Große Zweifel am Nutzen von Kuren

Große Zweifel am Nutzen von Kuren
Das System ist undurchschaubar, seine messbaren Vorteile unklar. Das könnte sich jetzt ändern.

Franz Habersinn hat zu viel auf den Rippen. Er schätzt Zwiebelrostbraten mehr als Gemüse, trinkt mehr Bier als Wasser. Und Sport? Den mag er nur als Zuschauer. Habersinn hat’s mit dem Kreuz, sein Blutdruck steigt bisweilen bedenklich, und weil es allerorten zwackt, geht er regelmäßig auf Kur. Er verliert Gewicht, fühlt sich besser. Zurück im Alltag ändert er nichts. Er fährt ja auf Kur, das reicht – so denkt er.

Franz Habersinn existiert nicht wirklich in der Datenbank der Sozialversicherung. Aber es gibt ihn in den Köpfen all jener, die das heimische Kur-Wesen kritisieren. 240 Millionen Euro investiert die Versichertengemeinschaft jedes Jahr, mehr als 120.000 Patienten profitieren (Zahlen unten). Und seit der Chef des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, Peter McDonald, die Kur als "nicht zeitgemäß" bezeichnet hat, wird heftig über den Sinn derselben diskutiert.

Neid-Debatte

ÖGB-Präsident Erich Foglar rüffelte McDonald am Dienstag – die Debatte sei von Neid geprägt, die Sinnhaftigkeit der Kur unbestritten. "Wenn ich mir an diesen Tropentagen Bauarbeiter, Spengler oder Schwarzdecker ansehe, die bei 40 Grad und mehr auf der Baustelle arbeiten, so muss ich sagen: Wenn die Gesundheitsbewusstsein hätten, würden sie die Arbeit einstellen", sagt der ÖGB-Boss. Auch Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser missfällt, wenn Kur-Patienten "generell als Urlaubsverlängerer" verunglimpft werden.

Der medizinische Sinn von Kuren ist dennoch umstritten. Gesundheitsökonom Ernst Pichlbauer stellt ihn weitgehend in Abrede. Und auch Maria Hofmarcher-Holzhacker, Ökonomin und Kennerin des Gesundheitswesens, sieht Schwächen: "Wir wissen nicht, ob das Budget, das man für die Kur-Patienten aufwendet, gut und sinnvoll verwendet wird. Es fehlen die Transparenz und der gesamtheitliche Überblick bei medizinischen Erfolgen."

Tatsächlich ist nur klar, dass einzelne Versicherungen ihre Mitglieder öfter auf Kur schicken: Bei den Beamten kommen auf 830.000 Versicherte rund 15.000 Kuren im Jahr, bei den Selbstständigen sind es bei 750.000 Versicherten nur halb so viele (7000); und vergleichsweise oft auf Kur sind die Eisenbahner mit 8300 Kuren auf 175.000 Versicherte. Welche Berufe genau besonders besonders stark belastet sind, ist unklar.

Mehrjahresprogramm

Und wie könnte sie aussehen, die Kur der Zukunft? Wer das wissen will, kann sich in der Sozialversicherung der Gewerblichen Wirtschaft, McDonald’s früherem Arbeitgeber, umsehen. Beim Programm "Burnout Prävention" wird versucht, den Alltag der Patienten zu ändern. Ärzte, Psychotherapeuten, aber auch Diätologen betreuen die Versicherten. In Gruppen- und Einzelsitzungen wird versucht, dem Stress Herr zu werden. Diese "Kur" ist freilich nicht nach drei Wochen erledigt. Sie dauert – Pausen eingerechnet – ganze zwei Jahre.

Fakten

1900 Euro pro Kur: Patienten In Österreich werden rund 126.000 Kuren im Jahr absolviert.

Gründe für eine Kur: Klassische Indikationen sind Erkrankungen des Bewegungs- und Stützapparates, Stoffwechselerkrankungen, periphere arterielle Verschluß- und Atemwegserkrankungen. Die Kur muss ärztlich beantragt und von der Kasse genehmigt werden.

Kosten und Dauer: Die Sozialversicherung gibt jährlich 240 Millionen € bzw. 1900 € pro Patient aus. Im Schnitt dauert eine Kur 22 Tage.

Weiterführender Link: Auch Sozialpartner für Reform der Kur

KURIER: Frau Minister, sind Kuren noch zeitgemäß?

Sabine Oberhauser: Es gibt nichts im Leben, was nicht weiterentwickelt werden kann. Was mir aufstößt ist, dass jetzt getan wird, als wären Kur-Patienten generell Urlaubsverlängerer. Ein Kur-Antrag wird von einem Arzt gestellt, die Krankenversicherung muss ihn bewilligen – wir haben zwei Instanzen, die die medizinische Sinnhaftigkeit bewerten. Es stimmt, dass Investitionen in betriebliche Gesundheitsförderung zunehmend greifen. Trotzdem glaube ich, dass es Situationen gibt, in denen eine längere Kur sinnvoll ist.

Welche zum Beispiel?

Etwa, wenn ich einen Patienten aus einem extrem anstrengenden Job oder einer sehr belastenden Familien-Situation herausnehmen will, um ihn zu therapieren.

Gibt es einen medizinischen Mehrwert von Kuren?

Wir wissen es nicht. Es gibt keine Studien, die den Nutzen beweisen, aber wir wissen auch nicht, wie es den Menschen gehen würde, würde man sie seltener auf Kur schicken.

Haben Sie den Eindruck, dass alle Bevölkerungsgruppen gleich gut Zugang zu Kuren haben?

Nein, und das ist eine der Schwächen des Systems. Für Menschen in unsicheren Jobs ist es schwieriger, drei Wochen auf Kur zu gehen als für andere. Deshalb sagen die Sozialpartner: Wir brauchen mehr Gesundheitsförderung direkt im Job.

Haben Sie das Gefühl, dass Kuren nachhaltig genug sind?

Bei Kuren kann es sein wie mit allen guten Vorsätzen: Sobald man im Alltag zurück ist, fällt man mitunter in schlechte Gewohnheiten zurück. Mir geht’s ja auch so, dass ich nach dem Urlaub sage: Würde mir jemand zu Hause täglich ein großes Salatbuffet aufbauen, dann würd’ ich viel mehr Salat essen. Daher muss die Nachhaltigkeit von Kuren im Alltag und Arbeitsleben verbessert werden.

Kommentare