Geheimdienst-Experte: "Müssen wachsam sein"

Geheimdienst-Experte: "Müssen wachsam sein"
Siegfried Beer fordert nach den Brüsseler Attentaten mehr Aufmerksamkeit im Alltag.

Siegfried Beer beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Arbeit der Geheimdienste in Österreich und dem Ausland. Im KURIER-Gespräch zieht er die ersten Lehren aus den Brüsseler Attacken.

KURIER: Herr Professor Beer, über Wochen hinweg war Belgiens Hauptstadt im Ausnahmezustand, es gab massive Polizeipräsenz – und dann passiert dennoch genau hier ein Terror-Anschlag. Haben die Nachrichtendienste versagt?

Siegfried Beer: Wir wissen, dass Belgiens Nachrichtendienst nicht den besten Ruf hat, und es gibt sicher Geheimdienste, die besser funktionieren. Vergleicht man Brüssel mit den Pariser Attentaten oder 9/11, muss man einschränkend aber sagen: Die Angriffe waren logistisch nicht sehr aufwändig. Wenn ein, zwei Täter mit Sprengstoff oder Schusswaffen unterwegs sind, kann man das leider nie hundertprozentig verhindern. Schauen Sie nach Israel. Auch der beste Geheimdienst der Welt kann nicht jede Messer-Attacke vereiteln. Wer das glaubt oder fordert, will einen absoluten Überwachungs- und Polizeistaat.

Wir müssen in Europa mit den Angriffen einfach leben lernen?

Nicht nur im übrigen Europa, auch in Österreich. Ich war neulich im Wiener Musikverein. Ein herrliches Konzert, aber in der Eingangshalle dachte ich mir: Da marschieren Hunderte Menschen völlig unkontrolliert in ein öffentliches Gebäude. Wenn sich da ein, zwei Männer mit Rucksäcken daruntermischen, kann Fürchterliches geschehen. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin ein Liberaler, ich will nicht überall Metall-Detektoren aufstellen. Aber wir müssen uns bewusst werden, welch’ großartige Freiheiten wir hier haben – und dass wir bislang relativ sicher gelebt haben.

Aber Österreich ist doch keine Zielscheibe für islamistischen Terror, oder?

Noch nicht. Aber wir beheimaten Menschen mit einem extremistischen Weltbild. Schauen Sie in meine Heimatstadt Graz. Da gibt es eine wichtige, vom Verfassungsschutz beobachtete Zelle der Muslimbruderschaft. Erst in diesen Tag fanden hier Dschihadisten-Prozesse statt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass auf dem Gebiet des IS verstärkt nach deutschsprachigen Kämpfern gesucht wird bzw. dass diese ausgebildet werden, um in Deutschland oder Österreich operieren zu können. Wie ich schon einmal im KURIER gesagt habe: Ich fürchte, dass es früher oder später auch in Österreich zu einem Anschlag kommen wird.

Das klingt beunruhigend. Wie sollte der Staat reagieren?

Experten predigen das seit Jahren, aber es wäre tatsächlich viel gewonnen, würden die Nachrichtendienste besser zusammenarbeiten. Rückblickend betrachtet, wäre 9/11 mit hoher Wahrscheinlichkeit zu verhindern gewesen – die Geheimdienste hatten alle Informationen beisammen. Sie haben sie nur nicht richtig zusammengesetzt, sie sahen das große Ganze nicht. Abgesehen davon gilt in der Branche die Regel: Wer heute dein Freund ist, kann schon morgen dein Feind sein. Misstrauen ist ein essenzieller Faktor. Das sehen wir bei den Großen – denken Sie an die Abhöraktion der CIA bei Merkel – und es geschieht auch im vergleichsweise kleinen und unbedeutenden Österreich.

Wie meinen Sie das?

Es ist nicht mehr logisch zu erklären, warum wir sowohl in der Polizei als auch im Militär Nachrichtendienste haben. Da gibt’s offenbar ein historisch gewachsenes Misstrauen. Im Gegenzug gibt es auf Bundesebene niemanden, der die Informationen der Nachrichtendienste koordiniert. Ich komme noch einmal auf Israel zurück: Dort gibt es einen eigenen Geheimdienst-Minister. Was haben wir in Österreich? Nur den Nationalen Sicherheitsrat – und dort passiert das Selbe, was vielfach im Plenum des Parlaments geschieht: Es wird sicherheitspolitisch polemisiert.

Das klingt einigermaßen ernüchternd...

Ich will nicht zu pessimistisch klingen, denn immerhin passiert viel Gutes, von dem kaum jemand erfährt. Vor vielen Jahren saß ich einmal bei einem Glas Wein mit dem Chef des Verfassungsschutzes zusammen. Pausenlos hat sein Handy geläutet und er meinte: "Das ist der Innenminister, hoffentlich gibt’s heute keinen Anschlag auf die UNO." Vielleicht hat er nur angegeben, aber ich glaube eher: Die Polizei und die Nachrichtendienste verhindert auch viel Unheil – insofern sollten wir ihr vertrauen.

Tun wir das nicht?

Zu wenig. Mit 1. Juli tritt ein neues Staatsschutzgesetz in Kraft, dass dem Verfassungsschutz absolut notwendige Mittel in die Hand gibt, um mit potenziellen Terroristen halbwegs auf Augenhöhe zu agieren. Trotzdem überlegen politische Parteien dieses Gesetz vor dem Verfassungsgerichtshof zu stürzen, weil sie Missbrauch fürchten. Wer Budget und Personal der Nachrichtendienste kennt, weiß: Der Verfassungsschutz hat nicht die Kapazitäten, die Bürger auszuspitzeln. Zudem gibt es viel mehr Kontrolle als früher. Natürlich bin ich dafür, Missbrauch rigoros zu ahnden. Aber ein Misstrauensvorschuss gegenüber den Geheimdiensten ist meines Erachtens unangebracht.

Und was kann der Einzelne tun?

Wachsam sein. Terroristen sind geschickte, oft sehr junge Leute, die aber beispielsweise beim Bombenbauen zumeist keine Experten sind, sondern sich das meiste Wissen selbst aneignen und anlesen. Viele Attentate können und konnten verhindert werden, weil Menschen einfach mitdenken. Das beginnt schon im Baumarkt. Wenn ein Kunde von einer Chemikalie, etwa einem Lösungsmittel, so viel kauft, wie üblicherweise zehn andere Kunden zusammen, dann muss man sich als aufmerksamer Verkäufer zumindest die Frage stellen: Wofür braucht der das eigentlich? Wenn wir wollen, dass es bei uns auf Bahnhöfen und in Konzertsälen keine rigorosen Eingangskontrollen gibt, dann müssen wir die Augen viel offener halten.

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