Im Dunstkreis der blauen Blüte
Wir leben in einer Welt voller Symbole. Denkmäler erinnern an die Vergangenheit, Flaggen und Hymnen repräsentieren ein ganzes Land, Abzeichen und Embleme stehen exemplarisch für eine bestimme Gesinnung. Politiker schmücken sich bei besonderen Anlässen - zum Beispiel bei der Angelobung im Nationalrat - gerne mit Blumen. Die SPÖ trägt die rote Nelke, die ÖVP die weiße Rose und die FPÖ die blaue Kornblume, ein Gewächs aus der Gattung der Flockenblumen innerhalb der Familie der Korbblütler, das politisch seit Jahrzehnten sehr umstritten ist.
"Sie wird von uns getragen, weil sie blau ist und blau die Farbe der Partei ist", sagt Norbert Hofer, Bundespräsidentschaftskandidat der Freiheitlichen, kürzlich im KURIER-Gespräch. Sie sei die "Europablume", meint er. Für seinen Parteichef Heinz-Christian Strache ist sie gar das "Symbol für die bürgerliche Freiheitsbewegung 1848" (siehe Video unten).
"Woher sie das haben, weiß ich nicht", sagt ausgerechnet der FPÖ-nahe Lothar Höbelt, Historiker an der Universität Wien, mit der Freiheitsbewegung von 1848 habe die Kornblume als Symbol nichts zu tun. Während seiner intensiven Recherchen hätte er nichts gefunden, das auf diesen Zusammenhang schließen lässt - widerspricht also Strache. Auch für Zeithistoriker Oliver Rathkolb von der Uni Wien sind die Aussagen der FPÖ nicht haltbar. "Die Kornblume war ganz klar ein Symbol für die antisemitische Schönerer-Bewegung und diente in den Dreißiger Jahren den illegalen Nazis als Erkennungszeichen."
Die Kornblume als "preußisches Staatssymbol"
Der Kult um die Kornblume entsprang aber schon viel früher. In der Romantik (18. und 19. Jahrhundert) war sie wegen ihrer Blautöne ein beliebtes Motiv für Dichter und Maler. Nicht wenige Menschen trugen sie in ihren Haaren oder flochten Kränze. So auch die jung verstorbene Königin Luise von Preußen (1776-1810). Nach der Niederlage gegen Napoleon 1806 in Jena und Auerstedt war die Königsfamilie auf der Flucht nach Ostpreußen. Als ein Rad der Kutsche brach, soll Luise ihren Kindern Kränze aus Kornblumen geflochten haben. Ihr Sohn, der spätere Kaiser Wilhelm I., und Otto von Bismarck, erster deutscher Reichskanzler, erklärten das Gewächs daraufhin zu ihrer Lieblingsblume und zum "preußischen Staatssymbol".
In einem Brief vom 2. September 1895 hielt der deutsche Schriftsteller Theodor Fontane fest, dass Berlin zur goldenen Hochzeit des Kaiserpaars Wilhelm I. und Augusta 1879 aussah, "wie eine große Kornblume. Die Felder waren geplündert, alle Preußen zieren sich heute in Kornblumen rum, es gibt keine Blume, die das Preußische so gut ausdrückt wie diese hübsche Gottesschöpfung von etwas sterilem Charakter".
"Heil ihm, dreimal Heil!"
In der Habsburgermonarchie kommt die Blume als Symbol erst Ende des 19. Jahrhunderts richtig zur Geltung. Nach dem preußisch-österreichischen Krieg im Jahre 1866 und der Auflösung des Deutschen Bundes wurden österreichische Deutsche von den anderen Deutschen getrennt und dazu verurteilt, in der Monarchie ein Volk unter vielen zu sein, schreibt der britische Religionswissenschaftler Nicholas Goodrick-Clarke in seinem Buch "Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus" (1992). Damals gründeten sich die ersten kleindeutsch gesinnten Studentenverbindungen, die den Anschluss deutschsprachiger Gebiete an Preußen forderten - auch wenn es die Zerstörung der Donaumonarchie bedeutet hätte.
Unter den Mitgliedern war auch der in Wien geborene Georg von Schönerer, ein Gegner des habsburgisch-österreichischen Patriotismus und prononcierter Bismarck-Fanatiker. "Bekannt wurde Schönerer durch das Linzer Programm von 1882, das erste Manifest für den österreichischen Deutschnationalismus", sagt Historiker Rathkolb. "Damit wollte er den deutschen Charakter in der Donaumonarchie stärken, aber bereits drei Jahre später hat er das Programm um einen Arierparagraphen ergänzt. Die jüdische Bevölkerung sollte aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen werden."
1891 gründete der Politiker dann die deutschnationale "Alldeutsche Vereinigung" und schwang sich schnell zum Hauptvertreter des neuen Rassenantisemitismus auf. Das Parteisymbol war die Kornblume, ein Sinnbild für den Bismarck-Fanatismus Schönerers. "Alldeutschland ist und war mein Traum! Und ich schließe mit einem Heil dem Bismarck der Zukunft, dem Retter der Deutschen und dem Gestalter Alldeutschlands! Heil Bismarck dem 2., Heil ihm, dreimal Heil!", soll er bei seinem letzten großen Auftritt in den Sofiensälen 1913 gesagt haben.
