"Gülen-Bewegung züchtet künftige Eliten heran"
Die Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen, die vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan beschuldigt werden, hinter dem Putschversuch zu stehen, betreiben auch in Österreich einige Bildungs-Einrichtungen. Insbesondere in Wien, wo sich das "Friede-Institut für Dialog", die Wochenzeitung Zaman sowie der Schulerhalter-Verein Phönix zur Hizmet(der Dienst)-Bewegung Gülens bekennen. Letzterer teilt sich zwei Schulstandorte mit dem Kulturzentrum für interkulturelle Aktivitäten in Favoriten. Über das Bundesgebiet – vor allem in Vorarlberg, Tirol und Oberösterreich – sind zudem eine Handvoll Nachhilfeinstitute verteilt.
Die Anzahl der Gülen-Sympathisanten in Österreich zu beziffern sei schwierig, sagt Thomas Schmidinger von der Uni Wien. Der Experte für politischen Islam schätzt aber, dass nicht mehr als fünf Prozent der türkischstämmigen Österreicher Gülen-Anhänger sind. Zwar sei die Bewegung hierzulande bei Weitem nicht so beliebt, wie Erdogans AKP. "Gerade bei jungen gebildeten Türken ist sie aber schon ein relevanter Player." Sei sie doch stark im Bildungssektor tätig. "Hier werden zukünftige Eliten herangezüchtet."
Punkto Struktur sei die Gülen-Bewegung in Österreich mit der in der Türkei nicht vergleichbar. "Hier gibt es einzelne Vereine, die so tun, als hätten sie miteinander nichts zu tun – quasi ein loses Netzwerk, kein Moschee-Verband. In der Türkei sind die Strukturen dagegen sehr machtorientiert", erklärt der Politologe.
Im Auftreten gebe man sich um den interreligiösen Dialog bemüht, de facto sei die Gülen-Bewegung aber sektenhaft: "Fethullah Gülen hat den Status einer unhinterfragbaren Autorität."
Zuletzt bekamen Gülen-Einrichtungen in Österreich und Deutschland den Zorn der Erdoğan-Anhänger zu spüren. Wie berichtet, flogen in einem Favoritner Realgymnasium Steine durchs Fenster. In sozialen Medien und telefonisch wurden Gülen-Anhänger wiederholt bedroht. Mehrere Anzeigen sind anhängig.
Politischer Faktor
Während in Österreich rund 300.000 türkischstämmige Menschen leben, sind es in Deutschland knapp drei Millionen. Gut 100.000 davon sind in der Hizmet-Bewegung engagiert – sie tun "Dienst am Menschen", wie der Name suggeriert.
Sie sind ein wichtiger gesellschaftlicher, aber auch politischer Faktor: Die Gülen-Bewegung gilt mit 150 Nachhilfeinstitutionen, 25 Schulen und 15 Dialogvereinen, eigenen Fernsehsendern, Radiostationen und Zeitungen als einflussreichste türkisch-islamische Gruppe des Landes – und da sie "islamistischem Aktivismus und islamistischer Radikalität eine klare Absage" erteile und sich "aktiv für die Verbreitung säkularer Bildung unter den Muslimen einsetzt", wie es seitens der Bundeszentrale für politische Bildung heißt, wurde sie auch lange als positiv wahrgenommen. Erst in jüngerer Vergangenheit häuft sich Kritik.
Die Bewegung sei intransparent, die finanziellen Strukturen nicht nachvollziehbar, hieß es – namhafte Politiker zogen sich sogar aus gemeinsamen Projekten zurück. Zudem berichteten Aussteiger, die in "Lichthäusern" der Bewegung gelebt hatten – in Wohngemeinschaften für junge Muslime – von ideologischer Indoktrinierung. Nach außen hin gebe sich die Bewegung modern-säkular, nach innen habe sie aber religiöse und nationalistische Ziele – etwa nach den Vorschriften der Scharia zu handeln, sagt der prominente Islamwissenschaftler Ralph Ghadban.
Vorwürfe, die Ercan Karakoyun – er ist Vorsitzender der Gülen-Stiftung "Dialog und Bildung" – nicht gelten lässt. Hizmet stehe für einen Islam, der mit dem Grundgesetz, den universellen Menschenrechten so wie der Demokratie vereinbar sei, sagt er. Es sei eine "pazifistische Bildungsbewegung".
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