Faktencheck: Grenzen dicht – geht das?

Der Plan eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist bisher grandios gescheitert.
Die ÖVP will weniger bis gar keine Flüchtlinge mehr aufnehmen und fordert eine Obergrenze.

"Wir müssen Grenzen setzen, um den Flüchtlingsstrom zu stoppen und Österreichs Kapazitäten nicht zu überfordern." Mit Sätzen wie diesen verkündete ÖVP-Parteichef Reinhold Mitterlehner die verschärfte Gangart seiner Partei in der Flüchtlingskrise. Erklärtes Ziel der Schwarzen: "Es müssen weniger Flüchtlinge werden – bis zum Nullpunkt."

Aber auch die SPÖ, die bisher die Forderung der ÖVP nach einer Obergrenze ablehnt, schärft nach. Wiens Bürgermeister Michael Häupl sagt in der Krone: „Wir können heuer nicht allein die gleiche Last schultern wie 2015.“ Und spricht sich für mehr Grenzkontrollen und Abschiebungen aus, wenn auch eine EU-Lösung noch immer Priorität hat bei den Roten.

Was steckt hinter der Debatte? Ist eine Reduktion der Flüchtlingszahlen realistisch? Warum hat die Regierung das nicht schon früher gemacht? Und wie kann das in der Praxis aussehen?

Die Flüchtlingszahlen steigen weiter. Was wird heuer erwartet?

Die Krisenherde werden nicht weniger. Der Krieg in Syrien etwa hat sich durch die Bombardements der Amerikaner, Russen, Franzosen und Briten noch verschärft und bringt neue Flüchtlinge hervor. Für 2016 erwartet Innenministerin Mikl-Leitner bis zu 120.000 Menschen, die um Asyl in Österreich ansuchen werden (2015: 90.000). Das ist neben wahltaktischen Überlegungen wohl der Hauptgrund dafür, dass die ÖVP jetzt eine Obergrenze für Flüchtlinge fordert.

Müssen wir eigentlich Flüchtlinge aufnehmen?

Faktencheck: Grenzen dicht – geht das?
ABD0165_20151022 - SPIELFELD - ÖSTERREICH: Flüchtlinge vor dem Sammelzentrum an der Slowenisch-Österreichischen Grenze im Gebiet von Spielfeld am Donnerstag, 22. Oktober 2015. - FOTO: APA/ERWIN SCHERIAU
Ja. Österreich ist 1954 der Genfer UN-Flüchtlingskonvention beigetreten. Darin wird geregelt, wer ein Flüchtling ist, welchen Schutz, welche Hilfe und Rechte er erhalten soll. Das Asylrecht ist auch Teil der EU-Grundrechte-Charta. „Diese Regelung bindet nicht nur die Mitgliedsstaaten der EU sondern auch die EU selbst, die dafür sorgen muss, dass die Regelung eingehalten wird“, sagt Verfassungsjurist Heinz Mayer.

Könnten wir diese Gesetze auch aufheben?

„Sehr schwer, aber nicht unmöglich“, meint der Fremdenrechts-Anwalt Georg Bürstmayr. „Das hieße, dass man sich vom EU-Recht verabschiedet. Ein Austritt aus der Europäischen Menschenrechtskonvention wäre wohl nur durch einen EU-Austritt möglich, weil die EU-Grundrechte-Charta Kernbestand des EU-Rechts ist.“ Abgesehen davon, erklärt der Anwalt, dass das „außenpolitisch eine Blamage erster Güte wäre“. Experte Mayer sagt zudem: „Es wird dann zulässig, Österreichs Grenzen dichtzumachen, wenn wir andernfalls unsere Existenz als souveräner, handlungsfähiger Staat riskieren, weil wir von Millionen Flüchtlingen überschwemmt werden.“

Können wir Obergrenzen einführen, die festlegen, wie viele Flüchtlinge maximal aufgenommen werden?

Die heutigen Regelungen sehen nicht vor, dass Staaten Limits oder „Höchstgrenzen“ einführen. Einseitig von Österreich können diese internationalen Verträge auch nicht geändert werden. Das politische Ziel einer Höchstgrenze kann sehr wohl definiert werden, was aber keinen Flüchtling daran hindern darf, dennoch in Österreich um Asyl anzusuchen. Diakonie-Chef Michael Chalupka urteilte, der Vorschlag von Obergrenzen sei „fernab einer Verwirklichungsmöglichkeit und weder rechtlich möglich noch sinnvoll“.

