Die Spitzenkandidaten für die EU-Wahl

Die Spitzenkandidaten für die EU-Wahl
Der Kandidat der gewinnenden Fraktion soll künftig auch die Kommission und damit die EU anführen - ein Novum in der EU-Geschichte.

Zum ersten Mal in der Geschichte des Europaparlamentes schicken die Fraktionen europaweite Spitzenkandidaten für die EU-Wahl ins Rennen. Bei den größten Parteifamilien ist das besonders spannend, schließlich liefern sich Konservative und Sozialdemokraten den jüngsten Umfragen zufolge ein Kopf-an-Kopf-Rennen um Platz eins.

Das Ergebnis der Europawahlen ist außerdem doppelt relevant: Nicht nur bestimmt das Wahlergebnis die Fraktionsstärke im EU-Parlament, sondern auch den nächsten EU-Kommissionschef. Noch sitzt José Manuel Barroso von den Konservativen im Chefsessel. Aber nach den Wahlen im Mai, bei denen die 751 EU-Abgeordneten bestellt werden, wird auch das Amt des Kommissionschefs neu besetzt. Bisher wurde der Präsident der Kommission vom Rat der Staats- und Regierungschefs gewählt. Jetzt dürfen sie nur noch jemanden vorschlagen – über den das Parlament dann abstimmt.

Das Ergebnis der EU-Wahl ist dafür zwar nicht bindend, doch ist es bei der Bestellung des Nachfolgers Barrosos zu berücksichtigen. Man wird also nur schwer am Kandidaten der gewinnenden Parteifamilie vorbeikommen. Wer sind also die europaweiten Spitzenkandidaten? Und wie sehen die österreichischen Kandidaten ihrer Parteienfamilie aus?

Die Europäische Volkspartei (EVP) ist ein Zusammenschluss christdemokratischer und konservativer Parteien aus insgesamt 39 Ländern. Sie wurde 1976 gegründet. Heute gehören der EVP 73 Parteien an, das österreichische Pendant ist die ÖVP. Gemeinsamer Spitzenkandidat ist Jean-Claude-Juncker, der als Mr. Euro bereits EU-Geschichte geschrieben hat. Der luxemburgische Ex-Premier hat sich beim Parteikongress am 7. März 2014 knapp gegen den französischen EU-Kommissar Michel Barnier durchgesetzt. Juncker ist neben Martin Schulz aussichtsreichster Kandidat für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten. Derzeit hat der Konservative José Manuel Barroso das Amt inne.

Im Europaparlament stellt die EVP derzeit die stärkste Fraktion. Sie wird vom Franzosen Joseph Daul geführt. Die britischen Konservativen gehören ihr nicht an, Premierminister David Cameron - damals noch Oppositionsführer - trat 2009 mit seinen Tories aus.

Der Spitzenkandidat der ÖVP für die EU-Wahl ist der Niederösterreicher Othmar Karas. Auf Platz zwei kandidiert die Kärntnerin Elisabeth Köstinger (Bauernbund), dahinter der Oberösterreicher Paul Rübig (Wirtschaftsbund). Auf dem vierten Listenplatz steht die Salzburgerin Claudia Schmidt (ÖAAB). Es folgen Seniorenbund-Kandidat Heinz Becker und Beatrix Karl auf den Plätzen fünf und sechs.

Mit dem ehemalige Delegationsleiter und Parlamentsvizepräsidenten Karas setzt die ÖVP auf einen Kandidaten mit EU-Erfahrung. Karas tritt für eine Stärkung des Miteinanders innerhalb der Union ein, er will weiteren Nationalisierungstendenzen den Kampf ansagen. Andererseits soll eine "Überreglementierung" vermieden werden. Die Europäische Union wird in einem 20-seitigen "Schwerpunktprogramm" als "historisch einzigartiges Friedensprojekt" beschrieben, die ÖVP als "Österreichs Europapartei".

Der deutsche SPD-Politiker Martin Schulz (geboren 1955) ist ein Mann offener Worte. Dank eines verbalen Aussetzers von Italiens Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi schaffte Schulz 2003 einen für einen EU-Politiker erstaunlichen Bekanntheitssprung: "Herr Schulz, ich weiß, dass es in Italien einen Produzenten gibt, der einen Film über Nazi-Konzentrationslager dreht." Und: "Ich werde Sie für die Rolle des Kapo empfehlen. Sie sind perfekt!"

