Facebook wird zum Hetzbuch

Shitstorm im Internet
Die vermeintliche Anonymität im Netz führt zu einer Verrohung der Sitten. Mehr Zivilcourage und das Strafrechts könnten Abhilfe schaffen.

Wahnsinnstat in Graz! Der Täter ist aus Bosnien. Ein religiös begründetes Attentat wird nicht ausgeschlossen!" Diese drei Sätze, die FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache am 20. Juni 2015 anlässlich der Amokfahrt in Graz schrieb, sind verschwunden. Bearbeitet auf seiner Facebook-Seite. Andere Postings sind es nicht. Sind weiterhin nachlesbar.

Poster angezeigt

Sätzeweise bekannten und bekennen die Internetnutzer im Minutentakt Farbe. Über 234.000 "gefällt mir"-Angaben weist HC Straches Facebook-Account auf. Dass die FPÖ selbst nicht alles goutiert und tolerieren kann, was auf Straches wie auch auf anderen FP-Facebook-Seiten geschrieben steht, ist evident. "Rund zehn Personen haben wir wegen strafrechtlich relevanter Postings vergangene Woche zur Anzeige gebracht", sagt FP-Sprecher Karl Heinz Grünsteidl auf KURIER-Nachfrage. "Bei so vielen Postings und Followern ist die permanente Kontrolle schwierig."

Widerrechtliche Äußerungen

Facebook wird zum Hetzbuch
Das soziale Netzwerk Facebook ist sich der Problematik von widerrechtlichen Äußerungen weltweit bewusst. Dem KURIER gegenüber verweist das Unternehmen auf die Möglichkeit, auf "Melden" zu klicken. "Facebook arbeitet kontinuierlich daran, die technischen Systeme und Techniken zu optimieren, um proaktiv Missbrauch auf der Plattform zu identifizieren und dagegen passende Maßnahmen zu ergreifen." Darauf wollen sich einige österreichische Internetuser nicht verlassen. Sie haben es sich – aus freien Stücken und gleichsam ehrenamtlich – zur Aufgabe gemacht, Einträge zu kontrollieren. Initiativen wie eaudestrache.at oder heimatohnehass.at beschäftigen sich fast ausschließlich mit sogenannten Hasspostings von eigenen wie fremden Einträgen auf FP-Seiten. Indem sie diese öffentlich machen, setzen sie sich selbst dem Argwohn der Poster aus. Der eaudestrache-Initiator, dessen persönliche Daten publik gemacht wurden, hat nach nur wenigen Wochen seine Seite vom Netz genommen. Zu groß wurde der Druck, den einzelne auf ihn ausübten.

"Wir beschützen die FPÖ"

Uwe Sailer gibt "noch nicht auf, obwohl ich selbst große Anfeindungen erfahre habe, gegen mich agitiert wird." Sailer ist offizieller Mitinitiator und Inhaber der Homepage "Heimat ohne Hass". Auf der Startseite heimatohnehass.at steht in kursiven Lettern: "Wir beschützen die staatstragende Partei FPÖ vor dem rechten Rand." Hinter der Seite stehe eine "lose Vereinigung von Menschen, die Zivilcourage haben" und sich das Ziel gesetzt haben, "dass man in Österreich frei und ohne Angst leben kann, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Religion oder der ethnischen Zugehörigkeit," sagt Sailer.

Er ist mit seinen österreichweit rund 80 Mitstreitern auf Interessierte wie Couragierte angewiesen, die Einträge lesen, einschlägige Postings finden, dokumentieren, archivieren und die so zur Anzeige gebracht werden können.

Von hundert Anzeigen würde ein Großteil zu Verurteilungen führen, sagt Sailer. Dennoch eine Sisyphos-Arbeit. Die relevanten Postings werden mehr. Nicht weniger. In Anbetracht der schieren Masse an veröffentlichten Meinungen auf Facebook ist die Zahl der Verurteilungen verschwindend gering.

Acht Verurteilungen 2013

In Österreich gab es 2013 acht Verurteilungen wegen Verhetzung; im Vorjahr waren es 30 (siehe Artikelende). Claudia Schäfer vom Verein ZARA (Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit) weiß, dass rassistische Diskriminierungen und Verhetzungen vor allem im Internet und insbesondere auf Facebook international wie national drastisch zunehmen. Für Schäfer ist der rechtliche Spielraum in Österreich zu groß, die Zusammenarbeit von Behörden, Vereinen und Einzelpersonen verbesserungswürdig. "Eine zentrale Meldestelle, eine bessere Zusammenarbeit aller Ministerien – von Außen-, Innen- bis Justiz – auch mit Initiativen sowie mehr Transparenz, welche Anzeigen beispielsweise zu Verurteilungen führten, ist wünschenswert und notwendig."

"Gesellschaft als Ganzes ist bedroht"

Die Medienanwältin Maria Windhager sieht das ähnlich: "Ja, man müsste die aggressiven Kommentare viel ernster nehmen, öfter etwas dagegen tun und zur Anzeige bringen. Diese Phänomene muss man beobachten, weil die Gesellschaft als Ganzes dadurch bedroht ist, und dazu gehört auch, dass Tatbestände konsequenter verfolgt werden."

