Güngör: "Frauen mit Kopftuch besonders verletzlich"

Soziologe mit Integrationsexpertise: Kenan Güngör
Der Soziologe Kenan Güngör über Rassismus gegenüber Muslimen, problematische Entwicklungen in der muslimischen Community und das Phänomen "Islamophobie".

Innerhalb weniger Tage ereigneten sich diese Woche gleich zwei Übergriffe gegen Muslime im öffentlichen Raum in Wien. Im Fall einer Frau mit Kopftuch, die von einem Mann geschlagen wurde, ist das Motiv des Täters noch unklar. Beim jüngsten Vorfall, bei dem ein türkischstämmiger Mann verprügelt wurde (der KURIER berichtete), muss von einem rassistischen Hintergrund ausgegangen werden. Laut der Anti-Diskriminierungs-Stelle ZARA ist die Zahl rassistischer Vorfälle hierzulande im vergangenen Jahr stark angestiegen.

Der Soziologe und Integrationsexperte Kenan Güngör über die Ursachen dieser Entwicklung - und wie ihr Einhalt geboten werden könnte.

Herr Güngör, diese Woche gab es zwei Vorfälle, bei denen Muslime Opfer von Attacken im öffentlichen Raum wurden. Sind das Einzelfälle oder steckt dahinter ein größerer Trend?

Kenan Güngör: Es sind sicherlich keine Einzelfälle. Wir beobachten eine Zunahme rechtsradikaler Übergriffe und zunehmende antimuslimische Ressentiments. Das ist in den letzten Jahren markant gestiegen. Es gibt eine zunehmende Radikalisierung am rechten Rand der Gesellschaft, die sich auch in der Zunahme von Anschlägen auf Unterkünfte von Asylsuchenden zeigt. Zugleich reichen Ressentiments tief in Teile der gesellschaftlichen Mitte hinein. Auch wenn hier Muslime und Zugewanderte hier die Opfer und Leidtragenden sind, darf man nicht übersehen, dass es auch in Teilen der Migrationsbevölkerung rechtsextremistische, islamistische, antiwestliche und frauenfeindliche Tendenzen gibt. Das steigert das Unbehagen und die begründete Besorgtheit, die bis hin zum offenen Rassismus reicht.

Frauen mit Kopftuch scheinen von Anfeindungen in der Öffentlichkeit derzeit besonders betroffen zu sein.

Sie spüren das am meisten. Männern merkt man die Religiosität meist nicht an. Frauen mit Kopftuch sind in dieser Hinsicht die verletzlichste Gruppe. Da ist die Hemmschwelle für Übergriffe, sei es verbal, mit Blicken oder mit Gewalt, gesunken. Das ist die problematische Entwicklung.

Trägt daran eine Seite größeren Anteil als die andere?

Es gibt die fremden- und muslimfeindlichen Kreise. Andererseits schaukelt es sich natürlich auf. Was man über die islamische Welt hört und sieht, also Kriege, Terror oder Unterdrückung, gibt kein gutes Bild von den muslimischen Ländern ab und das steigert das Unbehagen. Das ist das eine. Dass die Muslime, die hier leben, als Projektionsfläche und Sündenböcke dafür herhalten, ist die andere Seite der Medaille.

Gleichzeitig scheint die Akzeptanz von Fremdenfeindlichkeit zu steigen.

Das Sagbarkeitsfeld rassistischer Aussagen hat sich erweitert. Es gibt tiefe Ressentimens in der Gesellschaft, fremdenfeindliche Äußerungen sind keine Minderheitsposition mehr. Deswegen trauen sich die Leute öffentlich mehr. Das verleiht ein Gefühl von Stärke und gesellschaftlicher Legitimität. Das häufigste ist der verbale Übergriff, wenn man weiß, dass viele schweigen oder billigend zuschauen.

Das heißt also, dass diese Gewalttaten auch deshalb ernst zu nehmen sind, weil sie nicht die Ausnahme sind, sondern Symptom einer größeren Entwicklung in der Gesellschaft.