Schulz hatte Berlusconis Doppelfunktion als Regierungschef und Medienunternehmer kritisiert. Von 2004 bis 2012 war er Vorsitzender der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (S&D). 2012 wurde er Präsident des Europäischen Parlaments. Werner Faymann hat positive Worte für seinen sozialdemokratischen Kollegen: "Schulz repräsentiert das soziale Europa."

Eugen Freund (geboren 1951) ist politischer Quereinsteiger. Erst im Jänner 2014 wurde bekannt, dass der Ex-Fernsehjournalist die Liste der SPÖ bei der EU-Wahl anführen wird. Der ehemalige ZiB-Moderator und langjähriger US-Korrespondent des ORF landete im Wahlkampf in mehreren Fettnäpfchen, unter anderem schätzte er in einem Interview das Durchschnittsgehalt von Arbeitern auf 3000 Euro brutto.

Derzeit verfügt die SPÖ über fünf Mandate im Europaparlament. Auf der Kandidatenliste stehen hinter Eugen Freund die Abgeordneten Evelyn Regner, Jörg Leichtfried, Karin Kadenbach und Josef Weidenholzer platziert. 2009 erreichte die SPÖ bei den Europawahlen 23,7%, Platz Zwei hinter der ÖVP (knapp 30%).

Die SPÖ ist Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Europas. Die SPE ist in der Fraktion der S&D, diese hat 194 Abgeordnete. Vorsitzender der Fraktion ist der Österreicher Hannes Swoboda.

Ein gemischtes Doppel führt die europaweite Kampagne der Grünen an: Nachwuchshoffnung Ska Keller und Globalisierungskritiker José Bové wurden per Online-Voting ausgewählt. Keller ist 1981 in Guben in der damaligen DDR geboren. Die Deutsche gilt als Vertreterin eines neuen Europas. Regelmäßig berichtet sie mit Video-Podcasts aus Brüssel. Der französische Landwirt José Bové machte vor allem in den 90ern Schlagzeilen, als er eine McDonald's Filiale zertrümmerte. Er hat den Spitznamen "Grüner Asterix" verliehen bekommen. Bové und Keller gelten beide als Parteilinke. Im Wahlkampf werden besonders die Bekämpfung des Klimawandels und der Arbeitslosigkeit sowie Menschenrechte und Demokratie propagiert.

Spitzenkandidatin der österreichischen Grünen ist die EU-Parlamentarierin Ulrike Lunacek. Sie kritisiert "müde Regierungschefs", Neoliberale, "Marktfetischisten" und schwärmt von einer solidarischen, demokratischen und ökologischen EU. Die Listenplätze zwei und drei nehmen Michel Reimon und Monika Vana ein. Nach Ansicht der österreichischen Grünen sind bei der Wahl erstmals drei EU-Mandate in Reichweite. Mindestens 13,5 Prozent Stimmanteil wären dafür notwendig. 2009 schafften die Grünen 9,9 Prozentpunkte und zwei Mandate. Insgesamt hat die Fraktion derzeit 58 Mitglieder.

In Österreich hat die "Linke" – abgesehen von der KPÖ – keine lange Tradition. Auf EU-Ebene ist das anders: Die Europäische Linke stellt immerhin 35 EU-Abgeordnete, die Möglichkeit, dass es nach dem Urnengang 2014 mehr werden könnten, besteht durchaus.

Österreich ist im Linksblock noch nicht vertreten – das könnte sich ändern, denn die KPÖ tritt bei der diesjährigen Wahl nicht alleine an. Sie hat gemeinsam mit dem ehemaligen Hans-Peter-Martin-Abgeordneten Martin Ehrenhauser, der Piratenpartei und der linken Kleinpartei Der Wandel eine Wahlplattform gegründet; Ehrenhauser selbst geht als Spitzenkandidat ins Rennen. Erfahrung hat er: Bis 2009 war er für Hans-Peter Martin als Büroleiter tätig, danach selbst fraktionsloser Abgeordneter.

