Regierung blitzt mit Flüchtlings-Notverordnung ab

Innenminister Sobotka will die Notverordnung schnell durchbringen.
Hilfsorganisationen kritisieren die Regierung wegen der angedachten Notverordnung, die Flüchtlingen das Stellen von Asylanträgen an der Grenze verunmöglichen soll. Die rot-schwarze Koalition versuche, Österreich schlecht zu reden.

Mit teils geharnischter Kritik ist die Regierung angesichts der von ihr geplanten Sonderverordnung zur Reduktion der Flüchtlingszahlen konfrontiert. Vor allem Menschenrechts- und Hilfsorganisationen lassen in ihren Begutachtungsstellungnahmen kein gutes Haar am vorgelegten Text.

So kritisiert etwa das Rote Kreuz, dass der Entwurf keine objektiven Kriterien, wann und wodurch die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung sowie der Schutz der inneren Sicherheit gefährdet sein könnte, enthalte. Dies liege weitestgehend im freien Ermessen der Regierung, was bedenklich im Hinblick auf den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit sei.

Für das Rote Kreuz gibt es kein Anzeichen für eine ernsthafte oder besorgniserregende Notsituation, umso mehr als derzeit sogar ein Überangebot von Unterbringungsplätzen bestehe. Dass man die Flüchtlinge für steigende Arbeitslosenzahlen verantwortlich mache, fördere nur fremdenfeindliche Gefühle der Bevölkerung.

UNO übt harsche Kritik

Auch das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) hat sich ablehnend zur Notverordnung geäußert, wie der Standard berichtet. Die UNO weise in einer Stellungnahme auf die "flüchtlingsrechtlich problematischen Auswirkungen" einer solche Verordnung hin. Kommt es zu einer Umsetzung, dann hab auch Menschen, "die aus Kriegsgebieten geflohen sind keine Möglichkeit mehr auf Schutz in Österreich". Außerdem gibt es Kritik daran, dass nach Überschreiten der Mindestgrenze Polizisten statt Asylbeamte über einen Antrag entscheiden soll. Die meisten würden dann "in die Nachbarländer zurückgeschickt, ohne rechtsstaatliche Garantien".

"Besonders irritierend"

Die Agenda Asyl, ein Zusammenschluss mehrerer Hilfsorganisationen wie Diakonie, Volkshilfe und Asylkoordination, findet es "besonders irritierend", dass Flüchtlinge für Versäumnisse in Politik und Verwaltung verantwortlich gemacht werden. Dass die Asyl-Bewegung Auswirkungen auf die Sicherheitslage hat, wird angezweifelt: "Fakt ist nämlich, dass im Jahr 2015 die Gesamtkriminalität in Österreich laut Anzeigenstatistik einen 15-Jahres-Tiefststand von 517.870 Anzeigen erreicht hat."

Der Regierung wirft man folgerichtig vor, mit der Sonderverordnung eine willkürliche Maßnahme zu setzen. Denn die Voraussetzungen für deren Erlassung, die Bedrohung der öffentlichen Ordnung und der Schutz der inneren Sicherheit, lägen nicht vor.

Nach Ansicht von Amnesty International wird seitens der Regierung versucht, Österreich schlecht zu reden, indem den Menschen bewusst ein Gefühl der Unsicherheit vermittelt und gleichzeitig nach außen hin eine scheinbare Überforderung mit der aktuellen Situation konstruiert werde. Damit drücke sich die Regierung lediglich vor einer Managementaufgabe.

Die bloße Wahrscheinlichkeit einer möglichen Herausforderung in der Flüchtlingsaufnahme rechtfertige keinesfalls die derartige massive Beschneidung von Menschen- und Asylrecht, schreibt Amnesty. Damit werde dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit widersprochen.

Hilfsorganisation: Verordnung verwerfen

Auch die SOS Kinderdörfer zeigen wenig Begeisterung für den Entwurf, insbesondere weil sie die Kinderrechte nicht entsprechend gewürdigt sehen. Insofern plädieren sie - wie übrigens alle oben genannten Organisationen - dafür, die Verordnung zu verwerfen oder zumindest geeignete Ausnahmeregeln für Unter-18-Jährige einzuziehen.

Immerhin die Wirtschaftskammer gibt der Regierung ihren Segen. Die Sonderverordnung ist nach Ansicht der Kammer "politisch nachvollziehbar". Zudem wird auf Probleme speziell am Wiener Arbeitsmarkt verwiesen, die durch die Flüchtlingsbewegung entstanden seien. Gleichzeitig fordert die WKÖ aber verstärkte Integrationsmaßnahmen ein.

"Es ist zu beachten, dass obdachlose mittellose Flüchtlinge eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellen."

Dass es eine Verordnung braucht, ist das Land Niederösterreich überzeugt, und zwar schon aus Kapazitätsgründen. "Schon die Schaffung von mehr als 1.000 neuen Quartierplätzen muss als nicht möglich bewertet werden, ohne hier in den Gemeinden auf massivsten Widerstand zu stoßen", heißt es in der Begutachtungsstellungnahme des Landes.

Sollte abermals eine Welle an unterzubringenden Flüchtlingen auf Niederösterreich zukommen, sei jedenfalls wieder mit obdachlosen Flüchtlingen zu rechnen: "Es ist zu beachten, dass obdachlose mittellose Flüchtlinge eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellen."

Karmasin: Kosten könnten steigen

Wie vom Land Oberösterreich gewünscht, liefert das Familienministerium noch ein paar Argumente pro Verordnung nach. Ein wiederholter Anstieg an Schutzsuchenden in einem Ausmaß wie dem des Vorjahres würde dazu führen, dass auch die Ausgaben für familienpolitische Leistungen weiter steigen würden.

Bei einem annähernd gleichbleibenden Zustrom an Schutzsuchenden könnten die Kosten für den beitragsfreien Pflichtkindergarten für Länder und Gemeinden auf Basis der Zahlen für das Jahr 2015 jährlich um rund 1,4 Millionen Euro steigen, heißt es in der Stellungnahme des Ressorts von Ministerin Sophie Karmasin (ÖVP).

Ziel der Sonderverordnung, die von der Regierung im Einklang mit dem Hauptausschuss des Nationalrats abgesegnet werden soll, ist es, Flüchtlingen das Stellen von Asylanträgen an der Grenze deutlich zu erschweren. Die dafür vorgesehenen Maßnahmen sollen ab einer Grenze von (heuer) 37.500 Anträgen Wirkung entfalten. Ob es heuer aber überhaupt so viele Ansuchen geben wird, ist unsicher.

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