Die Identitären: Woher sie kommen und was sie wollen
Die Identitären demonstrieren wieder. Im sechsten Wiener Gemeindebezirk wollen sie diesmal "auf die unfassbaren Vorgänge der letzten Wochen" gegen den Terror mobil machen. Ein berechtigtes Anliegen, das wohl viele Österreich teilen - doch hinter der Kritik steckt eine einfache Kalkulation. Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands klärt im Gespräch mit KURIER.at über Hintergründe und Ziele der "Identitären Bewegung" auf.
- Wer sind die Identitären?
„In den Reihen der Identitären befinden sich zahlreiche amtsbekannte Neonazis, der Führungskader kommt fast ausschließlich aus dem organisierten Neonazismus“, sagt Andreas Peham.
Das zeige sich auch schon in der Entstehungsgeschichte der Identitären, die in Frankreich zunächst als „Jeunesses identitaires“ als Reaktion auf die behördliche Verfolgung der "Unite radicale" gegründet wurde. Die neofaschistische Gruppe war verboten worden, nachdem im Jahr 2002 Mitglieder ein Attentat auf den damaligen französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac verüben wollten. So ähnlich war es auch bei "alpen.donau.info". Als die Behörden ab März 2011 der neonazistischen Seite – deren Betreiber Gottfried Küssel im Jahr 2013 schließlich zu einer mehrjährigen Haftstrafe wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung verurteilt wurde – zu Leibe rückten, organisierte sich ein Teil zunächst über die Webseite "derfunke", und ab 2012 über die Identitäre Bewegung neu.
Darüber hinaus weist Peham darauf hin, dass alle Identitären auch Mitglieder in Burschenschaften sind. Es sei nicht auszuschließen, dass diese auch über die Identitären Nachwuchs anwerben wollen.
- Wieiviele sind sie?
Peham schätzt die Zahl der zum engeren Kader gehörenden Personen auf 30 bis 40 – ausländische Anhänger der Bewegung abgerechnet, könnten die Identitären rund „400 bis 500 Sympathisanten mobilisieren“.
Eine Zahl, die klein erscheinen mag – relativ zu vergleichbaren rechtsextremistischen Gruppen (In der Vergangenheit z. B. die VAPO, die Anfang der 1990er Jahre einen größeren Aktivistenstamm aufweisen konnte), die sich nie über einen längeren Zeitraum halten konnten, kann die offensive Strategie der Identitären aber durchaus als erfolgreich bezeichnet werden.
- Welche ideologischen Standpunkte werden vertreten?
Am Anfang gab es zwar durchaus noch Bündnisse mit dem rechten Rand des Konservatismus – etwa der Jungen Europäischen Studentenunion – diese zogen sich nach internen Richtungsstreitigkeiten jedoch schnell zurück. Rechtspopulistische Aktionen, wie die als Reaktion „auf die unfassbaren Vorgänge der letzten Wochen“ (Zitat Presseaussendung der Identitären) gedachte Demo am Mittwoch, die unter dem Motto „Eure Schuld. Kundgebung gegen Terror und offene Grenzen“ angemeldet wurde, hält Peham letztlich für Mimikry. Die Identitären docken also bewusst am gesellschaftlichen Diskurs an, um ihre Konzepte selektiv anzusprechen. Und die gehen weit über rechtspopulistische „Islamkritik“ hinaus. So kritisieren die Identitären die FPÖ sogar von rechts, weil diese Integration grundsätzlich für möglich hält. Als Zugewanderter könne man sich aber gar nicht integrieren, weil die Zugehörigkeit zur Volks-Gemeinschaft nicht gegeben ist.
Auch in ihrer „Islamkritik“ sind die Identitären deutlich unverhohlener. Sie kritisieren den Islam nicht als aufklärungsfeindlich, wie dies Rechtspopulisten tun. Die Identitären sind keine liberalen Verteidiger der Moderne, den Islam lehnen sie nicht per se ab, ihr Hauptfeind ist der Liberalismus bzw. „Westen“, worin sie sich im Übrigen mit Islamisten wieder treffen.
Dazu wollen sie die liberale Parteiendemokratie durch eine „organische Demokratie“ ersetzen. Eine Bezeichnung, die harmlos klingen mag, jedoch mit Demokratie so gar nichts zu tun hat. Für Franco – faschistischer Langzeitdiktator Spaniens – bildete sie das Gegenmodell zu den von ihm als dekadent bezeichneten repräsentativen Demokratien der westlichen Länder. Erdacht hat das Konzept NS-Jurist Carl Schmitt. Für ihn gehörte zur Demokratie „notwendig erstens Homogenität und zweitens - nötigenfalls - die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogen."
Peham sieht sie deshalb als Vorbereiter einer „Generation Breivik“: „Wenn ich ständig behaupte, dass Europa direkt vor dem Untergang steht und gleichzeitig sage, dass unsere Generation die letzte ist, die das aufhalten kann – dann mache ich mich zum Vorbereiter für solche Taten. Der Pathos der letzten Chance erreicht dann eben auch die Leute, die alleine zu Hause vor ihrem Computer sitzen und daraus die Berechtigung zur Wahl aller, eben auch terroristischer Mittel beziehen.“
Den Mantel der „Neuen Rechten“, den sich die Identitären in Österreich gerne anziehen, will ihnen Peham deshalb nicht so recht abkaufen. „Das sind noch immer die ‚alten Rechten‘ – nur im jugendkulturellen Gewand, mit Facebook-Seite und Youtube-Kanal.“
- Welche Verbindungen gibt es ins Ausland?
Die Identitären unterhalten unter anderem Kontakte zu neofaschistischen Gruppen wie die ungarischen Jobbik, den italienischen Neofaschisten von CasaPound, der deutschen Jungen Nationaldemokraten und der Jungen Alternative, die jedoch dafür von der Mutterpartei (AfD) mittlerweile aufgrund der Verfassungsfeindlichkeit der Identitären kritisiert wird.
- Sind sie gewaltbereit?
Identitäre waren immer wieder für gewaltsame Übergriffe verantwortlich. Nach einer Demo in Graz wurden im Jänner 2016 vier Studenten, die zuvor an einer Gegendemonstration teilgenommen hatten, unter anderem mit einem Schlagstock attackiert. Zwei Männer, die dem Kaderstamm der Identitären Bewegung zugerechnet werden, wurden in der Folge von der Polizei festgenommen. Diese Gewaltbereitschaft rückt sie laut Peham auch in die Nähe des Neofaschismus.
- Wie ist der PR-Erfolg dieser kleinen Gruppe zu bewerten?
Zwar ist es den Identitären in Österreich gelungen, die amtsbekannteren Neonazis im Hintergrund zu halten, bzw. erfolgreich zu behaupten, der Szene den Rücken gekehrt zu haben, „wenn man sich jedoch in der zweiten und dritten Reihe umschaut, dann ist der Neonazi-Bezug nach wie vor ziemlich explizit“, sagt Peham. In Deutschland sei das deshalb nicht gelungen, weil es dort eine größere, eindeutiger zu identifizierende (Je nach Schätzung bis zu 11.000) Neonazis gebe, darunter einige, die sich gerne unter der identitären Lambda-Fahne zusammenrotten.
Fazit: „Identitäre sind ganz klar eine rechtsextremistische Vereinigung. Und zwar personell, als auch programmatisch.“
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