Doskozil heizt Debatte um Rückführungen an

SPÖ-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil
Der Verteidigungsminister fordert einen Rückführungsgipfel auf EU-Ebene und will Friedensmissionen mit Rückführungen koppeln. Die Zahlen, die Doskozil angibt, sind allerdings laut Innenministerium nicht nachvollziehbar.

Für innenpolitisches Aufsehen sorgen Aussagen von Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ), wonach bis zu 90 Prozent der Asylentscheidungen in Österreich derzeit nicht umgesetzt werden können, weil es an Rückübernahmeabkommen mit Herkunftsstaaten fehlt. Der Verteidigungsminister bekräftigte am Mittwoch seine Aussagen.

"Nach meiner Einschätzung können wir etwa 90 Prozent der Personengruppen mit negativem Asylbescheid nicht in ihre Herkunftsländer zurückbringen, weil es keine Rückübernahmeabkommen gibt. Es ist untragbar, dass Länder wie Marokko oder Afghanistan ihre Staatsbürger nicht zurücknehmen. Dieses Thema muss gesamteuropäisch gelöst werden. Die EU muss in der Lage sein, mit diesen Ländern Abkommen zu schließen. Ich habe bereits vor Wochen einen Rückführungsgipfel auf Ebene der EU-Fachminister vorgeschlagen", so Doskozil.

Doskozil heizt Debatte um Rückführungen an
Zahl der Asylanträge bis 30. September, Zulassung bzw. keine Zulassung zum Asylverfahren; Verfahren gesamt und Obergrenze; Zahl der Abschiebungen - Tortengrafik, Balkengrafik GRAFIK 1158-16, 88 x 104 mm

Innenministerium: Doskozil-Zahlen nicht nachvollziehbar

Der Verteidigungsminister sprach sich zugleich dafür aus, Friedensmissionen der internationalen Gemeinschaft mit Rückführungen in diese Länder zu koppeln. "Wenn die internationale Gemeinschaft einem Land hilft für Stabilität zu sorgen, dann sollte dieses Land im Gegenzug bereit sein, Flüchtlinge zurückzunehmen", forderte der Minister.

Im Innenministerium kann man die von Verteidigungsminister Doskozil genannten Zahlen der nicht umgesetzten Asylentscheidungen nicht nachvollziehen. Das Ressort verwies am Mittwoch auf die aktuelle Datenlage: Im Jahr 2016 habe es bis Ende September in Österreich demnach rund 11.500 negative Asylbescheide gegeben, sagte eine Sprecherin von Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP).

Seit Jänner wurden 7.826 Betroffene außer Landes gebracht (freiwillige und unfreiwillige Ausreisen). Das "Delta" betrage also rund 3.700 Personen, also gut 30 Prozent. "Wir können die 80 bis 90 Prozent nicht nachvollziehen", so die Sprecherin des Innenministers. Wie viele Personen mit negativem Asylbescheid derzeit in Österreich aufhältig sind, könne man nicht sagen, da man etwa nicht wisse, wie viele davon mittlerweile auf eigene Faust freiwillig Österreich wieder verlassen haben. Gleichzeitig betonte man im Innenressort, dass man sich der Bedeutung des Themas bewusst sei: "Es bestreitet niemand, dass diese Rückführungen eine Herausforderung sind."

Oppositionskritik hat es am Mittwoch für die Aussagen von Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) gegeben, wonach bis zu 90 Prozent der Asylentscheidungen in Österreich derzeit nicht umgesetzt werden können, weil es an Rückübernahmeabkommen mit Herkunftsländern fehlt. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache forderte in einer Aussendung den "Stopp der Zuwanderung unter dem Deckmantel des Asyls".

Doskozils Aussagen bedeuteten, dass bis zu 90 Prozent der Migranten, die kein Recht auf Asyl haben, auf Kosten der Steuerzahler in Österreich bleiben. "Das ist der Offenbarungseid dafür, dass die Regierung in ihrer Asyl- und Migrationspolitik völlig versagt hat und dass die Obergrenze eine einzige Augenauswischerei ist", so Strache. Der FPÖ-Chef fordert deshalb lückenlose Grenzkontrollen und die Umstellung auf eine "innerkontinentale Fluchtalternative". Asyl müsse demnach auf dem jeweiligen Kontinent beantragt werden. Entwicklungsländern, die keine Abkommen zur Rücknahme ihrer Staatsbürger abschließen oder sich nicht kooperativ zeigen, sollten die Entwicklungszusammenarbeits-Leistungen gestrichen werden.

"Rechenkünste sind erstaunlich"

Die Grünen zweifeln unterdessen die Zahlen von Doskozil an. "Die Rechenkünste des Verteidigungsministers sind durchaus erstaunlich - denn obwohl er behauptet, dass nur ca. 10 Prozent der negativen Asylentscheidungen in Österreich durchgesetzt würden, haben letztes Jahr mehr als ein Drittel jener Menschen, die eine negative Aufenthaltsentscheidung oder Asylentscheidung erhielten, Österreich verlassen", meinte die Grüne Menschenrechtssprecherin Alex Korun. Der Großteil davon ist laut Korun freiwillig ausgereist. Für die Grünen stellt sich die Frage, ob der Verteidigungsminister über andere Informationen als Innenministerium und Asylamt verfügt. Ansonsten müsse man leider von einer bewussten Fehlinformation der Öffentlichkeit ausgehen.

