Wir schaffen das! Schaffen wir das?

Tausende Flüchtlinge haben in Österreich um Asyl angesucht. Der wahre Kraftakt beginnt aber erst.

Mitten in den größten Flüchtlingsbewegungen seit Ende des Zweiten Weltkriegs steht unsere Generation vor einer enormen Aufgabe. Weltweit befinden sich 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Hunderttausende haben den langen und teils lebensgefährlichen Weg nach Europa auf sich genommen, um Bürgerkrieg und Armut zu entkommen – zu Fuß, auf verborgenen Wegen, versteckt in Laderäumen von Lkws oder auf überfüllten Booten.

Österreich nimmt täglich Flüchtlinge auf. Seit Beginn des Jahres sind knapp 40.000 Asylanträge gestellt worden, über 10.000 allein von syrischen Staatsbürgern.

Erst Anfang

Doch die eigentlichen Aufgaben bei der Bewältigung des Flüchtlingsansturms beginnen erst, wenn Fragen wie Integration, Bildung, Arbeit und Wohnen in den Raum gestellt werden.

Dauerhafte Lösungen

Solch große Zahlen an Neuzugängen verlangen dauerhafte Lösungen. Welche Maßnahmen müssen also gesetzt werden, um eine erfolgreiche Integration zu ermöglichen und welche Schwierigkeiten könnten sich dabei in den Weg stellen?

Flüchtlinge brauchen nicht nur Schutz. Sie sind Menschen, die genau wie andere auch Arbeit, Wohnung und Bildung für den Aufbau eines neuen Zuhauses brauchen. „Wir müssen möglichst rasch integrieren, um zukünftige Krisen zu vermeiden“, meint Migrationsexperte Rainer Bauböck im KURIER-Gespräch. „Hier muss investiert werden.“
Gesellschaftliche Bereiche, die vor allem in Angriff genommen werden müssten, sind die Wohnmöglichkeiten. „Wir brauchen keine neuen Zelte, sondern müssen mit Bestehendem arbeiten“, sagt Franz Denk, Architekt und Vorstandsmitglied der IG Architektur.

Keine Randgesellschaft

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Rainer Bauböck, Migrationsexperte, Europäisches Hochschulinstitut in Florenz
Vor allem die Vermeidung von Randgesellschaften sei notwendig. „Flüchtlinge sollen nicht weggesperrt werden, sondern unter uns in unseren Städten und Dörfern wohnen. Man sollte leer stehende Bürogebäude oder Erdgeschoßwohnungen suchen“, so Denk. Mietrechtlich bedarf es keines speziellen Aufenthaltstitels. Wer anerkannter Flüchtling ist, hat auch Zugang zum geförderten Wohnbereich. Wer jedoch eine Wohnung haben will, müsse sich, wie alle anderen auch, anstellen.
Als weitere Maßnahme müsse man den raschen Zugang zu beruflichen Beschäftigungen ermöglichen. „Flüchtlinge dürfen nicht gleich in eine soziale Abhängigkeit gestürzt werden“, meint Bauböck. Sie müssen sich von Anfang an selbst versorgen können, indem zum Beispiel der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert wird. Dieser ist für neu ankommende Flüchtlinge, die einen Asylantrag stellen, noch unzugänglich. Weitere notwendige Integrationsangebote sind der Zugang zu Bildung, Sprachkursen und Ähnlichem. 5.000 bis 7.000 Flüchtlinge sind noch im Schulalter.

Letztlich ist es der erleichterte Zugang zur Staatsbürgerschaft, der laut Bauböck einen entscheidenden Grundstein für eine gute Integration legt. „Laut Genfer Flüchtlingskonvention sollte der Zugang zur Staatsbürgerschaft für anerkannte Flüchtlinge leichter sein.“

In der Realität warten Flüchtlinge meist fast mehr als sechs Jahre auf einen Erhalt. „Mit Anerkennung der Staatsbürgerschaft signalisieren wir den Flüchtlingen nicht nur eine politische Zugehörigkeit, sondern auch, dass wir ihnen den Schutz bieten, den ihnen ihr Land weggenommen hat“, so Bauböck. Österreich ist hier europaweit noch Nachzügler.

„Wir verlieren uns nicht, wenn wir Vielfalt zulassen“, sagte Deutschlands Bundespräsident Joachim Gauck vergangenes Jahr und sprach dabei einen Punkt an, der aktueller nicht sein könnte. „Es bedarf hier eines gesamtgesellschaftlichen Umdenkens“, sagt Migrationsexperte Bauböck: Koloniale Siedlerstaaten hätten immer von Einwanderern profitiert, sowohl kulturell als auch wirtschaftlich. In den europäischen Ländern herrsche hingegen noch immer der Gedanke eines Nationalstaates mit jeweils eigener Kultur vor. Die Angst bestehe: Durch Einwanderung drohe die eigene Kultur verloren zu gehen. „In Deutschland hat sich dieser Grundkonsens zunehmend gewandelt“, meint Bauböck.

