Viel Kritik an Österreichs Obergrenze

Kanzler verteidigt Flüchtlingspolitik. Keine Neuankünfte in Spielfeld.

Die wichtigsten Punkte vorweg:

  • Die Flüchtlings-Obergrenze (37.500 Asylanträge im Jahr 2016) sorgte beim EU-Gipfel in Brüssel für herbe Kritik einiger EU-Partner
  • Griechenland will sogar ein Veto in der Brexit-Debatte einlegen, sollte Österreich die Obergrenze nicht aussetzen
  • Dennoch will Innenministerin Mikl-Leitner die tägliche Obergrenze (80 Asylanträge) noch senken
  • In Spielfeld kamen am Freitag gar keine Flüchtlinge an
  • Auch die Slowakei erwägt nun, einen Zaun zu Österreich zu bauen

Der zweite Gipfeltag in Brüssel gestaltete sich zäh, immer wieder wurden Verhandlungen verschoben. Und Österreichs Vertreter mussten viel Kritik einstecken; am Vortag hatte schon EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker erklärt, die Obergrenze werde noch ein rechtliches Nachspiel haben.

Bundeskanzler Werner Faymann aber blieb auch am Freitag dabei:Österreich gehe mit seiner Obergrenze von 37.500 Asylanträgen für heuer "mit gutem Beispiel voran". Würde "jedes Land dieselben Richtwertgrenzen beschließen, also über 37.500 gemessen an der Bevölkerung, könnten wir in der EU mehr als zwei Millionen Flüchtlinge verteilen", betonte der Kanzler. Österreich sei ein Land, das immer sehr europäisch gedacht und auch geholfen habe, wenn Hilfe notwendig war. "In der Ungarn-Krise, der ehemaligen Jugoslawien-Krise. Letztes Jahr haben wir 90.000 genommen und wir haben nicht gesagt, heuer sind es deshalb Null, sondern es sind 37.500. Aber jetzt sind eben die anderen dran."

Obergrenze wird noch reduziert

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner legte sogar nach: Das tägliche Kontingent von 80 Asylanträgen dürfte noch weiter reduziert werden. In einem Statement gegenüber der APA erklärte sie, die derzeitige Obergrenze werde nicht ausreichen. "In weiterer Folge werden wir die täglichen Obergrenzen weiter senken müssen." Auch das werde aber strukturiert und abgestimmt mit den Nachbarstaaten erfolgen.

Derzeit zieht es aber die Flüchtlinge scheinbar ohnehin nicht nach Österreich. Am steirischen Bundesstraßen-Grenzübergang zu Slowenien in Spielfeld sind bis Freitagnachmittag keine Flüchtlinge angekommen - und die Polizei erwartete erst am Samstag welche. Somit war zumindest am Freitag das Tages-Limit überhaupt nicht notwendig.

Slowakei zieht nach

Auch der slowakische Ministerpräsident Robert Fico ließ am Freitag aufhorchen: Auch sein Land könnte Absperrungen an der Grenze zu Österreich errichten. "Wir müssen auch technische Barrieren vorbereiten", sagte der Ministerpräsident. "Wenn einige Länder so wie Österreich einseitig Maßnahmen treffen, könnte dies zur Folge haben, dass wir unter einen riesigen Migrationsdruck geraten, und deshalb müssen wir ebenfalls einseitige Maßnahmen treffen", erläuterte Fico. Die Vorbereitungen seien bereits im Laufen, versicherte der linkspopulistische Politiker. "Wir bereiten uns längerfristig darauf vor.

Andere Länder hingegen stellten sich strikt gegen Österreichs Politik: Griechenland versuchte direkt, Wien zur Aussetzung der Obergrenzen zu bewegen. Das Land wollte laut EU-Diplomaten sogar eine mögliche Einigung über die Reformwünsche Großbritanniens blockieren, wenn Österreich bis zum nächsten Spitzentreffen im März die Obergrenze nicht kippt. Um ein solches Veto Athens zu verhindern, hat die deutsche Kanzlerin Angela Merkel dem Vernehmen nach ihrem griechischen Amtskollegen Alexis Tsipras eine Fortsetzung der Politik der offenen Grenzen bis zum 6. März zugesichert.

