Politologin plädiert für eigene Städte für Flüchtlinge

Europäisches Forum Alpbach
Bei den Wirtschaftsgesprächen in Alpbach fand eine interessante Diskussion mit außergewöhnlichen Ansätzen zur Flüchtlings- und Migrationsthematik statt.

Die EU habe ein "hässliches Abkommen mit der Türkei" unterzeichnet; Frankreich und die Staaten in Osteuropa sind in der Flüchtlingsfrage nicht kooperativ; "Europa ist in keinem guten Zustand."

Die deutsche Politologin Ulrike Guerot sparte in ihrer Grundsatzrede bei den Wirtschaftsgesprächen in Alpbach nicht mit provokanten Aussagen. Sie seien als Anregung zur Diskussion über "Migration - Chance und Herausforderung" gedacht, wie sie erklärte.

Eigene Städte für Flüchtlinge

Im Mittelpunkt ihrer Keynote stand die Integration von Flüchtlingen. Es werde zu oft von einer europäischen Leitkultur gesprochen, der sich Flüchtlinge anzupassen hätten. Leitkulturbilder würden aber immer einen protofaschistischen Unterton in sich bergen, zitierte Guerot den Kritischen Theoretiker und Philosophen Theodor Adorno. Mit dem Klammern an eine Leitbildkultur könne man die Flüchtlingsthematik nicht handhaben. Nur eine offene Gesellschaft könne mit der Flüchtlingsthematik gut umgehen.

Zweitens brauche es neben der Entfernung vom Begriff der Leitkultur vielleicht eigene Städte für Flüchtlinge - "dass wir ihnen einfach Land geben". So könnten funktionierende Soziostrukturen aufgebaut werden - anstatt dass Parallelgesellschaften à la Paris entstünden. "Segregation ist ein Zeichen von Toleranz, heißt es in der Soziologie", so Guerot. In Ostdeutschland oder Süditalien gebe es auch leere Städte, die wieder besiedelt werden könnten - auch die Einheimischen kämen dann wieder mit in die verlassenen Städte. Das Selbstengagement bei Flüchtlingen würde so jedenfalls gefördert werden.

"Wie können wir teilen? Wie kann global der Wohlstand besser verteilt werden? Wie können afrikanisch Frauen weniger Kinder bekommen?"

"Das schlimmste kommt noch", sagte die Wissenschafterin als weiteren Punkt zu den Flüchtlingsströmen. In Nordafrika wachse die Bevölkerung in riesigem Ausmaß, die Arbeitsplätze würden aber nicht mitwachsen. Eine Frontex-Flotte werde die möglichen Flüchtlingsströme nicht aufhalten können. Und: Die Mitverantwortung Europas aber auch der USA an Fluchtgründen solle nicht vergessen werden, so Guerot. Es gehe also auch um die Fragen: "Wie können wir teilen? Wie kann global der Wohlstand besser verteilt werden? Wie können afrikanisch Frauen weniger Kinder bekommen?" Das Weltgastrecht nach Immanuel Kant sei prinzipiell angebracht, so die Wissenschafterin. Alle Menschen hätten die gleichen Rechte.

Gegner der Städte-Idee

AK-Präsident Rudolf Kaske sagte in Replik auf die Keynote-Rede von Guerot, dass er den Befund teile, dass Europa in keinem guten Zustand sei. "Europa muss ein neues Angebot machen, Visionen zu entwickeln, wo die Menschen wieder mit an Bord sind." Kritisch äußerte sich der Arbeitnehmervertreter zu den Gedanken Richtung Städte für Flüchtlinge. In Österreich ortet Kaske dafür keine Mehrheitsfähigkeit. "Wir brauchen in vielen Fragen, was Flüchtlingspolitik betrifft, jetzt Lösungen", forderte Kaske. Zu wenige EU-Staaten würde sich ernsthaft dieser Frage annehmen. Es brauche viel mehr eine nachhaltige Integration, auch am Arbeitsmarkt. Zum Weltgastrecht sagte der oberste Arbeiterkämmerer, "das sehen in Europa viele anders", auch wenn er dafür sei, dafür zu kämpfen. In Afrika sei er für Hilfe zur Selbsthilfe.

Auch Kopf sagte "Nein" zu Flüchtlingsstädten. Es gehe bei der Integration auf den Arbeitsmarkt auch um Geduld. Derzeit seien 10,1 Prozent jener Menschen mit gültigem Asylbescheid, die seit 30. Juni 2015 beim AMS waren, in Beschäftigung., so Kopf. Er sprach sich wie Kaske für die Öffnung des Lehrstellenmarktes für junge Flüchtlinge aus.

Künstliche Ghettos führen zu eigenen Regeln

Der frühere Trenkwalder-CEO Karoly Pataki sagte auch: "Ich bin ein Gegner dieser Idee, Städte künstlich für Flüchtlinge zu kreieren." Der gebürtige Ungar meinte, ähnliche Städte habe es in der DDR zur Zeit des Ostblocks gegeben, etwa für Ungarn oder Polen. In einem künstlichen Ghetto würden schlussendlich aber eigene Regeln geschaffen. Die Sprache des Gastgeberlandes würde aber so gut wie nie gelernt. Allzu oft würde auch Flüchtlinge mit Migranten vermischt. "Das ist nicht das gleiche." Auch Nicht-Flüchtlinge, also Migranten hätten oft Probleme mit der Integration. "Ausbildung und Bildung sind Kernfaktoren."

NEOS-Politiker Josef Schellhorn sagte, ein syrischer Tischler würde hierzulande schon an der Gewerbeordnung scheitern, würde er sich selbstständig machen wollen. Grundsätzlich gehe es um bestmögliche Integration. Jene, die schon in kleinen Einheiten in Dörfern und Städten seien, hätten die besten Chance auf Integration - auch durch Lernen der Sprache. In eigenen Städten oder Dörfern für Einwanderer würde das wohl nicht passieren.

"Die Sprache ist ein ganz ein wichtiges Element", so der Oppositionspolitiker. Österreich brauche die Einwanderer jedenfalls für Berufe, die von Österreichern nicht mehr gemacht würden. Dazu wäre eine Verteilung der Ankommenden in Österreich wichtig, sagte Schellhorn sinngemäß - etwa um im Pongau als Lehrling zu starten, nachdem man im Burgenland angekommen war. Bei einer guten Verteilung auch auf offene Jobs würden kleine Gemeinden auch nicht mehr so stark an Bevölkerung verlieren.

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