"Franziskus lebt mitten unter den Menschen"

Kardinal Christoph Schönborn
Am neuen Papst faszinieren den Wiener Erzbischof seine "schockierende Authentizität".

Wer wissen will, wie Franziskus tickt, was ihn treibt oder bewegt, der sollte beobachten, wie der Heilige Vater seinen Mantel abgibt.

Es ist Dienstag, zwei Tage vor dem einjährigen Jubiläum der Papstwahl. Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn gilt als intimer Kenner beider Päpste, des aktiven wie auch des emeritierten. Und weil Schönborn heute Bilanz ziehen darf und ihn an Franziskus dessen Einfachheit fasziniert, bringt er jetzt das Beispiel mit dem Mantel. "Der Papst lebt mitten unter den Menschen. Er wohnt im Gästehaus Santa Marta, geht viel zu Fuß, und bei einer Garderobe stellt er sich in die Schlange."

Genau darum geht es, um "schockierende Authentizität": Der neue Papst habe "höfische Traditionen" über Bord geworfen, die bis dahin als selbstverständlich galten. Er will nicht im Palast wohnen; er will nicht wie ein Kaiser chauffiert werden; und schon gar nicht will er bevorzugt werden, wenn er sich wie alle anderen bei der Garderobe anstellt.

Den Vorhalt, Franziskus habe viele Gesten, aber inhaltlich im Vatikan nicht viel verändert, teilt Schönborn so überhaupt nicht.

Ganz Jesuit, sagt der Wiener Erzbischof, höre das Kirchenoberhaupt lange zu, ehe es entscheide.

Als Beispiel gilt für den Wiener die Reform der Kurie: Sechs Monate habe sich Franziskus in Ruhe beraten lassen. Doch als es dann darum ging, der Kurie ein Amt für Wirtschaft und Administration zu verpassen, habe der Papst binnen einer Woche "klug und schnell" entschieden – wie auch bei der Reform der Vatikanbank, in die Schönborn intensiv eingebunden ist.

Da der Wahltag von Franziskus mit dem Todestag von Franz König zusammenfällt und sich dieser 2014 zum zehnten Mal jährt, wollte Schönborn auch an den beliebten Kardinal erinnern. "König hat versucht, die Gräben, die das Land gespalten haben, zu überwinden. Diese Prägung bleibt."

Dialog und Versöhnung – die von Franziskus und König gelebten Ideale haben sich laut Schönborn mittlerweile auf die Bischofskonferenz übertragen. Vergleichsweise offen bestätigte der Erzbischof gestern, dass unter den Bischöfen ein gänzlich anderes Miteinander gelebt werde. "Das Klima hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert", sagt Schönborn. "Die schwierigen 80er- und 90er-Jahre sind überwunden."

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