Faymann "Im Zentrum": Analyse des Solo-Auftritts

Der Kanzler hatte eine Stunde Zeit, seine Flüchtlingspolitik im TV zu erklären.
Kanzler wirkte entschlossen – aber nicht immer glaubwürdig, urteilt Demoskop Bachmayer. Solo-Interview bei Ingrid Thurnher fuhr gute Quoten ein.

Nach neun Jahren "Im Zentrum" im ORF gab’s gestern Abend erstmals eine – im Vorfeld wild umstrittene – Premiere: Gastgeberin Ingrid Thurnher empfing nicht wie gewohnt vier bis fünf Gäste sondern nur einen, Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann, SPÖ. Knapp 600.000 Zuschauer verfolgten Sonntagabend den Solo-Auftritt Faymanns (28 Prozent Marktanteil). Das von vielen Seiten kritisierte Sonderformat landete damit deutlich über dem Sendungsschnitt von "Im Zentrum", der heuer bisher bei 454.000 Sehern und 22 Prozent Marktanteil lag.

Thema des Abends war: "Ist das Ihr Europa, Herr Faymann?" Der Satz spielt auf eine Aussage der deutschen Kanzlerin Angela Merkel an, die in der ARD-Talkshow Anne Will, in der sie ebenfalls und nicht zum ersten Mal alleine eingeladen war, vor wenigen Wochen in Richtung Österreich sagte: "Wenn der eine seine Grenze definiert, muss der andere leiden. Das ist nicht mein Europa." Österreich hatte kurz zuvor seine Grenze zu Slowenien geschlossen.

Ins Schwitzen gebracht

Moderatorin Thurnher drohte das Gespräch immer wieder zu entgleiten, weil sich Faymann wiederholt selber Fragen stellte, wie zum Beispiel: "Was würden wir uns also von Griechenland wünschen ..." oder "da muss ich ein bissl ausholen und bin dankbar für die Möglichkeit ...". Doch mit einigen Beispielen aus dem Archiv – etwa dass Faymann noch im Dezember dezidiert gegen Obergrenzen gewesen ist – brachte sie ihn doch noch ins Schwitzen.

Faymann "Im Zentrum": Analyse des Solo-Auftritts
ABD0165_20160313 - WIEN - ÖSTERREICH: BK Werner Faymann und Moderatorin Ingrid Thurnher (R.) vor Beginn des Polit-Talk "Im Zentrum" am Sonntag, 13. März 2016 im ORF-Zentrum in Wien. - FOTO: APA/HERBERT P. OCZERET
Erstes Thema war auch gleich das drängendste Problem: 12.000 Flüchtlinge harren an der griechisch-mazedonischen Grenze in Idomeni im Regen und im Schlamm aus, in der Hoffnung, dass die Balkan-Route wieder geöffnet wird(siehe KURIER-Reportage). "Das sind schreckliche Bilder", antwortete Faymann knapp, um gleich auf sein Thema überzuleiten: "Die Bilder zeigen, dass wir eine europäische Lösung brauchen." Und er erklärte, dass er nun seine Kollegen im Europäischen Rat überzeugen muss: "Den Orban (Ungarns Premier, Anm.) werde ich als letztes überzeugen..."

Der Kanzler offenbarte keine neuerliche Kursänderung in Sachen Asylpolitik: Weil eine europäische Lösung nicht zustande gekommen ist, musste die Bundesregierung "national" handeln und die Grenze schließen. Es sei wichtig gewesen, dass es eine gemeinsame Regierungslinie gibt, was seinen politischen Schwenk erklärt.

Nichts Neues

"Wirklich Neues hat Faymann nicht gesagt", analysiert OGM-Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer nach der Sendung. "Faymann war offensichtlich gut vorbereitet und wirkte entschlossen." Die Strategie des Kanzlers sei gewesen, Schuld für die Flüchtlingsmisere allen anderen zu geben, und nicht Österreich oder gar sich selbst: "Die EU ist schuld, weil sie keine Rücknahmeabkommen verhandelt. Schuld sind die Flüchtlinge, weil sie sich ihre Zielländer wie Rosinen herauspicken würde." Und er habe auf das "Prinzip Hoffnung" gesetzt, etwa die "Illusion" von EU-Verteilzentren für Flüchtlinge oder den Deal mit der Türkei.

