Hilfe, Verschwörer! Warum die FPÖ so gerne Gespenster sieht

Wir gegen das „System“: Hofer und Strache sehen sich gerne in der Opferrolle.
Es gibt ein Komplott bei Wahlkarten, beim Wahltermin, ja selbst beim Wetter: Keine Partei verwendet in ihrer Polit-Arbeit so oft verschwörungstheoretische Argumente wie die Freiheitlichen.

Es war ein lauer Mai-Tag in der Bundeshauptstadt, und er war unter Freunden, aber irgendetwas bedrückte Norbert Hofer. Der Hofburg-Kandidat war auf einer Bühne im Prater, er hatte die Stichwahl vorläufig gewonnen – ein Grund zum Feiern , sollte man meinen. Aber als Hofer neben seinem Spezi Heinz-Christian Strache saß, ahnte er etwas: Schon am nächsten Tag, nach der Auszählung der Briefwahlstimmen, könnte sich alles drehen und er Zweiter werden – die FPÖ war bei Briefwählern ja traditionell eher brustschwach.

Was also tun? Hofer schaute in die Runde und sprach mit ruhigem Ton das Ungeheuerliche aus: "Bei den Wahlkarten wird immer ein bisserl eigenartig ausgezählt. Aber wir haben auf jeden Fall gewonnen."

Wie bitte? Stellte der Dritte Nationalratspräsident gerade in den Raum, dass bei der Stimmenauszählung getrickst wurde?

Es dauerte ein paar Monate, dann hob der Verfassungsgerichtshof die Stichwahl tatsächlich auf. Nicht, weil Stimmen manipuliert worden waren, sondern weil strenge Vorgaben mehrfach schlampig ignoriert wurden.

System hat sich verschworen

Das ändert aber nichts daran, dass die FPÖ mit Leidenschaft die Legende pflegt, "das System" hätten sich gegen sie verschworen.

Beispiele? Für die Pflege der Verschwörungstheorie gibt es die zuhauf.

Die Verschiebungsverschwörung

Die jüngste freiheitliche Theorie ist ein paar Tage alt und sie geht so: Die Stichwahl wurde unter verschwörerischen Umständen verschoben. Ausgerechnet bei der "historisch wichtigsten Wahl der 2. Republik" (© Strache) hätten sich "SPÖ, ÖVP, Grüne und Neos" auf eine Verschiebung geeinigt, so Strache via Facebook.

Das Irritierende an dieser These ist nicht nur, dass die angeblich Beteiligten sie abstreiten. Es ist objektiv schlichtweg nicht nachvollziehbar, warum eine Wahlverschiebung von ein paar Wochen dem fidel wirkenden FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer schaden sollte. Nicht einmal Hofer selbst kann das erklären – "Ein späterer Wahltermin ist für mich nicht von Vorteil", sagt er. Mehr nicht.

Anti-FPÖ-Störsender

Aber vielleicht muss man in größeren Kategorien denken –wie Ursula Stenzel.

Die frühere TV-Moderatorin äußerte im Wahlkampf eine Angst machende Vermutung: "Höre Norbert Hofer auf Ö3. Merke aber, dass Frequenz kaum zu finden ist", ließ Stenzel die Wählerschaft wissen. Sie sei in ihrem "geliebten Hotel Bismarck" in Hofgastein. "Habe natürlich ein kleines Radio und bin vernetzt. Hoffe, dass keine Absicht dahintersteckt, Sendung mit Hofer zuzudecken. Das wäre ja wie im Kalten Krieg!"

Hofers Radio-Interviews werden von den "Feinden", also von den anderen Parteien, per Störsender zugedeckt?

Das klingt tatsächlich nach Krieg und Besatzung – zumal die frühere ÖVP-Bezirksvorsteherin offenbar nicht in Erwägung zieht, dass es einfach nur am schlechten Radio-Empfang in den Bergen liegen könnte, warum sie das Radio-Interview mit ihrem neuen Parteifreund nicht empfangen konnte.

Das politisch manipulierte Wetter

Einer der stärksten Belege dafür, dass die Strache-FPÖ eine Affinität zu Verschwörungstheorien haben, sind nicht zuletzt die Themen, mit denen sich Parlamentarier Norbert Hofer beschäftigt. Erst vor drei Jahren stellte er eine ernst gemeinte Anfrage zu den "Chemtrails".

Die krude Theorie geht so: Angehörige einer Weltverschwörung bzw. bestimmter Regierungen bringen via Flugzeug in großen Höhen Chemikalien aus, um das Wetter und/oder die Gesundheit der Bevölkerung eines Landes zu manipulieren. Der "Beleg" für die Idee sind die auffallenden Kondensstreifen bei Flugzeugen – die Chemtrails.

Hofer wollte vom Verteidigungsminister wissen, welche "Datenlage" er zu den "Wettermanipulationen" hat. Der militärische Wetterdienst konnte nur sagen: Wir beobachten das Wetter recht intensiv, aber unerklärliche Chemie-Spuren gibt’s einfach nicht.

Die FPÖ profitiert vom "David-Effekt"

Bleibt die Frage: Warum sollte sich eine Partei, die laut Umfragen für rund ein Drittel der Bevölkerung wählbar ist, der Lächerlichkeit preisgeben, indem sie bizarren Gerüchten einen offiziösen Charakter verleiht?

"Negative Kampagnen setzen oft Gerüchte über andere in die Welt oder stilisieren sich selbst zum Opfer eines übermächtigen Gegners", sagt Josef Barth. Gutem Campaigning gehe es mit Schmutzkübel-Kampagnen ähnlich wie seriösen Qualitätsmedien mit bösartigen Boulevardblättern: "Die Menschen zu überzeugen, dass ein Gerücht erfunden wurde, kostet viel Zeit und Ressourcen – und man spricht trotzdem nur über das Thema, das der Gerüchtekoch einem auftischen wollte."

