliche Alltag des Bundespräsidenten aus? Ist er nicht mehr mit dem Verleihen von Ehrenzeichen beschäftigt als mit Regierungsumbildungen?

Meinhard Rauchensteiner: Nein, der Bundespräsident läuft nicht den ganzen Tag mit kleinen Schachteln, die mit Ehrenzeichen gefüllt sind, in der Hofburg herum. Das Verleihen von Ehrenzeichen ist nur ein kleiner Teil der Tätigkeit. Ein ganz wichtiger Teil ist das Beurkunden von Gesetzen. Er spielt bei der Bestellung von hohen Beamten eine wichtige Rolle. Das geht von Schuldirektoren bis hin zu Höchstrichtern. Hauptsächlich ist der Bundespräsident damit beschäftigt, in- und ausländische Gäste, Interessensvertretungen oder auch Besuchergruppen zu empfangen. Auf den Punkt gebracht, kann man das Jobprofil so zusammenfassen: Hände schütteln, Gespräche führen , Reden redigieren und halten.


KURIERat berichtet live aus den Wahlkampfzentralen kurier.at/wahl

Wie viel persönliche Freiheit muss der Bundespräsident für das Amt aufgeben?

Die Keule der Hofburg- Etikette trifft jeden. Man kann Rhetorikseminare besuchen oder NLP-Schulungen machen, aber für das staatliche Protokoll gibt es vorab kein Training. Auf die Hofburg kann man sich nicht vorbereiten. Denn es käme vermutlich keiner auf die Idee, zur Übung eine Kastanienbaum-Allee entlangzuschreiten, als wäre es eine Ehrenformation (lacht).

Der Bundespräsident hat von früh bis spät ein enges Zeitkorsett. Jeder Handlungsablauf ist wirklich determiniert und bei Staatsbesuchen oft auf Dutzenden Seiten aufgelistet. Das Protokoll hat man zwar schnell gelernt, aber ob man es auch innerlich akzeptiert, da bin ich mir nicht so sicher.

Als zweiter Punkt kommt hinzu, dass es per se schon eine Herausforderung ist, in der Hofburg zu arbeiten. Man fühlt sich mehr in einem Museum als in einem Büro. Und wer schreitet schon jeden Tag auf seinem Weg ins Büro einen 64 Meter langen roten Teppich ab? Auch das ist ein wenig gewöhnungsbedürftig.

Freiheitsliebend darf man nicht sein?

"Die Keule der Hofburg-Etikette trifft jeden"
BPR Heinz Fischer und Meinrad Rauchensteiner
Jede Spontanität des Bundespräsidenten bringt wahnsinnig viele Menschen zum Schwitzen. Ein spontaner Museumsbesuch während eines Staatsbesuchs ist ein unglaublicher logistischer Aufwand. Von der Security bis zum Protokollchef. Dazu kommt im Alltag: Die Sicherheitsbeamten sind ständig an der Seite des Bundespräsidentenpaares, ob man will oder nicht. Alexander Van der Bellen würde sagen, es ist ein Dreier (lacht).

Im Idealfall wird der Polizeibeamte zu einem zusätzlichen Familienmitglied. Dann hat man das Gefühl, weniger Privatsphäre abzugeben.

Wie lange braucht man, um die Hofburg zu erkunden?

Ich denke, da sind zwei Amtsperioden von 12 Jahren gerade richtig. Es gibt sehr spezielle Ecken in der Hofburg wie etwa das Montur-Depot, wo die alten Uniformen aus der Habsburgerzeit archiviert sind. Oder das Gipsfiguren-Depot, wo sich die Vorlagen für die Figuren der Ringstraßen befinden. Das sind interessante Orte, die man auch nicht jeden Tag besuchen kann. Aber irgendwann sieht man das museale Ambiente nicht mehr.

Kennt Heinz Fischer die Hofburg wie seine Westentasche?

Er war unheimlich interessiert. Er kann die Einführung für seinen Nachfolger vom Keller bis zum Dachboden machen.

Sind Staatsbesuche in einer Welt, in der man skypen oder Videokonferenzen abhalten kann, noch zeitgemäß?

Ich würde gerne eine Umfrage starten, wie viele Staatsoberhäupter skypen können. Ein Staatsbesuch ist nicht erster Linie da, um Gespräche zu führen, die man nicht auch in einem anderen Rahmen führen könnte. Es ist in erster Linie ein Akt der Höflichkeit. In einer globalisierten Welt, wo keine wirkliche kulturelle Hegemonie mehr ausmachbar ist, ist es wichtig, dem Prinzip der Höflichkeit einen hohen Stellenwert beizumessen. Deswegen ist der Staatsbesuch gar nicht veraltet.

Können Sie uns ein paar Protokoll-Schmankerln bei Staatsbesuchen verraten?

Entgegen allen Versuchen zur Vereinheitlichung von Besuchsabläufen kann man ein geradezu babylonisches Protokollgewirr beobachten. Jedes Land hat so seine Eigenheiten: Im Iran singt die Ehrengarde der Armee laut und beherzt die Nationalhymne , in Brasilien reitet am Ende der militärischen Ehren die Kavallerie am Palast des Staatspräsidenten vorbei, zur dröhnenden Melodie von "The Final Countdown" der – nomen est omen – Rockband Europe. In Deutschland – wie auch in anderen Ländern – wird das Flugzeug des Staatsgastes von der Grenze bis zum Zielflughafen von Kampfjets begleitet.

Hoppalas sind da nie passiert?