Auch die SPÖ will Wirtschaftsflüchtlinge abschieben bzw. gar nicht ins Land lassen. Ist das denkbar?

Wirtschaftsflüchtlinge schon an der Grenze zu Österreich stoppen, will Kanzler Faymann. Laut Innenministerium könne man nur in einem ordentlichen Asylverfahren feststellen, ob jemand asylberechtigt oder ein Wirtschaftsflüchtling ist.

Neuer Vorschlag: Flüchtlinge sollen dafür an der Grenze in „Wartezonen“ bleiben.

Wird ein Flüchtling aufgegriffen, der um Asyl bittet, darf diesem das Recht auf ein Asylverfahren nicht verwehrt werden. Wartezonen in einer Art exterritorialem Gebiet, in dem gar nicht um Asyl angesucht werden kann, gibt es bisher nicht. In der ÖVP wird an einer juristisch haltbaren Variante gearbeitet. Asylanträge einfach nicht zu behandeln, wie das ebenfalls vorgeschlagen wurde, ist nach derzeitigem Stand rechtswidrig.

Aber Ungarn hat doch die Grenzen dichtgemacht und ist trotzdem nicht sanktioniert worden.

Ungarns Rechts-Regierung unter Viktor Orbán hat sein Land damit zwar politisch isoliert, aber vorerst erfolgreich von den Flüchtlingen abgeschottet. Die Folge war, dass die Flüchtlinge auf ihrem Weg Richtung Deutschland über die Balkanroute – Serbien, Kroatien, Slowenien – nach Österreich ausgewichen sind. Tatsächlich gab es aus Brüssel und von einigen EU-Staaten verbale Schelte für Orbán, aber weder eine offizielle Ermahnung, noch irgendeine Form von Vertragsverletzungsverfahren der EU. Auch das illustriert die Schwäche der EU.

Am Mittwoch gibt es einen zweiten Bund-Länder-Asylgipfel. Was ist von ihm zu erwarten?

Faktencheck: Grenzen dicht – geht das?
ABD0049_20151208 - SPIELFELD - ÖSTERREICH: Am Dienstag, 08. Dezember 2015, wurden die Bauarbeiten für den G7 Grenzzaun an der Slowenisch-Österreichischen Grenze nahe Spielfeld fortgesetzt. - FOTO: APA/ERWIN SCHERIAU
Wenig. Die ÖVP beharrt auf einer Obergrenze, die SPÖ will sich auf keine Zahl festlegen. Auch Flüchtlingskoordinator Christian Konrad ist gegen Obergrenzen. Vorarlbergs VP-Landeshauptmann Markus Wallner droht dem Bund, das österreichweite Asylabkommen aufzukündigen, sollten keine Limits kommen.

Wo steht die EU-Debatte zur Flüchtlingsfrage?

Der Plan eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist bisher grandios gescheitert. Auch eine Aufteilung der Flüchtlinge auf die 28 Mitgliedsstaaten nach Quoten ist gescheitert, vor allem (aber nicht nur) aufgrund des Widerstands der osteuropäischen EU-Staaten.

Immerhin gibt es seit November ein EU-Türkei-Abkommen: Die Türkei versorgt die Flüchtlinge aus dem Nachbarland Syrien, damit diese eine Perspektive haben und nicht nach Europa müssen, sie sichert die Grenzen am Mittelmeer, bekämpft die Schlepper – und erhält dafür bis Ende 2017 rund drei Milliarden Euro von der EU. Die Umsetzung beginnt aber jetzt erst.

Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel sagte doch im Vorjahr: „Wir schaffen das“. Was hat sich geändert?

Grundsätzlich wäre es für die EU-Staaten mit fast 510 Millionen Einwohner wohl kein Problem, mehr Flüchtlinge (fünf Millionen entsprechen einem Prozent der Gesamtbevölkerung) aufzunehmen. Aber nach den Ereignissen in Köln ist die Stimmung gekippt. Die Absage an die Willkommenskultur ist vielerorts die Antwort.

Warum ist es so schwierig, Menschen ohne Asylgrund wieder abzuschieben?

In erster Linie fehlen Abkommen mit den Zielstaaten in Afrika oder Asien, ihre Bürger zurück zu nehmen, wenn sie nicht bleiben dürfen.

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