Faymann: Österreich muss mehr Geld an die EU zahlen

Werner Faymann
Warum der Bundeskanzler fix damit rechnet, dass die Beiträge für Brüssel steigen werden.

KURIER: Herr Bundeskanzler, neue Studien belegen, dass uns ein Euro-Zerfall 150.000 Jobs und Wirtschaftsleistung kosten würde. Trotzdem gibt es Leute, die sich das wünschen, sogar politisch fordern. Irren die Experten, oder kann es die Politik nicht erklären?
Werner Faymann: Das wäre ein politischer Fehler – wir sagen zu wenig klar, was ein Zerfall der Euro-Zone bedeuten würde, nämlich: steigende Armut, Massenarbeitslosigkeit und das Ende des Friedensprojektes Europa. Jene würden sich durchsetzen, die Politik generell ablehnen. Nationalisten oder extreme Regierungen sind das Schlechteste für ein gemeinsames, friedliches und soziales Europa. Unsere Zukunft wäre zerstört. In Zeiten, in denen Griechenland, Portugal und andere Länder kämpfen, müssen wir solidarisch sein. Das ist die politische Kernfrage der nächsten Jahre, viele Entscheidungen werden auf uns zukommen.

Eine Entscheidung wird das mehrjährige EU-Budget sein. Werden Sie den Österreichern erklären, dass wir mehr zahlen und weniger bekommen?
Es ist ein Glück, dass wir eines der reichsten Länder Europas sind. Deutschland ist zwar sehr wettbewerbsfähig, liegt aber beim BIP/Kopf hinter Österreich. Wir gehören also zu den Spitzenreitern. Beim EU-Budget werden die Schwächeren etwas mehr bekommen. Daher verspreche ich nicht, dass wir mehr bekommen und weniger zahlen. Wir werden für das EU-Budget einen höheren Beitrag leisten müssen, ich kann aber noch nicht sagen, wie viel. Wir werden um einige Prinzipien hart kämpfen.

Um welche Prinzipien?
Den ländlichen Raum, den Rabatt, die Ausbildungsgarantie und überregionale Infrastrukturprojekte wie die Tunnels, im Rahmen der europäischen Netze. Das sind vertraglich abgesicherte, gemeinsame Projekte.

Zahlt Österreich dafür, dass anderswo Leute besser ausgebildet werden?
Gerade als Land, das viel vom Export profitiert, sind wir bereit, etwas zu zahlen. Es geht um den Wirtschaftsstandort Europa. Wir brauchen die Kaufkraft schwächerer Länder, das geht nicht ohne Ausbildung. Eine Vision wäre, die Rabatte – sieben Milliarden Euro jährlich – in einen Topf zu werfen. Damit könnte eine Art Ausbildungsgarantie für eine Million junger Menschen finanziert werden. Es ist aber leichter, eine Wand davon zu überzeugen als Premier David Cameron. Alles, was im Budget Arbeitsplätze, Forschung und Bildung sichert, ist richtig.

Werden Österreichs Nettozahlungen an die EU steigen?
Sie sind schon gestiegen und werden weitersteigen. Entscheidend ist, um wie viel sie steigen. Jemand, der verspricht, dass Österreich ein Gewinner sein wird, dass wir mehr bekommen und weniger zahlen, ist ein Scharlatan. Für Scharlatane habe ich nichts über. Zu versprechen, dass wir weniger zahlen, das mache ich nicht. Ich möchte den Österreichern in die Augen schauen können.

Mehr zahlen ist aber eine höchst unpopuläre Nachricht.
Die ist nur dann unpopulär, wenn man jenen glaubt, die sagen, man ist das reichste Land und bekommt trotzdem noch etwas dazu. Auch wir haben Vorteile: Wir zahlen so wenig Zinsen für Staatsanleihen wie nie zuvor. Unsere Leistung ist, dass wir sehr gut sind. Ein Prozentpunkt weniger Zinsen sind zwei Milliarden Euro. Wir verdienen auch, wenn andere unsere Produkte kaufen oder bei uns Urlaub machen.

Österreich verdient ja auch an Griechenland.
Da bin ich vorsichtig. Niemand kann garantieren, dass Griechenland die volle Höhe zurückzahlen kann.

Ex-Kanzler Schüssel hat für den ländlichen Raum viel Geld verhandelt. Wie verteidigt ein SPÖ-Kanzler die Landwirte?
Insgesamt sieht der aktuelle Budgetvorschlag für Bauern eine Kürzung von etwas mehr als zwei Prozent vor. Die kann man einsparen. Uns ist aber die zweite Säule besonders wichtig, dort geht es um den ländlichen Raum, um Berg- und Bio-Bauern, um Landschaftspflege, Tourismus, Umwelt und Nachhaltigkeit. Um diese Förderungen für den ländlichen Raum, der für uns ein Qualitätsmerkmal ist, werde ich hart kämpfen. Alle Kürzungsideen beziehen sich auf den ländlichen Raum. Das ist der unangenehme Teil der Verhandlungen. Es gibt viele Gerüchte. Kein Wunder, dass die Bauernvertreter gestern bei mir waren, immerhin es geht um sehr viel Geld.

