Erhard Busek: "Unser Land braucht mehr Courage"

Erhard Busek, von 1991 bis 1995 ÖVP-Chef
Der 75-Jährige spricht von notwendigen Veränderungen in Politik, Medien und bei den Sozialpartnern.

Der frühere Vizekanzler und ÖVP-Chef Erhard Busek (75) sitzt – zwischen zwei Reisen – in seinem Büro. Gerade war er in Australien, Neuseeland und den Fidschi-Inseln, wo er als "Jean-Monnet-Vortragender" über Europa sprach.

KURIER: Herr Dr. Busek, es sieht so aus, dass viele Institutionen, die zum Erfolg der Zweiten Republik beigetragen haben, von den Parteien bis zur Sozialpartnerschaft, zerbröseln.

Erhard Busek: Das ist ganz sicher so und das ist auch ein notwendiger Prozess. Es gibt andere Rahmenbedingungen, aber diese Institutionen können die richtigen Antworten nicht mehr finden.

Richtung dritter Republik?

Nein, hier muss man historisch stringent sein. Erste und Zweite Republik waren Ergebnis totaler Umbrüche. Es waren zwei Weltkriege und nach dem ersten eine komplette Veränderung der Landkarte. Jetzt ändern sich die Rahmenbedingungen, wir erleben Globalisierung, Digitalisierung. Die EU war eine ganz wichtige Entwicklung, aber wir bräuchten mehr Europa, um handlungsfähig zu sein.

Der EU Beitritt 1995 war das letzte große Projekt einer Regierung

Völlig richtig, da hatten wir auch eine Perspektive. Wir hatten das Gefühl, dass wir den richtigen Weg gehen.

Sie sprechen in Ihrem Buch von der "Ermüdung des traditionellen österreichischen Systems Große Koalition". Was folgt?

Schon die Analyse muss radikal sein. Wir haben eine Krise der Demokratie. Die Artikulation der Bürger hat sich durch das Internet verändert, aber oft geht es nur darum, Aggressionen loszuwerden und nicht Lösungen zu suchen. Wir brauchen dringend eine Veränderung der demokratischen Strukturen, beginnend beim Wahlrecht.

Bei einem Persönlichkeitswahlrecht könnte wie in den USA Geld eine größere Rolle spielen.

Geld ist schon heute wichtig, die Parteienfinanzierung ist gigantisch. An Frau Griss hat man gesehen, dass man mit wenig Geld auch fast 20 Prozent erreichen kann.

Ist es nicht traurig, wenn Frau Griss von Bürgern erzählt hat, die sie gerne unterstützt hätten, aber Angst hatten, das öffentlich zu machen. Ist das noch eine Demokratie?

Diesen Zustand gibt es schon lange. Diese Aussage habe ich in der von der SPÖ dominierten Wiener Politik oft gehört und ich kann mir vorstellen, dass es in Niederösterreich genauso ist.

Was können wir dagegen tun?

Mehr Courage und mehr öffentliche Ermunterung. Ich finde neue Parteigründungen sehr gut, wobei die Parteien in der Lage sein müssen, miteinander zu arbeiten, was nicht einmal den alten gelingt. Es gab einen großen Aufbruch mit dem neuen Bundeskanzler Kern und dem Gelöbnis von Mitterlehner. Und was kommt heraus: Der alte Zirkus.

Sie haben ja selbst durch Ihre Unterstützung der Neos Ärger in Ihrer ÖVP hervorgerufen.

Das muss ich korrigieren. Ich habe nicht die Neos, sondern Matthias Strolz unterstützt. Ich konnte ihn für die Politik gewinnen, bin für ihn in der ÖVP hausieren gegangen, ohne Erfolg, und habe bewundert, dass er eine eigene Partei gründet. Das ist demokratisches Verhalten, matschkern allein ist es nicht.

Woher kommt die tiefe Ablehnung zwischen Rot und Schwarz?

Offensichtlich aus dem Entsetzen darüber, gemeinsam keine Lösungen zusammenzubringen. Das ist aber ein Selbsthass. Ich halte auch das Gerede von der gespaltenen Gesellschaft für blühenden Unsinn.

Wir Österreicher sind nicht bekannt für erfolgreiche Revolutionen oder das unbedingte Streben nach Freiheit. Warum?

Das ist eine historische Tradition. So sind wir aufgewachsen und für das Weiterkommen war das Adaptieren auch nicht von Nachteil. Als Wiener ÖVP-Obmann habe ich bei den Mitgliedern fragen lassen: "Welcher Partei gehören Sie an?" Nur 80 Prozent haben angegeben, dass Sie bei der ÖVP sind, weitere 30 Prozent, dass Sie auch bei der SPÖ sind. Die Leute arrangieren sich und lehnen gleichzeitig das System ab, in dem sie es inhalieren.

Würden die Österreicher einen Diktator akzeptieren, wenn er Ordnung und Wohlstand schafft?

Das wird stärker, hier gibt es eine Bewunderung für Putinismus und auch für Viktor Orban. Weil man sich die eigene Meinung erspart.

Auch die ÖVP hat doch nicht freiheitsliebende Menschen gefördert, sondern in Ihrem Verhalten sich lieber auf Staat und Verbände verlassen.