Ja, das ist ganz wichtig. Man muss bei jedem Gewalt-Phänomen schauen, ob eine breitere gesellschaftliche Basis oder Stimmungslage dahinter steht oder nicht. Bei der physischen Gewalt gegenüber Frauen und Kindern, gibt es eine deutlich stärkere gesellschaftliche Ächtung als noch vor 50 Jahren. Gegenüber Migranten und Muslimen geht der Trend leider nicht in diese Richtung. Die Verwerfungen in der islamischen Welt, die objektive und die vermeintliche Terror-Gefahr, die Flüchtlingsfrage, die Ereignisse in Köln – das alles hat bei vielen Menschen Verunsicherung ausgelöst. Und am anderen Rand, der ohnehin schon ressentimentbeladen war, steigert sich das zusätzlich. Das kann sich entladen. In Form der demokratischen Wahl rechtspopulistischer Parteien, verbalen Übergriffen oder physischer Gewalt. Deshalb hat es einen gesellschaftlichen Kontext, den man ganz klar im Auge behalten muss.

Überspitzt gefragt, ist Österreich fremdenfeindlicher als andere europäische Länder?

Es gibt Studien, die zeigen, dass die Fremdenfeindlichkeit in Österreich im Vergleich zu anderen europäischen Ländern deutlich stärker ausgeprägt ist. Gegenwärtig ist zu beobachten, dass eine zunehmende Polarisierung in der Gesellschaft stattfindet. In bestimmten Teilen der muslimischen Bevölkerung herrscht die Position vor, dass die ganze Gesellschaft gegen sie sei und sie sich eigene Räume und Strukturen schaffen müssten. Es gibt auch bei Muslimen problematische Strömungen. Rechtextremismus und abwertende Ideologien finden sich in unterschiedlichem Ausmaß in allen Gruppen wider. Antisemitische, antikurdische, antiarmenische Haltungen, zum Beispiel.

Die Ablehnung der offenen Gesellschaft findet sich hier auch in Teilen der türkischstämmigen Bevölkerung. In einer Migrationsgesellschaft müssen wir Gewaltbereitschaft in allen Bevölkerungsgruppen im Auge behalten. Wir können nicht einfach mit dem einseitigen Täter-Opfer-Schema arbeiten. Auch die Migranten und Muslime sind gefordert, eine selbstkritischen Blick auf sich werfen und sich fragen, welchen Beitrag sie für gewisse Problemstellungen leisten.

"Islamophobie" ist ein Kampfbegriff geworden, der oft auch gegen sachliche Kritik am Islam verwendet wird. Aber wo hört kritische Auseinandersetzung mit dem Islam auf und wo beginnt Islamfeindlichkeit?

Man kann es ganz klar an der Grundhaltung festmachen. Nicht an den Kritikpunkten selbst, sondern an der Motivation, warum man etwas kritisiert. Es ist völlig in Ordnung, zu sagen: Mir ist ein gutes Zusammenleben in dieser Gesellschaft wichtig, deswegen kritisiere ich an der Mehrheitsgesellschaft dies und bei den Minderheiten und Muslimen das. ich wünsche mir einen ehrlichen, konstruktiven, aber auch sehr kritischen Diskurs.

Es ist aber etwas komplett anderes, wenn die Kritik aus einer Ideologie der Menschenfeindlichkeit oder der Gehässigkeit kommt. Wenn ich gar nicht an einem Zusammenleben interessiert bin, sondern meine Gruppe aufwerte und die anderen als Feinde dämonisiere.

Was könnte man noch unternehmen, um der Entwicklung entgegen zu wirken? Der FPÖ auszurichten, sie sollen sich doch bitte zurückhalten und dann hoffen, dass das wirklich passiert, ist ja keine Option.

Menschen haben ein gutes Gespür, ob man respektvoll mit ihnen spricht, auch wenn es Kritik ist. Wenn man das Gefühl hat, dass es der Andere eigentlich gut meint, dann ist man auch kritikfähiger, offener und lernfähiger. Ich will keine Schönrederei, aber auch keine Dämonisierung. Es geht um die Zukunftsfähigkeit dieses Landes. Da gehören für mich alle Fragen auf den Tisch. Auch problematische. Da wünsche ich mir, dass sich die muslimische Community in bestimmten Punkten selbstkritisch hinterfragt und sich nicht mit dem Begriff "Islamophobie" gegen Kritik immunisiert. Denn Kritik ohne Selbstkritik, egal von welcher Seite, führt zur Selbstgerechtigkeit und das bringt uns nicht weiter.

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