"Wovor fürchten Sie sich, Herr Strache?"
Es ist ein außergewöhnlicher Moment. Keiner tippt auf dem Handy herum, niemand tratscht. Nur zwei Mal ist das Klicken einer Kamera zu hören, von den Gängen dringen ein paar Stimmen in den Plenarsaal herein. Ansonsten Stille – eine Trauerminute für jene 71 Menschen, die vergangene Woche auf dem Weg von Ungarn nach Österreich in einem Kühllaster erstickt sind.
Für Nationalratspräsidentin Doris Bures ist die Tragödie "ein lauter Weckruf, gemeinsam an einem Strang zu ziehen". SPÖ und ÖVP demonstrieren bei der Sondersitzung im Nationalrat auch in seltener Eintracht, dass sie bei diesem Thema eine Linie vertreten. Es ist der Versuch, den hetzerischen Parolen der FPÖ – auch angesichts der bevorstehenden Wahlen in Oberösterreich und Wien – etwas entgegenzuhalten. Ein Versuch, der von Grünen und Neos unterstützt wird. Immer wieder applaudieren sie. Etwa als Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) sagt, man dürfe "keine Stacheldrähte aufstellen", sondern müsse "anständige Quartiere" schaffen.
"Keine Ware"
ÖVP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner redet den Blauen ins Gewissen: "Wir sollten uns vor Augen halten, dass wir nicht über Ware, Material oder Menschen erster, zweiter oder dritter Klasse reden, sondern über den ersten Punkt der Deklaration für Menschenrechte: Jeder Mensch ist an Rechten und Würde gleich."
SPÖ-Klubchef Andreas Schieder gibt das Motto "Helfen statt hetzen" aus. ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka erinnert daran, dass Österreich 1956 rund 180.000 Ungarn und 1968 rund 160.000 Menschen aus der damaligen Tschechoslowakei aufgenommen hat. Mitterlehner sagt, es sei "zumutbar", dass eine Gemeinde mit 1000 Einwohnern 15 Flüchtlinge aufnimmt (1,5 Prozent der Bevölkerung). Daran zu zweifeln, dass das schaffbar sei, sei "eine Beleidigung der humanitären Tradition" Österreichs. Dem FPÖ-Chef ruft der ÖVP-Boss zu: "Wovor fürchten Sie sich, Herr Strache?" Der Oberblaue schweigt.
Panikmache
Auch als dieser ans Rednerpult tritt, bleiben verbale Ausritte aus. Die von Polit-Gegnern viel kritisierte Panikmache überlässt Strache seiner Parteifreundin Dagmar Belakowitsch-Jenewein. Sie sieht Österreich wegen der Flüchtlinge schon "in Richtung eines Bürgerkriegs marschieren". So etwas hört man von Strache nicht. Inhaltlich bleibt er seiner Linie freilich treu. Er plädiert nicht nur für einen Grenzzaun, sondern will auch das Heer an der Grenze patrouillieren lassen. Das geplante Durchgriffsrecht lehnt er ab.
Hilfe statt Hetze
Das Gesetz, das am 23. September beschlossen wird, ermöglicht es dem Bund, künftig gegen den Willen von Ländern und Gemeinden Flüchtlingsquartiere zu errichten. Faymann hofft, dass die Regierung erst gar nicht durchgreifen muss. Es seien in letzter Zeit zunehmend mehr Unterkünfte zur Verfügung gestellt worden.
Lopatka ist auch optimistisch: "Die Gruppe jener, die helfen wollen, ist viel größer als die Gruppe jener, die Hetze betreibt."
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