Faymann "Im Zentrum": Analyse des Solo-Auftritts
OGM-Chef Wolfgang Bachmayer
Problematisch sieht Bachmayer Faymanns Glaubwürdigkeit bei zentralen Fragen: Etwa, dass "wir immer gegen das Durchwinken gewesen sind". Oder, als Faymann versucht habe, sich als "Initiator eines EU-weiten Meinungsumschwungs" darzustellen. "Der Höhepunkt war die Frage über einen Streit beim letzten EU-Gipfel", fand Bachmayer: "Faymann erklärte, dass es tatsächlich alles ganz anders gewesen ist, nämlich: Eine kleine Arbeitsgruppe mit Merkel, Kommissionspräsident Juncker, Ratspräsident Tusk und Faymann selbst habe sich zusammengesetzt und die neue Linie durchgesetzt. Das halte ich für übertrieben, wenn nicht gar geheuchelt."

Und Bachmayer notierte sich jene Wörter, die Faymann am häufigsten verwendete: "Das waren ’Ordnung’, ’Konsequenz’, ’hart bleiben’ – aber auch ’Menschlichkeit’. Insgesamt also ziemlich widersprüchlich."

Übrigens: Kein Thema war Kärnten, das aufgrund des HETA-Debakels kurz vor einem Konkurs steht.

Ingrid Thurnher wollte von Faymann wissen, ab welchem Zeitpunkt er sich von der gemeinsamen Linie mit der deutschen Kanzlerin Merkel verabschiedet habe. Es sei ihm bei der Diskussion im Winter klar geworden, dass die Lösung des "Durchwinkens" der Flüchtlinge nicht funktioniere, sagte Faymann. "Und als mir immer klarer wurde, dass es auch in Deutschland Menschen gibt, die sich gedacht haben, na gut, da kommen wieder ein bis zwei Millionen, da bleiben in Österreich 300.000 bis 400.000 - so geht es nicht. Wir sind nicht das Wartezimmer Deutschlands", so der Kanzler.

Seinen Schwenk in der Flüchtlingspolitik begründete er mit der heuer zu erwartenden hohen Zahl an Flüchtlingen begründet. Nicht der Druck der ÖVP oder der Öffentlichkeit, auch nicht die Umfragewerte hätten ihn dazu bewogen, sondern, "weil ich bin der Überzeugung, dass die Zahl nicht weniger, sondern viel höher wird".

Es gehe darum, "das Schlimmste zu verhindern. Das Schlimmste wäre, wenn im Sommer die doppelt so hohe Menschenmasse kommt und der Anteil, der da bleiben will, in die Hundertausende geht." Seine Meinung habe er geändert, "als mir das klar wurde, dass die europäische Lösung nicht funktioniert." Dann habe man auch auf EU-Ebene beschlossen, das "Durchwinken" zu beenden. Es gelte nun, auch die Ausweichrouten - "sei es Italien, Bulgarien" - zu schließen. Wenn man das nicht jetzt im März schaffe, dann stehe man im Sommer "vor einer völlig unbewältigbaren Aufgabe".

Humanitäre Leistung

Damit konfrontiert, dass - obwohl er sich selbst in der Vergangenheit stets gegen eine Obergrenze bei der Flüchtlingsaufnahme gesträubt - eine solche Obergrenze mit der Zahl von 37.500 Asylplätzen für 2016 letztlich doch eingeführt wurde, verwies Faymann erneut darauf, dass eine europäische Lösung bis dato nicht funktioniert habe. "Wir sind nicht bereit, über 37.500 zu nehmen. Das ist eine große humanitäre Leistung" - und würde umgemünzt auf die gesamte Union zwei Millionen Asylplätze bedeuten.

Notwehr

"Das war eine Notwehr als Plan B, am 20. Jänner", begründete Faymann den damaligen diesbezüglichen Beschluss von Regierung und Landeshauptleuten. "Damit haben wir die Kollegen aufgeweckt, das Durchwinken wurde beendet. Meine einzige Sorge ist, dass sie es wieder aufmachen." Österreich müsse bei diesem Weg hart bleiben: "Wir müssen die Linie konsequent verteidigen." Gefragt, ob diese Haltung menschlich ist, fragte Faymann, ob es denn etwa menschlich sei, wenn man keine Wohnplätze für Flüchtlinge mehr anbieten könnte, wenn die Betroffenen auf der Straße schlafen müssten, zu wenig Schul- oder Arbeitsplätze zur Verfügung stünden.

"Überschätzung" des Koalitionspartners

Dass sein Meinungsschwenk dem Druck des Koalitionspartners ÖVP geschuldet war, verneinte er: "Das ist eine Überschätzung des Koalitionspartners", sagte er auf eine entsprechende Frage von Moderatorin Ingrid Thurnher. ÖVP-Politiker, allen voran Vizekanzler Mitterlehner, hatten den Solo-Auftritt Faymanns im Vorfeld scharf kritisiert.