Integration, das beginnt meist am Arbeitsplatz, oft im Gespräch mit Kollegen. Der Zugang zur Arbeitswelt aber war für Flüchtlinge bisher nicht einfach. Im Gegensatz zu anderen EU-Ländern dürfen Flüchtlinge in Österreich erst einen Job annehmen, wenn sie einen positiven Asylbescheid haben. Ein Asylverfahren kann Monate dauern.

Kehrtwende

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Überraschend rückte Sozialminister Rudolf Hundstorfer (Bild) diese Woche von seinem kategorischen Nein zur Öffnung des Arbeitsmarkts für Asylwerber ab. Zum Wunsch von EU-Kommissionspräsident Juncker nach einem Arbeitsrecht für Asylwerber ab dem ersten Tag des Verfahrens, meint er plötzlich, er stehe dem „offen gegenüber“. Asylwerber hätten somit gleich eine Beschäftigung und müssten nicht untätig abwarten.

Bei der Arbeit entstehen meist wichtige soziale Kontakte, die dabei helfen, sich in Österreich besser zurechtzufinden. Laut AMS haben im Vorjahr 5246 anerkannte Flüchtlinge einen Arbeitsplatz gefunden, heuer waren es bereits 3332. Die wichtigsten Branchen sind Leiharbeit, Gastgewerbe, Handel, Gesundheit und Bau.

Laut Bauböck fördern die Flüchtlinge durch ihre Teilnahme am heimischen Arbeitsmarkt nicht nur die österreichische Entwicklung, sondern sie sind auch politische Krisenhelfer. „Flüchtlinge bringen Innovationsschübe“, so Bauböck. „Sie machen die Gesellschaft weltoffener. Beziehungen auf wirtschaftlicher, kultureller und politischer Ebene verändern sich dadurch. Man kann hier auch von ,transnationalen Migranten’ sprechen: Sie sind bei uns gut integriert, die Beziehung zu ihrem Herkunftsland bleibt jedoch erhalten“.

Wir werden uns überall auf Veränderungen einstellen müssen“, mahnt Deutschlands Innenminister Thomas De Maziere angesichts der größten Flüchtlingsströme, die Europa seit Ende des Zweiten Weltkrieges gesehen hat.

Veränderungen kommen auf alle Bereiche der liberalen Gesellschaften in Mitteleuropas zu, von der Schule über den Arbeitsmarkt, den Wohnungsbau, bei Gerichten, im Gesundheitswesen.

Wir schaffen das! Schaffen wir das?
Karin Kneissl
Ohne Schwierigkeiten, manchmal sogar ohne eine Art „Zusammenstoß der Mentalitäten“ werde das nicht gehen, befürchtet die Nahostexpertin Karin Kneissl im KURIER-Gespräch. Allein schon die Integration der syrischen Flüchtlinge auf dem österreichischen Arbeitsmarkt sieht sie mit Skepsis: „Natürlich findet man unter den Syrern gut ausgebildete Kräfte, aber generell gibt es in Syrien keine industrielle Tradition, also genau nicht jene Facharbeiter, die hierzulande gesucht werden. Die Levantiner sind eher Händler.“

Viele Auflagen

Und auch die vielen Kleinstgewerbler, die Schuster, Schneider, Tischler dürften in Österreich auf große Schwierigkeiten stoßen. Einfach einen kleinen Laden aufzumachen, sei unmöglich. „Bei uns gibt es viel mehr bürokratische Auflagen, das Umfeld bei uns ist verwaltungstechnisch viel durchregulierter“, sagt Kneissl.

Die größte Herausforderung bei der Integration der syrischen Flüchtlinge aber sieht die Syrien-Kennerin in der großen Anzahl der jungen Männer. „Syrische Familienverbände werden bereit sein, viel zu tun, um ihren Kindern eine Zukunft zu schaffen. 80 Prozent der Flüchtlinge hier aber sind junge Männer zwischen 20 und 30 Jahren. Wie aber soll man die Möglichkeit schaffen, sie alle in den Arbeitsmarkt zu holen? Viele arbeitslose junge Männer, das kann große Probleme für eine Gesellschaft bereiten. Und sie wollen hier zu Status kommen, das aber wird kaum umzusetzen sein.“

In Person der syrischen Flüchtlinge kommen zudem meist Menschen, die sich stark mit Religion identifizieren, weiß Kneissl. Unter den Flüchtlingen, die derzeit eintreffen, so die Nahost-Expertin, „gibt es kaum unverschleierte Frauen. Auch die siebenjährigen Mädchen tragen bereits Kopftuch.“ Mit dem Zuzug der syrischen Flüchtlinge, so sieht es auch der Zentralrat der Muslime in Deutschland, „wird der Islam hierzulande arabischer werden“.

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