Doch, natürlich. In einigen Ländern muss der Gast in der Landessprache den Soldaten der Ehrenformation der Armee etwas zurufen, was etwa so viel bedeutet wie: "Guten Tag, Soldaten, ihr seid klasse Burschen!" (auf Polnisch etwa lautend: "Czołem żołnierze!"). Der Gast selbst versteht natürlich kein Wort von dem, was er spricht, und darf nur hoffen, dass er nicht einen Unsinn hinausposaunt. So geschah es etwa Bundespräsident Rudolf Kirchschläger, der sich bei seinem Staatsbesuch in Polen die Begrüßungsworte für die Soldaten phonetisch in sein Hutband schrieb, um die richtige Formulierung unauffällig ablesen zu können. Unglücklicherweise hatte einsetzender Regen während des Abspielens der Hymnen die Schrift im Hut unlesbar werden lassen – ein typischer Fall für semantische Improvisation.

Anders erging es Thomas Klestil, der dieses Begrüßungsritual noch nicht kannte und bei seinem ersten Staatsbesuch in der Slowakei vom damaligen Präsidenten Michal Kovac mit dem Wort "Rede!" unauffällig aufgefordert wurde,die Gardesoldaten zu begrüßen. Klestil verstand den Vokativ als Nomen, die Grußaufforderung als Vortragsankündigung und hob also zu sprechen an: "Liebe Soldaten! Es freut mich, dass ich heute in Bratislava …" Hier unterbrach ihn Kovac und sagte in knappem Befehlston: "Genug!"

Sie sind der Ghostwriter der Heinz-Fischer-Reden für den Bereich Kunst und Kultur. Was macht eine gute Rede aus?

Der Bundespräsident hat eine relative geringe Redezeit von nur sieben Minuten. Deswegen ist es wichtig, dass man einen raschen, konkreten Einstieg findet. Idealerweise einen, der Personen, die gerade am Einnicken sind, in den Sesseln zusammenzucken lässt. Enden sollte jede Rede mit einer Botschaft. Die rhetorische Maxime von Martin Luther "Tritt fest auf, mach‘s Maul auf, hör bald auf" ist ein gutes Leitbild. Wenn man sich daran hält, hat man schon viel richtig gemacht.

Sie sind ein Hofburg-Insider. Wie sieht Ihre Bilanz der Ära Fischer aus?

Schon mein erstes Erlebnis mit ihm hat mich beeindruckt. Heinz Fischer drückte mir acht Hörbuch-CDs in die Hand, wo er für den ORF die Geschichte der Zweiten Republik aufgenommen hatte. Er bat mich, diese CDs anzuhören, ob ich einen Fehler finde. Wenn ja, möchte er die Fehler im letzten Hörbuch-Teil korrigieren. Da war ich überrascht. Zu sagen – bis jetzt habe ich Folgendes behauptet, aber wahr ist vielmehr – ist erstaunlich. So handeln nur Philosophen.

Sie sehen Heinz Fischer als einen Glücksfall für Österreich?

Ja. Das sehen viele Menschen im Ausland auch so. Nicht selten hören wir bei Staatsbesuchen: "Könnt ihr uns den Fischer nicht leihen?"

Drei der Bundespräsidentschaftskandidaten sind im Pensionsalter. Wie anstrengend ist der Job des Bundespräsidenten?

Sehr anstrengend. Nach der Kuba-Kolumbien-Reise, die sechs Tage dauert, ging es gleich direkt vom Flughafen ins Kunsthistorische Museum. Am nächsten Tag waren wir bei der Diagonale-Eröffnung in Graz. Wenn man das Amt so wie Heinz Fischer versteht, dann gibt es keine Verschnaufpause.

Welches Rüstzeug sollte man als Bundespräsident mitbringen?

Großes Fingerspitzengefühl und eine hohe Sensibilität sind sehr, sehr nützlich. Weil vieles von dem, was man in diesem Amt bewirken kann, nicht ex lege verankert ist, sondern dem Bundespräsidenten selbst überlassen ist.

Einige Bundespräsidentschaftskandidaten wollen das Amt aktiver als Heinz Fischer ausüben. Was ist besser, ein leiser oder ein polternder Bundespräsident?

Er benötigt ein hohes Maß an Uneitelkeit, weil vieles in Form von stiller Diplomatie passieren muss. Wenn man alles an der Bühnenrampe macht, engt man seinen Handlungsspielraum ein. Heinz Fischer hat viel zur Gestaltung des Landes beigetragen, ohne dass die Öffentlichkeit je davon erfuhr.

Soll ein Bundespräsident ein Coach sein?

Im Idealfall ist er ein Beispiel. Das ist weit mehr als ein Coach oder eine moralische Instanz. Wenn Heinz Fischers abwägende Haltung einige Menschen dazu bringt, selbst bei den eigenen Entscheidung mehr abzuwägen, hat er schon viel erreicht.

Eigentlich wollte der Berater des Bundespräsidenten für Kunst, Kultur und Wissenschaft nie im Staatsdienst tätig sein. Aber vor 17 Jahren kam es dann anders. "Ich hatte gerade keinen Job. Da erfuhr ich, dass in der Hofburg ein Redenschreiber gesucht wird. Also bewarb ich mich", erzählt Rauchensteiner. Thomas Klestil gab dem ehemaligen Philosophiestudenten den Job.

Das historische Rüstzeug für die Position bekam der Ghostwriter der präsidialen Reden von seinem Vater, dem bekannten Historiker Manfried Rauchensteiner. Der ehemalige Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums (HGM) und Universitätslehrer schrieb ein Standardwerk über den Ersten Weltkrieg. In der ersten Auflage hieß es "Der Tod des Doppeladlers". Im Vorjahr wurde das 1200 Seiten starke Werk unter "Der Erste Weltkrieg"neu aufgelegt.

Aber auch Sohn Meinhard ist ein gefragter Autor. Im Czernin-Verlag erschien "Das kleine ABC des Staatsbesuches" um 16,80 Euro.

Kommentare