Verhetzungs-Paragraf nachschärfen

Die Juristin erinnert daran, dass zahlreiche strafrechtliche Tatbestände wie üble Nachrede, Beleidigung, Verhetzung, Verbotsgesetz, zur Verfügung stehen, weil sie eins zu eins im Internet angewendet werden können – und müssen. Gesetzliche Nachschärfungen etwa bei der Verhetzung wäre aber wünschenswert. "Für mich ist das eigentliche Problem aber, dass diese Hass-Terminologie im offiziellen Diskurs übernommen wird, etwa im Parlament, und damit gesellschaftsfähig wird. Das ist das eigentlich Besorgnis erregende daran. Da versagt eine ganze Gesellschaft, weil zu wenig Widerstand geboten wird." Die Politik und die Zivilgesellschaft seien gefordert, hier viel klarer Grenzen zu setzen und Stellung zu beziehen, "das passiert meines Erachtens zu wenig."

Warum die Dämme brechen

Doch warum sind Meldestelle und Initiativen überhaupt notwendig geworden? Warum lassen Menschen im Internet ihren Aggressionen, Ängsten und radikalen Weltanschauungen derart unverfroren wie unverhohlen freien Lauf? Oder täuscht der Eindruck, dass die Wut größer, die Zivilcourage weniger wird, die Sprache verroht und alle Dämme brechen?

Medienpsychologie

"Der Eindruck täuscht nicht. Das ist ein Phänomen, das durch die digitalen Kommunikationskanäle entstanden ist. Zuerst nur im privaten Bereich, dann auf diversen Foren im Internet. Die Menschen wirken teils völlig enthemmt, und man stellt sich die Frage, ob das alles in ihnen auch tatsächlich so schlummert", sagt Professor Bernad Batinic von der Abteilung für Arbeits-, Organisations- und Medienpsychologie der Kepler Uni Linz.

Eine Erklärung sei der Schutz der vermeintlichen Anonymität. "Ich glaube, die allerwenigsten Menschen würden das, was sie alleine vor dem PC quasi anonym von sich geben, sagen, wenn sie vor anderen Menschen stehen."

Das Gegenüber fehlt

Die Medienpsychologie erkläre das mit dem "Fehlen der Rückkoppelung", weil man sein Gegenüber meistens überhaupt nicht kennt. Andere wiederum würden einfach einmal ausprobieren wollen, was passiert, wenn man noch extremer oder aggressiver als die anderen kommentiert. "Da geht es innerhalb einer Gruppe auch um den Führungsanspruch, den der Radikalste für sich beansprucht. Batinic gibt aber zu, dass unter jenen, die das Radikale ausprobieren, auch Menschen sind, in denen das schon lange schlummert. "Wenn jemand dann auch noch betrunken vor dem Internet sitzt, schreibt er Sätze, die er nüchtern nie äußern würde."

Wenn dann auch noch die Politik vor Augen führe, dass die Flüchtlinge ein schier unlösbares Problem darstellen, dann wirke das als zusätzlicher Auslöser, als Trigger.

Radikalisierung

Beispiele, wie sich Menschen radikalisieren lassen, gebe es viele, von der NS-Zeit bis zum Hutu-Tutsi-Konflikt in Ruanda. "Wissenschaftlich beschreibt man diese als In- und die Outgroup. Wir wissen, dass man eine Gruppe am besten zusammen hält, indem man einen äußeren Feind aufbaut. Und je monströser ich diesen Feind zeichne, desto stärkere Ressentiments kann ich schüren."

Deshalb appelliert der Medienpsychologe: "Beim Thema Asyl sehe ich die Politik gefordert, diese Gruppen, die sich da bilden, durch den persönlichen Kontakt rasch aufzubrechen und aufzuhören, das überhaupt zu einem Problem zu machen."

Zwischen Meinungsfreiheit und strafbaren Postings

Die Meinungsfreiheit ist in Österreich ebenso klar definiert wie deren Grenzen

Staatsgrundgesetz Art. 13: Jedermann hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck oder durch bildliche Darstellung seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern.

Ehrenbeleidigung (vgl. § 115 StGB): Verspottung einer Person vor mindestens zwei weiteren Personen.

Üble Nachrede ( vgl. § 111 StGB): Unterstellung von unwahren verächtlichen Eigenschaften oder unehrenhaften Handlungen.

Verhetzung ( vgl § 283 StGB): (1) Wer öffentlich auf eine Weise, die geeignet ist, die öffentliche Ordnung zu gefährden/wer für eine breite Öffentlichkeit wahrnehmbar zu Gewalt gegen Kirche/ Religionsgesellschaft oder andere nach Kriterien der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion oder Weltanschauung, Staatsangehörigkeit, Abstammung oder nationalen/ ethnischen Herkunft, des Geschlechts, einer Behinderung, des Alters oder sexuellen Ausrichtung definierte Gruppe von Personen oder gegen ein Mitglied einer Gruppe ausdrücklich wegen dessen Zugehörigkeit zu dieser Gruppe auffordert oder aufreizt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen. (2) Ebenso ist zu bestrafen, wer für eine breite Öffentlichkeit wahrnehmbar gegen eine in Abs. 1 bezeichnete Gruppe hetzt/sie in einer die Menschenwürde verletzenden Weise beschimpft und dadurch verächtlich zu machen sucht.

Auswahl an Meldestellen : www.onlinesicherheit.gv.at / www.stopline.at / www.zara.or.at / www.heimatohnehass.at / www.doew.at

Kommentare