Auch Deutschland bietet seine Kräfte auf, um bei Österreich ein Einlenken zu bewirken. Innenminister Thomas de Maiziere drohte, ohne Österreich explizit zu nennen, mit einer Gegenreaktion Berlins auf das neue "Grenzmanagement". "Falls einige Länder versuchen sollten, das gemeinsame Problem einseitig und zusätzlich auf den Rücken Deutschlands zu verlagern, so wäre das inakzeptabel und würde von uns auf Dauer nicht ohne Folgen hingenommen", sagte er am Freitag.

Die Lösung lässt weiter auf sich warten: In Brüssel setzt man lieber auf juristische Drohungen, wie den bitterbösen Brief von Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos an Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. Die tägliche Obergrenze für 80 Asylwerber, die ab gestern, Freitag, gilt, sorgte in den Marathon-Verhandlungen beim EU-Gipfel für aufbrausende Debatten.

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker war wütend, dass Österreich mit seinen nationalen Alleingängen eine gemeinsame, europäische Flüchtlingspolitik und die gesamte Agenda der Brüsseler Behörde unterlaufe. Ein schwerer Schlag für die Kommission.

Auch Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel reagierte entrüstet auf die Obergrenze, versteckte ihre Enttäuschung über Amtskollegen Werner Faymann aber in nichtssagenden Erklärungen ("Wir hatten eine Aussprache"). Klartext sprach am Freitag Bundesinnenminister Thomas de Maizière, er drohte mit einer Retourkutsche. "Falls einige Länder versuchen sollten, das gemeinsame Problem einseitig und zusätzlich auf den Rücken Deutschlands zu verlagern, so wäre das inakzeptabel und würde von uns auf Dauer nicht ohne Folgen hingenommen."

Der Druck auf den Bundeskanzler war beim EU-Gipfel groß, Österreich möge die Obergrenze für vier Wochen aussetzen. Merkel will Faymann als Verbündeten nicht ganz verlieren.

Der Kanzler blieb hart und verteidigte die Maßnahmen. "Die Obergrenze bleibt. Österreich geht mit seiner jährlichen Obergrenze von 37.500 Asylanträgen für 2016 mit gutem Beispiel voran." Italiens Premier Matteo Renzi meldete sich im Sinne Faymanns zu Wort, auch andere Sozialdemokraten waren auf seiner Seite.

Die Auseinandersetzung machte die tiefe Spaltung in drei Lager deutlich: Die einen, die ein nationales Grenzregime gutheißen. Auf der anderen Seite stehen die Hardliner, wie die Visegrád-Länder, die Balten und Dänemark, die von einer europäischen Flüchtlingspolitik nichts halten und eine Quotenregelung ablehnen.

Noch immer auf "eine Lösung der 28" hofft Merkel. Luxemburg und die EU-Kommission sind ihre Partner.

Nach Monaten des Durchwurstelns fehlt immer noch eine Vorwärtsstrategie. Jetzt soll ein eigener Krisengipfel mit der Türkei Anfang März Ergebnisse bringen. "Wir haben bestätigt, dass es keine Alternative zu einer guten, intelligenten und weisen Zusammenarbeit mit der Türkei gibt", sagte Juncker. Der Krieg gegen die Kurden spiele dabei keine Rolle.

Die Koalition der Willigen für den Türkei-Aktionsplan ist somit gestorben.

Tsipras drohte mit Veto

Gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten François Hollande knöpfte sich Merkel den griechischen Ministerpräsident Alexis Tsipras vor. Er entpuppte sich als kleiner Rebell und drohte der ohnedies angespannten und chaotisch agierenden Runde mit der Veto-Keule.

Seine Blockade sollte ein Abkommen mit Großbritannien verhindern (siehe dazu auch Seite 6). Außerdem verlangte er die Aussetzung der Flüchtlingsobergrenze durch die österreichische Bundesregierung sowie den Abriss der Zäune an der griechische-mazedonischen Grenze. Er fürchtet den Grenzwall, weil Hellas dadurch zu einem großen Auffangbecken für alle Flüchtlinge aus der Türkei werden könnte. In Bausch und Bogen warf Tsipras allen EU-Staaten Unsolidarität vor, weil sie keine Flüchtlinge aus Griechenland aufnehmen.

Aus Brüssel: Margaretha Kopeinig

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