Schönerer war Hitlers "geistiger Vater"
Obwohl es Schönerer nie geschafft hat, aus der "Alldeutsche Vereinigung" eine Massenbewegung zu machen, beeinflussten seine Ideen vor allem den jungen Hitler, der von 1908 bis 1913 in Wien weilte. "Als ich nach Wien kam, standen meine Sympathien voll und ganz auf der Seite der alldeutschen Richtung", schrieb der spätere Diktator 1924 in "Mein Kampf".
Früh sei er mit der Bewegung und dem Nationalitätenkampf in Österreich in Berührung gekommen. "Für Südmark und Schulverein wurde da gesammelt, durch Kornblumen und schwarzrotgoldne Farben die Gesinnung betont, mit 'Heil' begrüßt, und statt des Kaiserliedes lieber 'Deutschland über alles' gesungen, trotz Verwarnung und Strafen [...] In kurzer Zeit war ich zum fanatischen 'Deutschnationalen' geworden."
Schönerer legte den Grundstein für Hitlers Denken, er war sein "geistiger Vater", schrieb Hannah Arendt 1955 in ihrem Werk "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft".
Nachdem die Hitler-NSDAP und alle Parteiembleme zwischen 1933 bis 1938 auf Befehl des damaligen österreichischen Kanzlers Engelbert Dollfuß verboten wurden, diente das blaue Gewächs den illegalen Nationalsozialisten als Erkennungszeichen. "Es war eine Art in-group-Signal, man wusste wem man vertrauen konnte", sagt Rathkolb und ergänzt, dass die Symbolik der Kornblume durchaus in der Kontinuität Schönerers gesehen werden kann: "großdeutsch, antisemitisch, antiklerikal und antiliberal."
Innenminister lässt VdU-Landesverband auflösen
Auch nach dem Faschismus behielt die Pflanzenart ihre deutschnationale Bedeutung. In der Nationalratssitzung vom 12. Juli 1950 kam es zwischen Oskar Helmer, damaliger SPÖ-Innenminister, und Karl Hartleb, Klubobmann der VdU (Verband der Unabhängigen) – Vorgängerpartei der heutigen FPÖ - und ehemaliger NSDAP-Ortsgruppenleiter, zu einem Wortgefecht. Anlass war die Zwangsauflösung des VdU-Landesverbands Steiermark, weil Parteimitglieder bei der Grazer Sonnwendfeier vom 21. Juni 1950 mit Nazi-Outfit aufmarschiert waren, "nationale Kampflieder" gesungen und Kornblumen, "die gleichfalls herkömmlicherweise als nationales Symbol zu betrachten sind", verteilt hatten.
Hartleb mokierte sich über die Darstellung und versuchte zu beschwichtigen: "Also diese Dinge sind schon furchtbar gefährlich: einen Ledergurt zu tragen, der einem militärischen Überschwung ähnlich schaut!" Außerdem seien die gesungenen Lieder alle aus dem "Liederbuch der katholischen Jugend entnommen worden".
Mit der Auflösung des Landesverbands habe er nur seine Pflicht erfüllt, widersprach Helmer, der Faschismus habe auch mit Symbolen begonnen. Die "NS-Schreier innerhalb der Unabhängigen" müsse man in die Schranken weisen und "wenn die Herren darüber aufschreien, so zeigt das nur, daß sie sich betroffen fühlen".
Helmer hielt an seiner Verfügung fest, der steirische VdU-Landesverband war Geschichte.
Sich vom Nationalsozialismus distanzieren
45 Jahre später kommt es zwischen dem ORF und der FPÖ zum nächsten Kornblumen-Eklat. Beim Wahlkonvent der Freiheitlichen in Oberösterreich 1995 wurden die Delegierten mit Kornblumen aus Plastik beschenkt. In der Berichterstattung bezeichnete der ORF die Blume als Symbol der illegalen Nationalsozialisten; die FPÖ dementierte und reichte eine Beschwerde gegen den Sender ein. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) bestätigte aber, dass die Kornblume ein Ersatzzeichen für verbotene Symbole der NSDAP war, und wies die Beschwerde ab.
Für die Blauen spielen aber weder der VfGH-Entscheid noch historisch belegte Fakten eine besonders große Rolle. "Die Blume kann nichts dafür, dass sie von Nazis getragen wurde" oder "Wir lassen uns nicht ins Nazi-Eck rücken", heißt es schablonenhaft, wenn Freiheitliche auf das deutschnationale Symbol angesprochen werden.
Historiker Rathkolb stört diese Bagatellisierung. "Wenn jemand sagt, es handle sich um eine Europablume oder um ein Symbol der Freiheitsbewegung von 1848, dann will er entweder provozieren oder er hat eine eklatante historische Unkenntnis." Wer sich die Kornblume ansteckt, sollte sich zumindest auch der deutschnationalen Tradition bewusst sein, sagt er.
Hofburg-Kandidat Norbert Hofer sieht es anders. Wenn man sich klar vom Gedankengut des Nationalsozialismus distanziert, kann man die "Kornblume mit gutem Gewissen tragen". Interessanterweise wird er aber, sofern Hofer die Hofburg-Wahl gewinnt, bei der Angelobung auf die Kornblume verzichten. "Da trägt man nichts mehr, da ist man kein Blauer mehr, sondern ein Überparteilicher", erklärte Hofer, der zugleich Ehrenmitglied einer Burschenschaft ist, die laut DÖW und eigener Festschrift "die geschichtswidrige Fiktion einer 'österreichischen Nation', die "[s]eit 1945 [...] in den Gehirnen der Österreicher festgepflanzt" worden ist, ablehnt.
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