Haben Sie für die ländliche Entwicklung Partner?
Nicht für den ländlichen Raum, da sind wir auf uns selbst gestellt, nur die Finnen sind auf unserer Seite. Frankreich macht sich vor allem für Prämien stark. Entweder es gelingt, in den Verhandlungen eine Lösung zu finden, oder wir gewinnen Geld in einem anderen Bereich und können es dann intern umverteilen.

Queen Elizabeth bekommt Agrarförderungen, ebenso große Fruchtsafterzeuger. Ist dieses System nicht am Ende?
Unsere Bauern können kein System ändern. Es gibt ein anderes Problem, nämlich dass Produkte durch die ganze Welt transportiert werden. Das ist absurd. Man müsste die Realkosten dieses Systems berücksichtigen, die Umwelt- und Gesundheitsschäden durch internationale Transporte.

Sagen Sie das in der EU?
Ich werde das massiv thematisieren. Ungerecht ist, dass sich die Atom- und Transportbranche aus den Realkosten herausnehmen und andere zahlen lassen. Österreich muss hier Nachhaltigkeit einfordern.

Die große Sympathie für die Bauern wird Ihnen in der Partei nichts nützen, oder?
Man kann sich als Regierungschef nicht jeden Tag fragen, was einem nützt oder schadet. Es gibt auch Bauern, die mit Flächenwidmungen und Grundstücksverkäufen Vielfachmillionäre geworden sind. Die passen dann zu meinem Plan der Reichensteuer. Es gibt aber viele Bauern, die hart arbeiten und für Lebensqualität sorgen.

Wird es beim Budget-Gipfel eine Einigung geben?
Das ist keine ausgemachte Sache. Die Verhandlungen könnten sich bis zum Frühjahr ziehen. Wir brauchen uns von Cameron nichts gefallen zu lassen.

Soll man den Briten nicht klar sagen: Love it or leave it?
Ich verlange nicht, dass sie die EU lieben. Erpressen lassen wir uns aber nicht.

Eine andere Frage: Sollte die EU-Informationsarbeit nicht besser werden?
Ja. Wenn man dafür Steuergeld einsetzt, muss man damit sorgsam umgehen. Wir sollten bestehende Möglichkeit nützen. Diskussionen, wie sie in Wahlzeiten im Fernsehen oder in Printmedien üblich sind, sollten verstärkt zu Europa stattfinden. Ich scheue nicht zurück, mit Herrn Strache zu diskutieren, was Österreich nützt.

Eine Milliarde Euro. Auf diese Summe ist Österreichs Agrarminister Niki Berlakovich, stellvertretend für die rund 140.000 heimischen Bauern, gewillt, im Zuge des neuen EU-Budgets (2014–2020) zu verzichten. „Es soll nicht heißen, der Agrarbereich will nicht beim Sparen mithelfen.“ In der laufenden Periode (2007–2013) fließen rund 9,3 Brüssler Milliarden in die heimische Landwirtschaft (Direktzahlungen und ländliche Entwicklung).
Ein Vorschlag der EU-Kommission vom Sommer 2011 sieht für die rot-weiß-roten Bauern nun Einsparungen in Höhe von der oben genannten Milliarde vor. Ein vergangene Woche neu vorgestelltes EU-Papier setzt aber noch weiter den Rotstift an. „Das werden wir nicht akzeptieren“, gibt sich Berlakovich für die Ende November angesetzten EU-Budgetverhandlungen kämpferisch.
Österreich muss als Nettozahler selbstbewusst auftreten.“ Denn es stünden noch weitere Kürzungen im Raum. „Im schlimmsten Fall droht jedem zweiten heimischen Bauern das Aus“. Gestern, Dienstag, gab es zu diesem Thema ein Abstimmungsgespräch mit Bundeskanzler Faymann, der in Brüssel die Verhandlungen für Österreich führen wird.
Österreichs Argumentationslinie ist allerdings brüchig. Gemeinsam mit anderen Nettozahlern will man das EU-Gesamtbudget noch stärker kürzen, als die EU-Kommission im Vorjahr vorgeschlagen hat – um weitere 100 auf insgesamt rund 1000 Milliarden Euro. Allerdings, und hier beißt man sich in den Schwanz, ohne weitere Einsparungen in der Landwirtschaft. „Ich erwarte mir harte Verhandlungen“, ist Berlakovich immerhin Realist. Markus Stingl

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