Die NEOS sehen in der Diskussion vor allem Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) in der Pflicht. Dieser sei für die Rückführungsabkommen verantwortlich. Auch den Ausbau von Resettlement-Programmen fordert man. "Bisher stehen wir bei 1.900 Personen, das ist ein Tropfen auf dem heißen Stein", sagte NEOS-Justizsprecher Niki Scherak. Die NEOS wollen in der Causa eine Anfrage an das Außenministerium einbringen und fordern Aufklärung zum aktuellen Stand bei Rückführung und Resettlement. Kurz sei als Außenminister säumig und werde als Integrationsminister mit der Arbeit nicht fertig. "Kurz muss endlich einmal liefern", so Scherak.

Kurz: Zustrom begrenzen

Auch das Team Stronach ortete ein Versagen des Außenministeriums. "Ich erwarte mir von Kurz, dass er sich endlich um bilaterale Rücknahmeabkommen kümmert, statt schon an den Stuhlbeinen seines Parteichefs zu arbeiten", erklärte Sicherheitssprecher Christoph Hagen.

Wer für Rückübernahmeabkommen formell zuständig ist, ist übrigens unklar. Sowohl Außenministerium als auch Innenministerium sind in die Verhandlungen involviert. Im Außenministerium wies man zuletzt darauf hin, dass der Großteil der Flüchtlinge in Österreich derzeit aus Syrien, Afghanistan und dem Irak kommt. Syrien und Irak seien de facto Kriegsgebiete, für Gespräche über Rückführungsabkommen gebe es darüber hinaus aktuell keine Ansprechpartner. Mit Afghanistan gebe es zwar ein Abkommen, Probleme bestünden aber immer wieder bei der Ausstellung entsprechender Heimreisezertifikate durch die afghanischen Behörden. Außenminister Kurz betonte deshalb erst vor kurzem, dass Rückführungsabkommen nur begrenzt wirksam und nicht die Lösung seien. Wirksamer sei es, den Zustrom zu begrenzen.

Die zwischen SPÖ und ÖVP umstrittene Frage, wie hoch der Prozentsatz der durchsetzbaren Asylentscheidungen derzeit ist, ist nicht eindeutig zu beantworten. Im Innenressort wird nicht erhoben, wie viele Personen mit negativem Asylbescheid in Österreich aufhältig sind. Die Zahl der Negativ-Bescheide liegt laut BMI heuer bei rund 11.500, knapp 8.000 Personen haben Österreich seit 1. Jänner verlassen.

Wie hoch der Prozentsatz der Außerlandes-Gebrachten ist, darüber herrschen bei den Koalitionspartnern unterschiedliche Ansichten. Während nach der Einschätzung von Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) etwa 90 Prozent der Betroffenen mit negativem Asylbescheid nicht in ihre "Herkunftsländer" zurückgebracht werden können, rechnet man im ÖVP-geführten Innenressort anders: Dort verweist man auf die im Jahr 2016 erfolgten 7.826 Außerlandes-Bringungen (freiwillige und unfreiwillige Ausreisen). Rechnet man diese den 11.500 Negativ-Bescheiden gegen, so kommt man auf rund 3.600 Personen, also gut 30 Prozent, die nicht abgeschoben werden konnten.

Von den 7.826 ausgereisten Personen reisten 4.515 Personen freiwillig aus (mit unbekanntem Ziel), 3.311 Personen wurden abgeschoben - davon 1.630 in Dublin-Mitgliedsstaaten (also in ein anderes EU-Land) und 1.681 Personen in "sonstige Staaten". Im Innenressort betonte man gegenüber der APA, dass damit von den insgesamt ausgereisten Personen lediglich die 1.630 in Dublin-Staaten überstellten Personen als Dublin-Fälle zu werten sind.

Im Verteidigungsressort argumentiert man die von Doskozil genannten 90 Prozent damit, dass sich diese auf die Ausreisezahlen exklusive der Dublin-Fälle bezogen habe. Es gehe hier um jene Betroffenen, die trotz negativen Bescheides nicht in ihre Herkunftsländer außerhalb der EU zurückgebracht werden konnten (etwa wegen fehlender Rückführungsabkommen oder fehlender Ausreisezertifikate).

Obergrenze nicht in Reichweite

Wie viele Personen tatsächlich mit negativem Asylbescheid in Österreich aufhältig sind, lässt sich laut Innenressort nicht beantworten. So wisse man etwa nicht, wie viele der Betroffenen auf eigenen Faust Österreich verlassen (ohne das zu melden).

Insgesamt wurden laut einem vergangene Woche im Ministerrat vorgelegten Bericht des Innenministeriums bis Ende September 34.657 Asylanträge gestellt. Die von der Regierung für heuer mit 37.500 Personen festgelegte "Kapazitätsgrenze" (bzw. "Obergrenze") ist damit aber dennoch nicht in Reichweite. Denn für die Obergrenze maßgeblich ist die Zahl der zum Asylverfahren zugelassenen Personen und diese liegt derzeit bei 28.298 (davon 8.603 noch aus dem Vorjahr übernommene Asylanträge). Die vereinbarte Zahl wurde daher bisher nur zu 75 Prozent ausgeschöpft.

Im Jahr 2015 gab es laut Innenministerium insgesamt 16.891 positiv beschiedene Anträge (Asyl und subsidiärer Schutz), 13.152 wurden abgelehnt. Die Zahl der Außerlandes-Bringungen betrug im Vorjahr 8.355.

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