Dass die Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU nach wie vor nicht funktioniert, liegt Faymanns Ansicht nach an mehreren Gründen. Einerseits würden die Flüchtlinge nicht bereit sein, andere Destinationen außer Deutschland und Österreich anzustreben. Andererseits würde die Organisation der Hotspots an den EU-Außengrenzen "überhaupt nicht" funktionieren. "Wir würden uns wünschen, dass es Verteilerzentren gibt, die den Flüchtlingen klar machen, dass sie sich nicht aussuchen können, wo sie Schutz bekommen."

Kommentar zu Kurz

Dem Satz von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP), der gemeint hatte, ein Stopp der Migrationsströme werde ohne "hässliche Bilder" nicht gehen, wollte der Kanzler nicht zustimmen. "Das Signal, das man aussenden möchte, ist, dass die Balkanroute zu ist, dass es kein Durchwinken mehr gibt. Dass jemand zu Schaden kommt, dass wollen wir nicht aussenden, das hat auch keine Wirkung", sagte Faymann. "Ohne Menschlichkeit geht es nicht, aber ohne Ordnung geht es auch nicht."

Zynisch sei das Vorgehen Österreichs keinesfalls: "Es wäre zynisch, wenn man 100.000 Menschen unterbringt und dann so tut, als könnte man mehrere Millionen unterbringen. Wir haben bewiesen, dass wir helfen können. Vorwürfe kann man anderen Ländern machen." Wirklich beseitigen könne man das Elend aber nur, wenn man die Kriege und den Terror vor Ort beseitigt.

Türkei als schwieriger Partner

In der angestrebten Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei zur Rücknahme von Flüchtlingen sieht Faymann nicht die alleinige Lösung. Denn: "Man hat gesehen, dass das kein einfacher Partner ist", sagte er mit Blick auf den Umgang der Türkei mit der kurdischen Minderheit sowie der eingeschränkten Meinungsfreiheit in dem Land. Gleichzeitig halte er eine Lösung mit der Türkei für wichtig. Denn es sei einfacher, gemeinsam mit der Türkei "die Kette der Schlepper" zu durchbrechen. Von einer "Festung Europa" wollte Faymann trotz Grenzschließungen und Kontrollen nicht sprechen: "Wenn ich wissen will, wer da hereinkommt, dann ist das ja noch keine Festung."

Dass er sich mit seinem Schwenk auch innerparteiliche Kritik eingehandelt hat, ist Faymann bewusst, aber: "Ich belüge die Menschen nicht. Wenn ich glauben würde, wir könnten heuer 300.000 unterbringen, dann würde ich es sagen. Ich glaube es nicht", sagte er.

​Bundeskanzler Werner Faymann als einziger Gast in der ORF-Diskussionssendung "Im Zentrum" – da gingen schon im Vorfeld die Wogen hoch. Fast alle Parlamentsparteien kritisierten den Soloauftritt – als "politisch fragwürdig" (ÖVP), "medienpolitischen Skandal der Sonderklasse" (FPÖ) oder "unwürdig" (Grüne). Das Thema lautete übrigens: "Ist das noch Ihr Europa, Herr Faymann?"

Die inhaltliche Analyse zur Sendung finden Sie morgen Früh im KURIER.

Angesichts der Vorzeichen bereitete sich Diskussionsleiterin Ingrid Thurnher besonders akribisch vor.

Auch die kritischen Beobachter – etwa der ehemalige SPÖ-Rebell Rudi Fußi – trafen ihre Vorkehrungen.

Die Erwartungen waren groß.

Die politischen Mitbewerber ließen kein gutes Haar am Auftritt Faymanns.

Faymann hat keinen Plan. Nicht außenpolitisch, nicht europapolitisch, nicht für den Festungsbau. #imzentrum

Auch andere machten sich Sorgen um die Abwesenden.

Als der Kanzler erklärte, er habe eine Liste, auf der er diejenigen abhakt, die er in Sachen Flüchtlingskrise überzeugt hat, erntete er Häme.

Manche stellten sich einer schier unerfüllbaren Herausforderung: Verweigerung.

Stichwort Umfragewerte: Faymann zufolge schwanken diese in die unterschiedlichsten Richtungen. Die Twitteria sah das anders.

Und eine Conclusio gab die Twitteria dem Kanzler noch mit auf den Weg:

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