Auf EU-Ebene schicken die vereinten Linken, die unter dem bürokratisch wirkenden Kürzel GUE/NGL antreten, jemanden ins Rennen, der das Parlament noch nicht so gut kennt, dafür aber europaweit bekannt ist. Alexis Tsipras, griechischer Oppositionschef und seit der Finanzkrise Gesicht der unzufriedenen Hellenen, geht als Kandidat für die Barroso-Nachfolge in die Wahl. Seine Kampagne setzt genau auf das, was ihn in Griechenland populär gemacht hat: Er will gegen "Armut und die Zerstörung sozialer Rechte" auftreten und plädiert für ein solidarisches Europa – wie auch eine neue Herangehensweise an die Schuldenkrise. Kein Austritt aus dem Euro-Raum, sondern eine Konferenz nach dem Modell jener, die 1953 einen Teil des Schuldenbergs Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg tilgte, sei nötig.

Auch die Liberalen sind im Europaparlament eine Parteienfamilie – als Föderation gibt es sie bereits seit 1976. Zur Partei wurde sie erst, seit 2012 besteht der Name Alliance of Liberals and Democrats for Europe.

Die ALDE umfasst 57 Parteien aus ganz Europa – aus Österreich sind die NEOS mit dabei, die Deutschen Liberalen werden durch die FDP vertreten. Im Parlament bildet die ALDE mit der Europäischen Demokratischen Partei eine Fraktion (ALDE-Fraktion).

Drei europäische Premierminister gehören den ALDE-Parteien an (Ansip in Estland, Rutte in den Niederlanden, Bettel aus Luxemburg), ebenso wie acht der 27 EU-Kommissare.

Zu den Zielen der ALDE gehört, die europäische Wirtschaft zu reformieren: Handel ohne Grenzen als Garant für Wohlstand – weniger Schulden und mehr Wettbewerb sind das Rezept. Die europäischen Liberalen stehen für ein Ja zur Erweiterung und fordern außerdem eine Verfassung. ALDE-Präsident ist der Brite Sir Graham Watson, Spitzenkandidat der belgische Ex-Premier Guy Verhofstadt. Als österreichische Spitzenkandidatin startete Angelika Mlinar ins Rennen. Sie stellte sich einer Online-Vorwahl. Zum Ziel haben sie sich zumindest einen Sitz im Europaparlament gesetzt, auch einen zweiten halten sie für realistisch.

Vor der Wahl fusionierten die NEOS mit dem Liberalen Forum. Rund eine Mio. Euro nennt die Partei als Budget, etwas mehr als die Hälfte solle aus Fund Raising finanziert werden. Das EU-Programm der NEOS umfasst "Neuneinhalb Punkte", darunter etwa ein Bekenntnis zur Bürgerbeteiligung und die "Vereinigten Staaten von Europa". Der letzte "halbe" Punkt ist ein Appell für einen "neuen Stil in Europa".

"So stark wie möglich" will FP-Chef Heinz-Christian Strache bei der EU-Wahl werden. Mit der "Doppelspitze" Andreas Mölzer und Harald Vilimsky wollte man für mehr Föderalismus und gegen einen zentralistischen "Superstaat" kämpfen. Mölzer, der seit 2004 Abgeordneter im Europäischen Parlament ist, hatte sich im Wahlkampf aber vor allem durch rassistische Äußerungen bemerkbar gemacht und wurde deshalb noch vor der heißen Phase abgesägt. Vilimsky tritt nun alleine an, bekommt aber auf den Plakaten Unterstützung vom Parteichef - der eigentlich nicht auf der EU-Wahlliste steht. Der EU-Newcomer arbeitet seit Jahren für Strache, erst in der Wiener Landesorganisation, seit 2006 als Generalsekretär der Bundespartei.

Derzeit ist die FPÖ im EU-Parlament fraktionslos. Wer alle Rechtspopulisten – trotz ihrer ideologischen Unterschiede – in einen Topf wirft, kommt auf 55 Parlamentarier. Ein Teil davon stellt eine eigene Fraktion unter der Führung der britischen UKIP. Andere, wie eben die Abgeordneten der FPÖ oder des Front National, sind fraktionslos – damit ohne nennenswerten Einfluss auf Entscheidungen im Parlament. Gemeinsam ist ihnen, dass sie die Union als undemokratisch ablehnen und den Nationalstaat als einzig legitimen Ort für politische Entscheidungen sehen. Aufgrund der Unterschiede war ein gemeinsamer Wahlkampf und Spitzenkandidat bisher kein Thema. Bis zu 27 Prozent der Stimmen könnten die Rechten laut einer Umfrage der Deutschen Bank erhalten.

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