Völlig richtig, da ist die ÖVP auch Kind der Ersten Republik und es gab starke Bindungen an die Kirche. Man sollte die starke Verankerung der Parteien in der Verfassung dringend reduzieren und auch die Kammern und Verbände sollten keinen Verfassungsrang mehr besitzen.

Das heißt, Pflichtmitgliedschaft abschaffen?

Auf Sicht ja. Es sollte den freien Wettbewerb für Verbände geben. Das ist auch ein wirtschaftlicher Faktor, ein großer Konzern hat mir vorgerechnet, dass die geplante Aufstockung um 3000 Arbeitsplätze sehr viel Geld für Wirtschafts- und Arbeiterkammer bedeuten würde. Generell brauchen wir eine Standortdebatte, wo ich auf Bundeskanzler Kern hoffe, obwohl er mit seiner ÖBB ja auch aus dem geschützten Bereich kommt. Wichtige Beiträge kommen von dem Thinktank "Agenda Austria."

Kern hat sich mit der Maschinensteuer schon unbeliebt gemacht, aber wie kann man den Faktor Arbeit entlasten?

Es ist eine wichtige Diskussion, der Kanzler hat aber zwei Fehler gemacht. Offensichtlich eine Devotionserklärung an einen Flügel der SPÖ und es fehlt: Wo wird entlastet.

Sie haben die Kirche schon kurz erwähnt, deren Bedeutung ja auch schon größer war.

Die Kirche hat große Chancen, wenn sie die Änderungen begreift. Es gibt eine Sehnsucht nach einer grundsätzlichen Orientierung, hier muss es Antworten geben, diese ist die Kirche schuldig geblieben. Die Signalwirkung von Papst Franziskus ist beträchtlich, aber wo ist diese Stimme in Österreich?

Wir bräuchten einen österreichischen Bischof Franziskus?

Wir brauchen Signalfiguren ...

... eine Kritik an Kardinal Schönborn?

Nein, entgegen meiner früheren Haltung sage ich, man soll nicht immer die Bischöfe verantwortlich machen. Ich wäre schon froh, wenn wir ein paar gute Theologen hätten.

Als Vizekanzler haben Sie mir einmal fast höhnisch lächelnd erzählt, wie viele ORF-Journalisten zu Ihnen kommen, weil sie was werden wollen. Haben Sie diese Leute verachtet?

Ich habe sie richtig eingeschätzt, Karrierebewusstsein gibt es nicht nur bei Journalisten. Aber es ist halt besonders peinlich bei einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung, die ja auch eine Bildungsinstitution sein sollte, die sie nicht ist.

Erfüllen österreichische Medien noch die Aufgabe des Public Watchdog?

Nein, es gibt eine Eigentumsakkumulation plus der Abhängigmachung durch die öffentliche Finanzierung.

Wobei viele Medien es schwer haben werden, zu überleben in der Google-Facebook-Twitter-Digital-Welt.

Ja, hier kommen große Veränderungen durch die Technologie. Ich sage es ganz hart, auch in der Wirtschaft muss sich ein Unternehmen darauf einstellen, wie es überlebt. Wenn die Geschäftsgrundlage wegfällt, wird es schwierig.

Brauchen wir dann noch einen öffentlich-rechtlichen ORF?

Meines Erachtens nein, weil sich die Landschaft längst verändert hat. Und angesichts der hundert Kanäle, die ich empfangen kann, reduziert sich für mich die Bedeutung des ORF.

Was waren für Sie die großen Erfolgsstränge der 2. Republik?

Dass nach 1945 anders weitergetan wurde, als es vor 1934 der Fall war. Das ist ein großes Verdienst der Großen Koalition, die Sozialpartnerschaft ist ein Ausfluss dessen, aber die Zeit ist halt heute eine andere. Und der Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft war wichtig, wobei wir aufhören sollten, unsere Nachbarn zu belehren, auch in der Flüchtlingsfrage, niemand lässt sich gern belehren.

Apropos Flüchtlinge, es kommen ja nicht nur Fremde, sondern sie bringen eine Religion, die in ihren Ländern die Aufklärung nicht mitgemacht hat.

Hier spielt die Bildungsfrage eine bedeutende Rolle und Deutschlernen, weil sonst kann man sich nicht verständigen. Hier brauchen wir aber auch die andere Religionen, dass sie auch etwas für die Verständigung mit dem Islam tun. Wir dürfen den Islam nicht in die Radikalismus-Rolle drängen.

Was war für Sie das Beeindruckendste in der Zweiten Republik?

Die Gesprächsfähigkeit unter uns Österreichern. Wobei die Wirtschaft wichtig war, weil sie meistens der Politik voraus war. Und wichtig ist auch die Kultur, weil Kultur ist Verständigung. Das ist mehr als Staatsoper und Burgtheater, ich meine die Volkskultur. Ich denke an ein Treffen von Bürgergarden, das ich kürzlich in Murau in der Steiermark erlebt habe, ein kleines aber sehr europäisches Fest. Aber ich denke auch an das Gustav Mahler Orchester mit Jugendlichen aus 30 Nationen.

Zweite Republik, war’s das?

Nein, wir werden sie fortsetzen, die dritte Republik kommt nur, wenn wir einen ganz herben Einschnitt haben. Aber aus der Geschichte nehmen wir mit, dass wir dafür einen großen Preis zu zahlen hätten.

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