Faymann will 50.000 Flüchtlinge aus Türkei nach Europa holen

Werner Faymann: "Nicht einfach wegducken"
Umverteilung von 40.000 bis 50.000 Menschen aus Syrien. Für Deutschland ist das Aufnahmeprogramm mit der Türkei noch völlig offen.

Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) hat sich für die Umsiedelung von 40.000 bis 50.000 syrischen Flüchtlingen von der Türkei in die EU ausgesprochen. Dies sei aber nur dann eine Option, "wenn der Grenzschutz in der Türkei künftig so funktioniert, dass nur noch sehr wenige Flüchtlinge von dort in die EU gelangen", sagte er laut einer Vorabmeldung zur Tageszeitung Die Welt (Mittwochsausgabe).

"Es darf auf keinen Fall passieren, dass die Fluchtbewegung nach Europa weiter geht und die EU aus der Türkei zusätzlich noch Flüchtlinge aufnimmt", fügte Faymann hinzu. Zugleich rief er alle 28-Mitgliedsstaaten dazu auf, sich an der Maßnahme zu beteiligen.

Unterdessen wirft die Menschenrechtsorganisation Amnesty der Türkei vor, seit September Hunderte Flüchtlinge an der Westgrenze der Türkei festgenommen und in Haftzentren im Süden und Osten des Landes gebracht zu haben (mehr dazu lesen Sie unten).

Diskussionen

Über die Umsiedelung (Resettlement) von bereits durch die UNO anerkannten Flüchtlinge aus der Türkei wird bereits seit mehreren Wochen diskutiert. Zwischenzeitlich wurden sogar Kontingente von bis zu 500.000 Schutzsuchenden kolportiert, was die luxemburgische EU-Ratspräsidentschaft zuletzt jedoch als "illusorisch" zurückwies.

Österreich ist zusammen mit Deutschland, den Benelux-Staaten, Frankreich, Schweden und Finnland Teil der sogenannten Koalition der Willigen, deren Mitglieder bereit wären, Flüchtlinge auf legalem Weg aus der Türkei zu holen. Vor Beginn des EU-Gipfels der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag in Brüssel soll dazu in der Österreichischen Vertretung ein Treffen der acht Staaten stattfinden, auch der griechische Premier Alexis Tsipras und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker werden teilnehmen.

Umverteilung

Faymann zeigte sich gegenüber der Welt zudem offen für einen Vorschlag des luxemburgischen Außenminister Jean Asselborn, die aus der Türkei umgesiedelten Flüchtlinge von jenen 160.000 Schutzsuchenden abzuziehen, die aus Italien und Griechenland verteilt werden sollen. "Wenn ein EU-Land bereit ist, Flüchtlinge direkt aus der Türkei zu sich zu holen, so wäre es denkbar, dass dieses Land dementsprechend weniger Flüchtlinge aus Italien oder Griechenland aufnehmen muss", so der Kanzler.

Bereits jetzt haben sich die EU-Staaten auf das Resettlement von 20.000 von der UNO anerkannten Flüchtlingen direkt aus Krisengebieten sowie die Umverteilung von insgesamt 160.000 über Italien und Griechenland in die EU eingereisten Schutzsuchenden geeinigt. Bis 11. Dezember wurden davon laut Angaben der EU-Kommission jedoch lediglich 184 Flüchtlinge umverteilt.

D: Aufnahmeprogramm mit Türkei völlig offen

Für Deutschland ist ein Aufnahmeprogramm für Flüchtlinge aus der Türkei noch völlig offen. Aus Berliner Regierungskreisen hieß es am Mittwoch, eine Möglichkeit sei sicher die "Anrechnung" der Flüchtlinge aus der Türkei auf den Verteilungsschlüssel für Asylsuchende aus Griechenland und Italien. Es seien auch verschiedene Alternativen in Diskussion. Aber so weit sei man noch nicht.

Zu dem von Kanzler Werner Faymann (SPÖ) initiierten Treffen mehrerer Staaten mit der Türkei vor dem am Donnerstag beginnenden EU-Gipfel wurde in deutschen Regierungskreisen erklärt, es würden keinerlei Schlussfolgerungen oder Deklarationen für den Europäischen Rat der 28 Staats- und Regierungschefs erwartet. Es gehe nur um eine Bestandsaufnahme nach dem EU-Türkei-Gipfel vom 29. November. Der türkische Premier Davutoglu werde über die von Ankara getroffenen Maßnahmen berichten.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty hat der Türkei vorgeworfen, seit September Hunderte Flüchtlinge an der Westgrenze der Türkei festgenommen und in Haftzentren im Süden und Osten des Landes gebracht zu haben. Das geht aus einem neuen Bericht unter dem Titel "Europe's Gatekeeper" ( Europas Türhüter) hervor, der am Mittwoch veröffentlicht wurde.

Die Türkei stelle die Menschen "vor eine unmenschliche Wahl: Entweder sie bleiben auf unbestimmte Zeit in Haft, oder sie kehren in ihre Heimatländer Syrien und Irak zurück, wo ihnen Verfolgung, Folter und Tod drohen", erklärte Wiebke Judith, Asyl-Expertin bei Amnesty in Deutschland.

Damit verstoße die Türkei "eindeutig gegen internationales Recht" und handle "im starken Kontrast zu ihrer bisherigen sehr humanitären Haltung", erklärte Judith weiter. Flüchtlinge hätten Amnesty International davon berichtet, dass ihnen in der Haft jeder Kontakt zur Außenwelt verboten worden sei. Deswegen sei von einer hohen Dunkelziffer an ähnlichen Fällen auszugehen, fügte Judith hinzu.

Offenbar EU-Gelder verwendet

Flüchtlinge zeigten Amnesty demnach Hinweisschilder von Betten und Regalen aus einem Haftzentrum, in dem sie gefangen gehalten wurden. Diese belegen dem Bericht zufolge, dass die Einrichtung mit EU-Geldern betrieben wird. Es sei "schockierend", dass die Europäische Union Haftzentren für Flüchtlinge in der Türkei finanziere, erklärte Judith. EU-Vertreter in Ankara hätten Amnesty International außerdem bestätigt, dass es sich bei sechs geplanten Aufnahmezentren für Flüchtlinge, die die Türkei im Rahmen des neuen Aktionsplanes mit EU-Mitteln einrichtet, "in Wahrheit um Haftzentren handelt".

Vor dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag forderte Amnesty die EU-Staaten dazu auf, eine unabhängige Überwachung des Aktionsplans der EU und der Türkei einzurichten. Die Türkei müsse aufhören, "Flüchtende unrechtmäßig festzuhalten und sie zu zwingen, dorthin zurückzukehren, wo ihr Leben in Gefahr sei, erklärte Judith. Solange dies nicht der Fall sei, müsse die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und der Türkei in der Flüchtlingsfrage auf Eis gelegt werden.

Die EU hatte Ende November mit der Türkei einen Aktionsplan in der Flüchtlingskrise vereinbart. Er verlangt von Ankara eine bessere Grenzsicherung, um die ungesteuerte Einwanderung nach Europa zu beenden. Im Gegenzug bekommt die Türkei unter anderem drei Milliarden Euro, um die mehr als zwei Millionen Flüchtlinge im eigenen Land besser zu versorgen. Die türkische Regierung hofft aber auch auf eine verbindliche Zusage der EU zur Aufnahme von Flüchtlingen.

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