Als Experte für Online-Kampagnen hat Barth im Wahlkampfteam von Heinz Fischer die Social-Media-Kampagne verantwortet und musste dabei selbst gezielt gestreute Gerüchte bekämpfen. Der strategische Vorteil der Opfer-Rolle: "In der David gegen Goliath-Erzählung, verschlägt es den Zuseher emotional schnell auf die Seite von David – egal, ob es Goliath gibt oder nicht."

Mit sachlichen Argumenten, sagt Barth, ist Verschwörungstheoretikern naturgemäß schwer beizukommen – wer widerspricht wird als Teil des "Systems" gesehen.

So gesehen wird es nicht lange dauern, bis im Netz die Verschwörung zum 4. Dezember "aufgedeckt" wird. Ausgerechnet der Konkurrent von Norbert Hofer, Alexander Van der Bellen, hat auf Plakaten das Kürzel "VDB". Die Anfangsbuchstaben für "V"ierter "D"ezember "B"undespräsidentenwahl.

Das kann doch kein Zufall sein, oder?

Der so genannte Islamische Staat? Wurde vom israelischen Geheimdienst Mossad gegründet – allein die Tatsache, dass die Terrororganisation nicht gegen Israel vorgeht, bestätigt doch die Verbindung. Die Anschläge auf das World Trade Center am 11. September 2001? Ein übles Komplott von Regierungsmitgliedern der USA, um den Irak-Krieg anzuzetteln. Und der tödliche Auto-Crash von Kärntens Landeshauptmann Jörg Haider vor fast acht Jahren? Er geht auf das Konto der Freimaurer. Ein einzelner Schuh, der am Unfallort fotografiert wurde, weist eindeutig auf ein Ritual der Logenbrüder hin. Ja, so kann man sich die Welt bisweilen erklären. Politische Zusammenhänge sind mitunter komplex, simple Erklärungen oft durchaus willkommen – selbst wenn sie jeder Grundlage entbehren. Gerade in Krisenzeiten haben Verschwörungstheorien Hochkonjunktur. Nichts geschieht durch Zufall, alles ist geplant. „Jeder Mensch glaubt am Liebsten das, was in seine Welt hineinpasst“, sagt der Autor und Journalist Thomas Rammerstorfer. Er hat sich mit dem Thema intensiv beschäftigt und hält unter dem Titel „Schall und Rauch“ Vorträge zu Verschwörungstheorien. „Die einfachen Erklärungen funktionieren nur, wenn sie an bestehende Vorurteile anknüpfen.“ Der Schweiz eine Bankenkrise in die Schuhe zu schieben, würde maximal belächelt. Die Interpretation, dass Juden hinter der Finanzkrise stecken, fiele dagegen auf fruchtbaren Boden. Nur ein Faktencheck kann die Fehleinschätzungen zurechtrücken.

Doch die Überprüfung der Zusammenhänge hat ihre Tücken. „Vor allem die Hardcore-Fraktion der Verschwörungstheoretiker sieht Kritiker als Beweis für ihre Theorie“, sagt der Extremismus-Experte. Wer Gegen-Argumente bringt, wird schnell als Lügner abgetan, gekauft von den Andersdenkern, um die Wahrheit zu verschleiern. Gläubige lassen sich in ihrem Glauben nicht von Tatsachen beirren. Die Massenmedien tun das Übrige – sie sind Teil des Systems. „Gerade den sozialen Medien ist immanent, dass man in Kreisen von Gleichgesinnten verkehrt“, sagt Rammerstorfer. Nicht nur die Freunde sind einer Meinung, auch Suchmaschinen liefern konforme Informationen. Sie orientieren sich an bereits Abgefragtem und bestätigen damit das einseitige Weltbild. Besonders empfänglich für Verschwörungstheorien sind Menschen am Rand der Gesellschaft – die sich ausgegrenzt fühlen, die sich mit einfachen Antworten leichter tun als mit vielschichtigen. „Es gibt geschlechtsspezifische Unterschiede. Männer glauben eher an kriegerische, terroristische Verschwörungen, Frauen kippen eher bei soften Themen wie Ernährung und Gesundheit hinein“, sagt Rammerstorfer. Und die Urheber der gezielten Falschmeldungen? Sie schlagen Profit – entweder monetärer oder politischer Natur.

Hedwig Derka

Zugegeben, das Wort klingt irgendwie seltsam: „Filterblase“. Das Phänomen, das Internet-Experten mit diesem Begriff beschreiben, ist allerdings nicht seltsam, sondern durchaus problematisch für die freie und unabhängige Meinungsbildung.

Worum geht es? Was auch immer man im Internet tut, egal, ob man in Suchmaschinen nach Begriffen sucht oder sich in Sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter austauscht: Immer laufen im Hintergrund Algorithmen, die das Verhalten des Users analysieren und versuchen es zu antizipieren. Das bedeutet, dass einem Internet-Benutzer bei künftigen Suchen vorzugsweise Seiten vorgeschlagen werden, die den früheren Suchen entsprechen – man lebt online in einer gefilterten Realität oder Blase, die sich am deutlichsten auf Seiten wie Facebook zeigt: Sukzessive werden nur noch Clips, Nachrichten und Beiträge vorgeschlagen, von denen der Algorithmus glaubt, dass sie einem gefallen. Wessen Meinung man besonders oft teilt, dessen Beiträge kommen besonders oft und prominent in die Timeline. A la longue landet man also in einer „Echokammer“, die sich dadurch „auszeichnet“, dass man nur noch Meinungen und Nachrichten von Gleichgesinnten konsumiert.

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